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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

381-383

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Brösch, Marco, Euler, Walter Andreas, Geissler, Alexandra, u. Viki Ranff[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Nikolaus von Kues. Leben und Werk.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014. 445 S. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-534-26365-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Anlässlich des 550. Todestages von Nikolaus von Kues am 11.Au­gust 1464 hat das wissenschaftliche Personal des Trierers Instituts für Cusanus-Forschung das vorliegende Handbuch herausgegeben. Institutsmitarbeiter haben neben namhaften Cusanus-Forschern daran mitgearbeitet. Es erhebt den Anspruch, den Lesern »in allgemeinverständlicher Sprache wesentliche Informationen über das Leben und Werk des Nikolaus von Kues im Kontext seiner Epoche und über sein Erbe« zu bieten und »sein gesamtes Schrifttum und die Wirkungsgeschichte seines Denkens auf dem aktuellen Stand der Forschung vorzustellen« (9). Im 1. Teil wird nach einer kurzen Einführung in die Zeit ( A. Geissler, 13–30) eine Biographie geboten (W. A. Euler, 31–103) und sein Nachleben und Erbe dargestellt (M. Brösch, 105–128). Im zweiten Teil werden die Werke in chronolo-gischer Reihenfolge von 16 Autoren beschrieben (131–352) und im dritten Teil Hinweise zu den Quellen und zur Rezeption des cusanischen Werkes gegeben (V. Ranff, St. Meier–Oeser, 355–372). An-gehängt werden: Zeitleiste zu Leben, Werk und Umfeld von Nikolaus, Bibliographie, Namenregister, Abkürzungs- und Autoren-verzeichnis.
Das Urteil zum Handbuch fällt differenziert aus. Die Einführung zur Zeit von Nikolaus ist außerordentlich knapp und bezieht sich vorwiegend auf Artikel aus dem Lexikon zum Mittelalter. Was zur Geschichte von Frankreich, England, Spanien und Portugal geschrieben wird, bringt nichts; Nord- und Osteuropa blieben ganz unberücksichtigt, ebenso das Osmanische Reich. Konstantinopel wird nur in Bezug auf die Unionsverhandlungen erwähnt.
Hervorragend ist die Biographie. Sie kann sich auf die Acta Cusana stützen, die alle Lebensdaten von Nikolaus bis 1453 belegen. Dass die Biographie von Vansteenberghe von 1920 hier und in anderen Beiträgen häufig herangezogen wird, erstaunt, so verdienstlich sie zu ihrer Zeit auch war. Ausführlich wird der Trierer Bistumsstreit behandelt. Umstritten sind die Griechisch-Kenntnisse von Nikolaus (Berschin, Griechisch-lateinisches Mittelalter, 1980, 316: »Die Griechischkenntnisse des Nikolaus [sind] unbedeutend ge-blieben.«). Dass die Unionsvereinbarungen von Florenz in Konstantinopel am Willen des Volkes scheiterten, könnte deutlicher benannt werden (51). Bemerkenswert ist, dass schon Nikolaus (und nicht erst Luther) sagte, Konzilien könnten irren (54). Seine große Legationsreise durch Deutschland, eine Art Generalvisitation, wird als ein »singuläres Phänomen« hervorgehoben, doch bringt sie keine Generalreform (61 f.74). Nicht verschwiegen wird, wo Nikolaus gegen seine eigenen Prinzipien verstößt, etwa bei seiner Bischofsernennung in Brixen (75). Der Konflikt mit der Äbtissin von Sonnenburg, Verena von Stuben, wird sehr zurückhaltend erwähnt. Deutlich aber wird, dass der »Rechtshistoriker Cusanus« feststellen muss, dass sein Bistum im Laufe der letzten Jahrhunderte um einen Großteil seines Besitzes gebracht worden ist (88). Tiefpunkt seines Lebens war der Streit mit dem Tiroler Herzog. Nikolaus zog den Kürzeren und musste sich gedemütigt auf die Burg Buchenstein zurückziehen. Schließlich rief ihn sein Freund Papst Pius II. nach Rom, wo er ihm das Generalvikariat übertrug. Hier – wie in Brixen – entwickelte Nikolaus Reformvorschläge, auch sie scheiterten letztlich. Auch im Streit mit den Böhmen war er erfolglos, die Kompaktaten wurden annulliert. Seiner Enttäuschung in Brixen folgten also weitere in Rom. Das alles wird gut begründet dargelegt, auch seine Schwächen werden deutlich benannt. Auch Nachleben und Erbe des Kardinals werden behandelt, seine Stiftungen des St.-Nikolaus-Hospitals in Kues und der Bursa Cusana in Deventer sowie seine zahlreichen Messstiftungen.
Im 2. Teil werden die Schriften des Cusaners vorgestellt – und zwar nach dem Schema Entstehungskontext – Werkstruktur und Inhalt – Analyse und Deutung/Forschungsstand – Wirkungsgeschichte. Im Großen und Ganzen sind die Beiträge verlässlich und informativ. Im Folgenden kann nur auf einige der 30 Beiträge eingegangen werden. Mit Recht gilt De concordantia catholica als ein »frühes Meisterwerk«, in dem es darum geht, »eine universale Ge­meinschaft des Friedens und der Harmonie zu errichten«, und darum, »inwieweit das allgemeine Konzil tatsächlich über dem Papst steht«. Dabei suchte Nikolaus »die Eintracht: nicht Papst oder Konzil, sondern beides: Papst und Konzil« (131–136). De docta ignorantia ist sein Hauptwerk, das sein Denken bis zum Lebensende bestimmt hat. Das müsste deutlicher zum Ausdruck kommen. Für Nikolaus ist die höchste Form des Wissens das Nichtwissen, das be­lehrt wird. De coniecturis betont den Parallelismus zwischen göttlichem und menschlichem Geist, der menschliche Geist ist »das höchste Abbild Gottes« (154). Die kleinen Schriften zur Gotteserkenntnis heben hervor, dass es »nicht mehrere Wahrheiten [gibt], sondern nur eine, die mit der Einheit zusammenfällt« (160). In den Idiota-Schriften gilt die menschliche Vernunft als »Vorgeschmack der Weisheit«, sie ist »Abbild des göttlichen schöpferischen Geistes« (181 ff.). Von Nikolaus als Naturforscher sollte man in der Tat nicht sprechen (190). In De pace fidei hat Nikolaus nicht nur von der religio una in rituum varietate gesprochen, sondern auch, dass perducetur omnis religionum diversitas in unam fidem orthodoxam (III, n. 8), womit doch der christliche Glaube gemeint ist. Darauf wird leider nicht hingewiesen. De visione Dei will »einen leichten Zugang zur mystischen Theologie« vermitteln (202). Wo die – immerhin unter den Hauptschriften genannte – Epistola ad Ioannem de Segobia ediert ist, wird nirgends gesagt (nämlich mit De pace fidei in h VII). In De beryllo lässt die Vernunft die »Idee der Koinzidenz der Gegensätze« erkennen (213). De aequalitate wird gleich zweimal besprochen als Einführung in das cusanische Predigtwerk (218–221.309 f.). Zu den Reformbemühungen des Nikolaus gehört seine Reformatio generalis. Sie blieb – wie erwähnt – erfolglos. Dass er hier schreibt: »[...] sciens non esse vitam nisi in promissis Christi atque quod nemo iustificatur nisi quem ipse in merito mortis suae iustificaverit« (n. 2), wird nicht erwähnt! In De possest wird Gott als ein »dynamisch in die Welt wirkendes Wesen« begriffen, De non aliud ist ein Manifest für die negative Theologie, in De venatione sapientiae, im Compendium und in De apice theoriae fasst Nikolaus sein Werk zusammen. Im posse ipsum glaubt er, das integrale »Erkenntnisprinzip für die Gottes- und Welterkenntnis« gefunden zu haben (236.249 f.272). Die Cribratio Alkorani ist eine »Informationsschrift zum Islam« für Pius II. (239). Auf die mathematischen Schriften und auf etliche Kleinschriften kann nicht eigens eingegangen werden. Wichtig geworden sind in den letzten Jahrzehnten für das Verständnis des cusanischen Denkens seine 294 (!) Predigten, in die W. A. Euler eine gute Einführung und für alle eine kurze Zusammenfassung gibt.
Am Schluss wird auf die Quellen verwiesen, die Cusanus verwandt hat. Die Ausführungen zur Rezeption seiner Philosophie und Theologie sind entschieden zu kurz. Schon in den Ausführungen zu seinen Schriften wird nur unzureichend vermerkt, wo er auf die lutherisch-reformatorische Theologie eingewirkt hat, auch wenn er ganz gewiss kein Vorreformator war.
Auf eine Ungenauigkeit ist hinzuweisen: Auf S. 231 wird als Entstehungszeit für De possest 1460 genannt, auf S. 271 indirekt 1463, auf S. 389: 1460.
Kritisch ist die Bibliographie zu bewerten. Sie ist zwar umfangreich (391–431), aber es werden nur zitierte Werke aufgeführt. Einige Gesamtdarstellungen werden nicht genannt, auch fehlen wichtige Standardwerke. Genannt seien nur die von Benz, Dahm, Riedenauer, Stallmach, Theruvathu, Velthoven, Weier. Damit bietet die Bibliographie nicht genügend Anreiz zur Weiterarbeit am cusanischen Gedankengut, wozu ein Handbuch führen sollte. Wünschenswert wäre – wie das vergleichbare Handbücher tun – eine systematische Darstellung seiner wichtigsten Gedankengänge ge­wesen, etwa zu den Stichworten docta ignorantia, complicatio/ explicatio, zu seinem Einheitsdenken oder zu den Gottesnamen. Denn wer über Nikolaus mehr wissen oder über ihn arbeiten will, wird nach dem Handbuch greifen, um eine erste Information zu bekommen.