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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

376-377

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Heath, Gordon L. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Canadian Churches and the First World War.

Verlag:

Cambridge: The Lutterworth Press 2014. XIII, 295 S. Kart £ 25,00. ISBN 978-0-71889358-3.

Rezensent:

Martin Greschat

Als Dominion Großbritanniens trat Kanada am 4. August 1914 in den Weltkrieg ein. Rund 620.000 Kanadier kamen an die Front, etwa 60.000 starben und 173.000 erlitten Verwundungen. Die große Mehrheit der Bevölkerung gehörte zur römisch-katholischen Kirche (39,3 %). Die etwa 50 % Protestanten verteilten sich zu ziemlich gleichen Teilen von jeweils 14 % auf Methodisten, Presbyterianer und Anglikaner sowie rund 5 % Baptisten. Über die Haltung dieser Kirchen im Ersten Weltkrieg informieren hier sechs Artikel, gefolgt von zwei Studien über die Lutheraner sowie die Quäker und Mennoniten. Überblicke über die Militärseelsorge und die Leistungen der Frauen an der Heimatfront beschließen den Band. Vorangestellt ist ihm neben der Einleitung des Herausgebers (1–13) ein Beitrag aus seiner Feder über die Bedeutung des Burenkriegs für die Interpretation des Weltkriegs (15–33).
Die Grenzen dieser Studien werden eingangs genannt: Sie be­schränken sich auf die Behandlung der jeweiligen Denomination und blicken selten darüber hinaus. So entsteht höchstens in Um­rissen ein Bild der Übereinstimmungen im Denken und Agieren der kanadischen Kirchen und schon gar nicht ihrer Gemeinsamkeiten mit anderen christlichen Reaktionen auf diesen Krieg. Das Fazit des Herausgebers, dass zum Verständnis des Weltkriegs die Berücksichtigung der Erfahrungen des Burenkriegs gehöre, ist in dieser Zuspitzung sicherlich falsch: In Deutschland griff man auf den Krieg von 1870/71 zurück, in den USA auf den amerikanischen Bürgerkrieg. Überall suchte man nach Analogien und Interpretationsmodellen, um zu verstehen, was man jetzt erlebte.
In den zahlenmäßig dominierenden Kirchen Kanadas – von den Römischen Katholiken (Mark G. Gowan, 34–74) über die Methodis­ten (David B. Marchall, 102–132), die Presbyterianer (Stuart Mac-donald, 133–151) bis zu den Anglikanern (Melissa Davidson, 152–169) sowie den Baptisten (Michael A. G. Haykin/Ian Hugh Clary, 170–196) begegnet trotz manchen Variationen doch dieselbe Grundstruktur. Sie zeigt sich auch bei den französisch sprechenden Ka­tholiken (Simon Jolivet, 75–101), obwohl sie hier durch den Widerstand Quebecs gegen die politisch-kulturelle Anglifizierung überlagert wird. Es ist dieselbe Struktur, die sich auch in den Reaktionen der übrigen in den Weltkrieg verwickelten Kirchen findet (vgl. dazu M. Greschat, Der Erste Weltkrieg und die Christenheit, Stuttgart 2014): Man wurde angegriffen und musste sich gegen einen brutalen und rücksichtslosen Gegner verteidigen. Man führte also einen gerechten Krieg, in dem man Gott auf seiner Seite wissen durfte. Insofern ging es immer auch um Kultur, Zivilisation, Religion. Von einem Kreuzzug war die Rede, vom Opfer der Gefallenen, das nahe an dasjenige Christi heranrückt. Und umgekehrt trug der Gegner alsbald die Züge des Teufels oder des Antichrist.
In welchem Ausmaß nationale Emotionen christliche Traditionen und auch Überzeugungen überwältigten, belegt insbesondere der Beitrag über die kanadischen Lutheraner (Norm Threinen, 197–217). Wie in Australien oder den USA wurde auch hier alles Deutsche zunehmend rücksichtlos bekämpft. Natürlich gab es Ausnahmen. Doch sie bildeten eine kleine Minderheit. Trotz Anfeindungen und allerlei Widerständen blieben umgekehrt Quäker und Mennoniten bei ihrer Ablehnung des Wehrdienstes und rückten aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen näher aneinander (Ro­bynne Rogers Healey, 218–240). Aufschlussreich sind die Beobachtungen zu den Militärgeistlichen: Aufgrund ihrer Erfahrungen an der Front waren sie überzeugt, nach dem Krieg Entscheidendes zur Erneuerung der Gesellschaft sowie ihrer Kirchen beitragen zu können. Sie mussten dann erleben, dass man sie weder da noch hier hören wollte (Duff Crerar, 241–262). Anmerkungen zu den Leistungen der Frauen an der Heimatfront, basierend auf anglikanischen und mennonitischen Gemeinden, beschließen das Buch (Lucille Marr, 263–283).
Zu jedem der Beiträge gibt es ausführliche bibliographische Angaben. Wer sich genauer über die Haltung der kanadischen Kirchen im Ersten Weltkrieg informieren will, wird hier vorzüglich beraten. Im Blick auf die aktuelle Forschungslage allerdings, in der es zunehmend um interkonfessionelle und internationale Vergleiche geht, greift der Band zu kurz.