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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

345-348

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Huddleston, Jonathan

Titel/Untertitel:

Eschatology in Genesis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XIII, 315 S. = Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe, 57. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-151983-3.

Rezensent:

Jakob Wöhrle

Es ist eine in der alttestamentlichen Forschung nahezu unhinterfragte Annahme, dass sich die Schriften des Pentateuch und die prophetischen Schriften des Alten Testaments hinsichtlich ihrer Entstehungsvoraussetzungen wie auch hinsichtlich ihrer konkreten inhaltlichen Anlage sehr deutlich voneinander unterscheiden. So werden der Pentateuch und die prophetischen Bücher häufig auf verschiedene Trägerkreise zurückgeführt. Der Pentateuch wird gerne als Produkt im Zentrum der Gesellschaft stehender, insbesondere priesterlicher Kreise angesehen. Die prophetischen Schriften werden dagegen – in ihrem Kern – eher auf gesellschaftlich randständige, oppositionelle Gruppen zurückgeführt. Auf inhaltlicher Ebene wird zumeist eine entscheidende Differenz zwischen Pentateuch und Prophetie darin gesehen, dass der Pentateuch besonders an den gegenwärtigen Verhältnissen der Gesellschaft oder des Kults orientiert ist, während die prophetischen Schriften ein zukünftiges, alles veränderndes Eingreifen Gottes in die Geschichte erwarten. Zwar werden in der neueren Forschung mit zunehmender Deutlichkeit thematische Querbezüge zwischen den Schriften des Pentateuch und den prophetischen Schriften des Alten Testaments erkannt. Die Annahme einer grundlegend divergierenden inhaltlichen Ausrichtung der beiden Korpora, die Otto Plöger unter den Stichworten Theokratie versus Eschatologie beschrieben hat, bestimmt aber nach wie vor weite Teile der alttestamentlichen Wissenschaft.
Ebendiese Annahme wird nun von Jonathan Huddleston in seiner neuen Studie »Eschatology in Genesis« in Frage gestellt. Die an der Duke University entstandene, von Stephen B. Chapman betreute Dissertation zielt auf den am Beispiel der Genesis geführten Nachweis, dass der Pentateuch durchaus von einer spezifischen Zu­kunftserwartung bestimmt ist. Nach H. lässt der Pentateuch vergleichbare Hoffnungen und Erwartungen wie die prophetischen Schriften erkennen. Pentateuch und Prophetie sind daher seiner Ansicht nach entstehungsgeschichtlich wie inhaltlich enger verbunden als gemeinhin angenommen.
Das erste Kapitel der Studie »The Question of Genesis’ Eschatol-ogy« (1–33) widmet sich methodischen Fragen. Die Arbeit basiert auf einer Verbindung von klassisch historisch-kritischen und neueren literaturwissenschaftlichen, insbesondere rezeptionsästhetischen Methoden. H. geht vom vorliegenden Text der Genesis aus, der seiner Ansicht nach in der persischen Zeit seine finale Gestalt erreicht hat. Er fragt danach, wie die Genesis von ihren Rezipienten zu ebendieser Zeit gelesen und verstanden worden ist. Zudem fragt er nach inhaltlichen Verbindungen zwischen der Genesis und anderen, insbesondere den prophetischen Texten der persischen Zeit.
Im folgenden Kapitel »The Future Orientation in Genesis« (34–73) erklärt H., dass die Genesis nicht nur an Vergangenem orientiert ist, sondern gerade von der Darstellung vergangener Ereignisse und Begebenheiten her darauf zielt, die Gegenwart wie auch die Zukunft der Leser zu erhellen. Dies zeigt die mehrfach belegte Wendung »bis auf den heutigen Tag« (Gen 26,33; 32,33; 47,26). Dies zeigen aber auch die zahlreichen Ätiologien, in denen etwa der Beginn des Weinbaus (Gen 9,20) oder des Militärs (10,8) erklärt wird. Solche Ätiologien zielen nach H. nicht nur auf gegenwärtige Verhältnisse. Sie können auch als Ankündigung noch nicht realisierter, künftiger Geschehnisse und Begebenheiten verstanden werden. So lässt sich etwa die Turmbauerzählung in Gen 11,1–9 – insbesondere in der Situation der Vorherrschaft einer Großmacht, die die kulturelle Vielfalt in ihrem Reich einzuschränken sucht – als Aussage über die Zukunft solch imperialer Selbstüberhöhung lesen. Sodann zielen nach H. auch und vor allem die in der Genesis belegten Verheißungen nicht nur auf die Gegenwart der Rezipienten, sondern auf eine noch offene Zukunft. Denn die Genesis zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die hier gegebenen Verheißungen – etwa die den Vätern zugesprochenen Mehrungsverheißungen – nur teilweise erfüllt werden. Nicht Verheißung und Erfüllung, sondern Verheißung und Verzögerung ist nach H. das die Genesis bestimmende Schema. Für die Leser der Genesis erscheint die Ge­genwart daher als Zeit der Gefährdung der Verheißung und von hier aus als Zeit der Hoffnung auf deren Erfüllung. Die gesamte Genesis ist so auf die Zukunft hin ausgerichtet.
Das dritte Kapitel des Buches »Genesis’ Eschatology in Persian-Era Judea« (74–120) widmet sich den Verhältnissen in Juda zur persischen Zeit als der von H. angenommenen Entstehungszeit der vorliegenden Gestalt der Genesis. In Aufnahme neuerer archäologischer Er­kenntnisse geht er von einer nur geringen Zahl der Bevölkerung in der Provinz Juda von etwa 30.000 Einwohnern aus. Ein Großteil der Bevölkerung lebte im ländlichen Raum. Die Elite in Jerusalem um­fasste nur einen kleinen Kreis an Personen. Vor diesem Hintergrund ist es nach Ansicht von H. nicht möglich, die Literatur der persischen Zeit auf verschiedene Trägerkreise zurückzuführen. Pentateuch und prophetische Schriften gehen seiner Ansicht nach auf dieselben Gruppen aus Priestern und grundbesitzenden Bauern zurück.
Die so von den entstehungsgeschichtlichen Voraussetzungen her begründete Nähe von Pentateuch und Prophetie wird im vierten Kapitel »Genesis in the Context of Prophetic Eschatology« (121–160) weiter ausgeführt. Nach H. zeigen sich gerade in späten, ge­meinhin in persischer Zeit verorteten Texten, etwa Jes 2,2–4; Jer 30–31; Ez 20,39–44; Am 9,11–15; Mi 4,1–5; Zef 3,9–20, vergleichbare Vorstellungen wie in der Genesis. Die prophetischen Texte erwarten die Wiederherstellung Israels, die Rückkehr ins Land, die erneute Einnahme des Landes sowie eine finale, von Gott her bewirkte Wende der Geschichte. Dabei werden in den prophetischen Schriften an zahlreichen Stellen ganz direkt Motive und Traditionen aus der Genesis aufgenommen. Zur Darstellung des erwarteten Ge­richts wird etwa auf die Fluterzählung (z. B. Jes 54,8–11) oder die Erzählung von Sodom und Gomorra (z. B. Jes 1,9–10) angespielt. Zur Verheißung neuen Heils wird auf die Schöpfung (z. B. Jes 65,17–25) oder auf den an die Väter gerichteten Segen (z. B. Mi 7,20) zurückgegriffen. Dies zeigt nach H., dass die hinter den prophetischen Schriften stehenden Kreise die Genesis als eine auf die Zukunft hin ausgerichtete, eschatologische Schrift gelesen haben.
Im fünften Kapitel »Dynamics of Genesis and Unfolding Eschatology« (161–195) wird diese Einsicht von der Entstehung des Pentateuch her weiter untermauert. Mit neueren Ansätzen geht H. davon aus, dass die nichtpriesterliche Urgeschichte, Vätergeschichte und Exoduserzählung zunächst für sich überliefert wurden. Durch die Verbindung dieser Textbereiche wurde dann etwa die in der Vätergeschichte belegte Verheißung von Segen für das eigene Volk um die in der Urgeschichte belegte Zusage von Segen für die gesamte Menschheit ergänzt. Die in der Vätergeschichte belegte Hoffnung wurde so generalisiert. In der Entstehung des Pentateuch ist daher nach H. geradezu ein Prozess zunehmender Eschatologisierung erkennbar.
Vor diesem Hintergrund zeigt H. im sechsten und letzten Kapitel »Rereading Genesis’ Promise Eschatology« (196–238), wie sich dieser Prozess der Eschatologisierung auch ganz konkret in der vorliegenden Gestalt der Genesis niedergeschlagen hat. Dies wird etwa an dem in Gen 49 belegten Jakob-Segen deutlich. Die eschatologische Ausrichtung dieses Kapitels wird schon durch die zu Beginn in Gen 49,1 belegte Zeitformel »am Ende der Tage« erkennbar. Bedeutend ist sodann das in Gen 49,8–12 belegte Wort an Juda. Dieses Wort, das die Vorherrschaft Judas nicht nur über seine Brüder, sondern über die gesamte Völkerwelt ankündigt, bietet mehr als eine politische Erwartung. Das Wort blickt nach H. auf eine geradezu kosmische Veränderung, eine Veränderung der Weltordnung. An dieser Stelle zeigt sich also ganz direkt, dass die Genesis von – mit den prophetischen Schriften vergleichbaren – eschatologischen Vorstellungen bestimmt ist.
Mit seiner Studie hat H. einen überaus interessanten und weiterführenden Beitrag zum Verständnis der Genesis im Rahmen der Literatur der persischen Zeit vorgelegt. Er zeigt eindrücklich, dass die Genesis nicht nur an der Darstellung und Erklärung vorhandener gesellschaftlicher und politischer Begebenheiten orientiert ist, dass sie mehr als eine Ätiologie vorfindlicher Zustände bietet. Die Genesis beschreibt nicht nur von der Urzeit und der Väterzeit her, wie die Welt, die Menschen, die Völker oder das eigene Volk unter den Völkern sind, sondern auch und noch viel mehr, wie diese sein sollen. Das Moment der Verheißung ist somit in der Genesis tatsächlich von großer Bedeutung. Und von hier aus – angesichts des in den Verheißungen der Genesis angelegten Hoffnungspotentials – zeigen sich tatsächlich bedeutende Parallelen zu den prophetischen Schriften, insbesondere zu den prophetischen Schriften der persischen Zeit. Hier wie dort ist die Erwartung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen, die Hoffnung auf eine von Gott her bewirkte Wende erkennbar.
Das heißt aber nicht, dass die Schriften des Pentateuch und die prophetischen Schriften in ihrer konkreten Zukunftserwartung deckungsgleich wären. Die Verheißungen der Genesis zielen auf innerweltliche, innergeschichtliche Vorgänge wie die Mehrung des Volkes, die (erneute) Inbesitznahme des Landes oder die friedliche Koexistenz mit Angehörigen fremder Völker. Die Zukunftserwartung der prophetischen Schriften zielt hingegen auf eine endgültige, unumkehrbare Transformation der vorfindlichen Welt. Erwartet wird dabei vielleicht nicht das Ende der Geschichte, aber doch ein die Geschichte ein für alle Mal veränderndes Geschehen. Solche Erwartungen – für die der Begriff »Eschatologie« reserviert bleiben sollte – sind der Genesis (vielleicht mit Ausnahme von Gen 49,8–12) fremd.
Pentateuch und Prophetie sind somit zwar nicht als einander strikt entgegengesetzte Literaturwerke aufzufassen. Sie sollten aber auch nicht in eins gesetzt werden. Entgegen der Annahme von H. erscheint es durchaus sinnvoll und zum Verständnis der Geschichte und Literaturgeschichte der persischen Zeit von bleibender Bedeutung, zwischen den im Pentateuch und den in den prophetischen Schriften belegten Überlieferungen zu differenzieren, deren je eigenes inhaltliches Gepräge herauszustellen und auf verschiedene Trägerkreise zurückzuführen.
Die von H. vorgelegte Studie gibt also wichtige Impulse für die weitere Arbeit an der Literaturgeschichte des Alten Testaments in persischer Zeit. Neben den von H. zu Recht herausgestellten Gemeinsamkeiten zwischen Pentateuch und Prophetie sollten aber die inhaltlichen Differenzen der beiden Korpora nicht aus dem Blick geraten.