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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

341-343

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Evans, Paul S., and Tyler F. Williams [Eds.]

Titel/Untertitel:

Chronicling the Chronicler. The Book of Chronicles and Early Second Temple Historiography.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2013. XII, 324 S. Lw. US$ 49,50. ISBN 978-1-57506-290-7.

Rezensent:

Thomas Hieke

Der Sammelband bietet die Vorträge von zwei Symposien des Ancient Historiography Seminar der Canadian Society of Biblical Studies von 2010 und 2011 sowie zwei zusätzliche Beiträge. Man kann an dieser und vergleichbaren Aufsatzsammlungen das in den letzten Jahren gewachsene Interesse am Chronikbuch ermessen. Die 13 Beiträge in »Chronicling the Chronicler« tragen diesem Werk mit seiner spezifischen theologischen und gesellschaftlichen Agenda aus verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Methoden Rechnung.
Der erste, größere Teil befasst sich mit konkreten Passagen. Allein drei der acht Aufsätze sind den Genealogien in 1Chr 1–10 gewidmet, zwei Aufsätze behandeln 1Chr 21. Der zweite Teil untersucht zentrale Themen, die das gesamte Buch umgreifen bzw. es mit anderer Literatur (das Deuteronomium, Herodot) und einem spätperserzeitlichen sozialgeschichtlichen Hintergrund kontex-tu­alisieren. Eine Reflexion bildet einen eigenen, knappen dritten Teil, der auch auf zukünftige Forschungsfragen hinweisen soll. Die Einführung von Paul S. Evans (1–6) schafft einen raschen Überblick, indem er alle Artikel knapp zusammenfasst und sie aufeinander bezieht.
Die acht Textarbeiten im ersten Teil sind Fallstudien, keine umfassenden Auslegungen der Chronik. Die Stellenauswahl er­scheint eher zufällig – was es bemerkenswert macht, dass gleich zwei Beiträge die Genealogien ins Auge fassen und einer das Saul-Kapitel 1Chr 10. In seinem Beitrag »The Genealogies of 1 Chronicles 1–9: Purposes, Forms, and the Utopian Identity of Israel« (9–27) bietet Steven Schweitzer eine Zusammenfassung der längeren Behandlung dieser Kapitel in seiner Monographie (Reading Utopia in Chron­icles, LHBOTS 442, London: T&T Clark 2007). Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Rückblick stellt Schweitzer in überzeugender Weise die Funktion der Genealogien als literarisches Vorwort (und damit integralen Bestandteil) des Chronikbuches dar. Seine These ist, dass die Genealogien – wie das gesamte Buch – eine »utopische« Identität Israels präsentieren, as if it were reality (16). Besonders wichtig erscheint seine Beobachtung, dass die Chronik mit »Israel« mehr meint als die aus dem Exil Zurückgekehrten.
Keith Bodner befasst sich ebenfalls mit »Reading the Lists: Se-ver­al Recent Studies of the Chronicler’s Genealogies« (29–41). Nach einem Überblick über neuere Ansätze zu den Genealogien (u. a. John Wright, John Jarick, James Sparks) fokussiert Bodner vor allem auf die Simeon-Genealogie und 1Chr 4,42–43: Er sieht in den »anachronistischen Amalekitern« eine intertextuelle Antwort der Chronik auf 1Sam 30,17: Die Chronik wolle so klären, was aus den 400 jungen Amalekitern geworden sei, die David entkommen sind: Sie (bzw. ihre Nachfahren) seien später von den Simeoniten vernichtet worden.
Nicht nach den Eselinnen, sondern nach Saul selbst sucht P. J. Sabo (»Seeking Saul in Chronicles«, 43–63). Er stellt ein großes Interesse der Forschung an der Darstellung von Saul in der Chronik fest (s. den Literaturüberblick in der Fußnote auf S. 44–45) und sieht in ihr ein kontrovers beurteiltes, aber nicht lösbares Rätsel, womit man leben müsse. Auch wenn viele Beobachtungen hilfreich sind, bleibt die Frage offen, warum der Tod Sauls den Erzählteil der Chronik nach den Genealogien eröffnet. Freilich könnte man 1Chr 10 auch als geschickte Verbindung zwischen den Genealogien und dem Erzählteil um David, der in 1Chr 11 beginnt, ansehen.
Die ersten drei Artikel sind ausführlicher besprochen worden, um zu zeigen, wie sich die einzelnen Aufsätze mit Sorgfalt speziellen, in der Chronikforschung immer wieder diskutierten Problemen stellen. Der Inhalt der anderen Beiträge kann hier aus Platzgründen nur kurz angedeutet werden.
Paul S. Evans (»Let the Crime Fit the Punishment: The Chroni-cler’s Explication of David’s ›Sin‹ in 1 Chronicles 21«, 65–80) sieht in 1Chr 21 eine intertextuelle Verbindung zwischen 2Sam 24 und Ex 30,11–16 und darin die Antwort auf die Frage, welche Sünde Davids eine solche Strafe verdiene. Im Licht der Tora und der Missbilligung Gottes in Form der Plage erweist sich Davids Volkszählung als Toraverstoß. Ebenfalls mit 1Chr 21 befasst sich der Artikel »Of Jebus, Jerusalem, and Benjamin: The Chronicler’s Sondergut in 1 Chronicles 21 against the Background of the Late Persian Era in Yehud« (81–102) von Louis Jonker. Er sieht darin, wie die Chronik den Stamm Benjamin behandelt, einen Schlüssel für das historische Verständnis und liest so 1Chr 21 als Prozess der Identitätsbildung im spätperserzeitlichen Yehud.
Der zweite Beitrag von Paul S. Evans (»Historia or Exegesis? Assessing the Chronicler’s Hezekiah-Sennacherib Narrative«, 103–120) beleuchtet anhand der Überarbeitungsvorgänge von 2Kön 18–19 in 2 Chr 32 die Erzählmethode der Chronik. Ehud Ben Zvi tut Ähnliches anhand der Figur von »König Manasse« (»Reading Chron-icles and Reshaping the Memory of Manasseh«, 121–140). Die kollektive Erinnerung an Manasse gestaltet die Chronik so, dass er zum Vorbild des reuigen Sünders und zur Identifikationsfigur der nachexilischen Gemeinde wird: Auch sie kann sich bekehren und dann, wie einst Manasse, das Land wieder regieren.
Den Schluss der Chronik beleuchtet Shannon E. Baines (»The Cohesiveness of 2 Chronicles 33:1–36:23 as a Literary Unit Conclud­ing the Book of Chronicles«, 141–158). Nach dem Höhepunkt unter Hiskija, der für die Chronik der nachsalomonische Idealkönig ist (nicht Joschija wie im Königebuch), rufen die genannten Kapitel die nachexilische Gemeinde zur Umkehr und zur Treue zu Gott auf und lassen auf einen Neuanfang hoffen.
Im zweiten Teil des Sammelbandes zeigt Gary N. Knoppers (»›To Him You Must Listen‹: The Prophetic Legislation in Deuteronomy and the Reformation of Classical Tradition in Chronicles«, 161–194), wie die Chronik das Prophetenkonzept des deuteronomistischen Geschichtswerks erneuert. Auch gegenüber den Samaritanern werden die Propheten in Juda als kontinuierliche Tora-Auslegung und integraler Teil der Identität Judas dargestellt. John W. Wright vergleicht Herodot und die Chronik hinsichtlich des Motivs der göttlichen Vergeltung (»Divine Retribution in Herodotus and the Book of Chronicles«, 195–214). In seinem Beitrag »Gazing through the Cloud of Incense: Davidic Dynasty and Temple Community in the Chronicler’s Perspective« (215–245) zeigt Mark J. Boda, dass es in der Chronik doch noch Hoffnung auf einen in die priestergeführte Gemeinschaft eingebetteten davidischen König gibt. In seinem zweiten Beitrag (»Toward a Sense of Balance: Remembering the Catastrophe of Monarchic Judah/(Ideological) Israel and Exile through Reading Chronicles in Late Yehud«, 247–265) erläutert Ehud Ben Zvi, wie die Chronik durch die Betonung der Kontinuität und sparsames Erwähnen des Exils ein Gegengewicht in der kollektiven Erinnerung des nachexilischen Yehud bilden will.
Im dritten Teil (»Response: Reflections on the Book of Chronicles and Second Temple Historiography«, 269–277) kommentiert Chris-tine Mitchell den Forschungsstand zur Chronik und geht auf einzelne Passagen der anderen Beiträge ein. Zugleich zeigt sie weitere Forschungsfelder auf, wie etwa die Frage, ob die Sprachwahl der Chronik, deren Verfasser neben Hebräisch sicher auch das Reichsaramäische konnte, eine politische Entscheidung war.
Der Band bietet eine Gesamtbibliographie (279–310) und wird durch Indizes für moderne Autoren sowie für antike Quellen er­schlossen. Die Beiträge sind auf hohem Niveau, bieten hilfreiche Überblicke über Forschungstrends zur Chronik und schlagen neue, kreative Lösungen vor. An vielen Stellen kann zukünftige Forschung ansetzen und das Gespräch fortführen.