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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

328-329

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bullinger, Heinrich

Titel/Untertitel:

Kommentare zu den neutestamentlichen Briefen. 1–2Thess – 1–2Tim – Tit – Phlm. Hrsg. v. L. Baschera u. Ch. Moser.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2015. XV, 304 S. = Heinrich Bullinger Werke. Abt. III: Theologische Schriften, 8. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-290-17784-3.

Rezensent:

Stefan Michel

Welche Leistung! Seit 1531 lebte und arbeitete Heinrich Bullinger in Zürich. Hier hatte er das Trauma der Stadtbevölkerung nach der Niederlage im Zweiten Kappelerkrieg zu verarbeiten. Aber kaum war er in die Stadt an der Limmat berufen worden, begann er mit der Veröffentlichung von Kommentaren zu den Briefen des Neuen Testaments. 1536 erschien sein Kommentar zu den Briefen an die Thessalonicher, an Timotheus, Titus und Philemon, womit die Reihe der Einzelkommentare abgeschlossen wurde. 1537 folgte dann eine erste Gesamtausgabe der Kommentare, die auch die Kommentierung der bis dahin noch nicht besprochenen Briefe enthielt. Dies war seine Antwort auf die Krise: Durch das Wort Gottes können die Gemeinden in Predigten getröstet werden. Dazu bedurften die Prediger guter Kommentare, die ihnen bei der Predigtvorbereitung halfen.
Welche Leistung! 2012 erschien als Eröffnung der Edition der Bibelkommentare B.s die kritische Ausgabe der Kommentare zum Römerbrief und den beiden Korintherbriefen, die Luca Baschera besorgte. 2014 folgten, ebenfalls von Baschera ediert, die Kommentare zu den Briefen an die Galater, Epheser, Philipper und Kolosser. Und nun wurden vom gleichen Bearbeiter die Kommentare zu den Briefen an die Thessalonicher, Timotheus, Titus und Philemon in der bewährten Qualität vorgelegt. Damit entspricht die Editionsleistung fast dem Tempo, das B. beim Schreiben seiner Kommentare an den Tag legte.
Eine knappe Einleitung des Editors eröffnet den Band (VI–XV). Daraus ist zu erfahren, dass B., bevor er diesen Kommentarband bei Froschauer zum Druck gab, über die behandelten Briefe gepredigt hatte. Eine solche Predigt wäre aber ohne Förderer der Reforma-tion nicht möglich gewesen, die B. deshalb mit Widmungen be­denkt. Der Abschnitt über die Briefe an die Thessalonicher ist den Berner Brüdern und Ratsmitgliedern Hans Jakob (1506–1560), Niklaus († 1551) und Reinhart († 1549) von Wattenwyl gewidmet, die er seit 1528 persönlich kannte. B. wollte damit ihr Engagement für die Einführung der Reformation in Bern würdigen. Auch ihr Vater habe sich stets für Anliegen der Reformation eingesetzt. Die Kommentare über die Timotheusbriefe widmete der Zürcher Antistes einem Unterstützer der Reformation in Zug, Werner Steiner (1492–1542). Den Tituskommentar bekam der Kustos des Großmünsterstifts Heinrich Utinger (um 1470–1536) zugeeignet, den B. nicht zu Unrecht als Förderer seiner Studien anredet (235). Utinger hatte bereits Zwingli in seinem Wirken gefördert.
Wie für die anderen Kommentare benutzte B. die Ausgabe des Neuen Testaments von Erasmus von Rotterdam als Textgrundlage, die er durch eigene Übersetzungen anreicherte. Er kommentierte den Text fortlaufend, indem er ein Argumentum an den Anfang stellte, das gewissermaßen die Hauptthemen der jeweiligen Briefe vorstellte. Die Kommentare werden durch thematische Exkurse, wie den über den Antichrist (61–94), die Verwendung der Kirchengüter (131–134) oder die Prädestination (177–179) angereichert. Für seine Darstellung des Antichristen kommen ihm seine historischen Studien zugute, die er vor dem Leser knapp entfaltet. Diese Ausführungen über 2Thess 2 waren so erfolgreich, dass sie separat ge­druckt und auch ins Englische und Deutsche übersetzt wurden. Die Wittenberger Theologie spielt in diesen Kommentaren keine Rolle.
Gründlich weist der Editor die Quellen für B.s Kommentierung nach. Neben altkirchlicher Literatur (z. B. den Ambrosiaster oder die Kommentare der Kirchenväter Tertullian, Hieronymus und Augus­tin), nutze der Reformator antike Autoren (wie Cicero). Als Haupttext wurde der Edition die Ausgabe von 1536 zugrunde gelegt. Abweichungen in der Gesamtausgabe von 1537 werden im kritischen Apparat kenntlich gemacht. Ein sachkritischer Apparat bietet kurze Hinweise zum Verständnis des Textes und vor allem Zitatnachweise.
Ein vierfaches Register über Bibelstellen, Quellen, Personen und Orte erleichtert die Benutzung der Edition (285–304). Wie bei den Vorgängerbänden wurde der Druckausgabe eine identische elektronische Ausgabe als CD-Rom beigegeben, die eine gezielte Suche ermöglicht.
In der in jeder Hinsicht vorbildlichen Edition der Reihe der Kommentare B.s zu neutestamentlichen Briefen fehlen nur noch die Einzelkommentare zum ersten Johannesbrief (1532), dem Hebräerbrief (1532) sowie den Petrusbriefen (1534). Die übrigen Briefe des Neuen Testaments kommentierte B. für die Gesamtausgabe von 1537.