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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

323-325

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kitchen, Kenneth A., and Paul J. N. Lawrence

Titel/Untertitel:

Treaty, Law and Covenant in the Ancient Near East. Part 1: The Texts. Part2: Text, Notes and Chromograms. Part 3: Overall Historical Survey.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2012. LXXIV, 1641 S. m. 7 Ktn. Geb. EUR 298,00. ISBN 978-3-447-06726-3.

Rezensent:

Reinhard Achenbach

Seit der grundlegenden Arbeit von G. E. Mendenhall (Law and Cov-en­ant in Israel and the Ancient Near East, 1954) hat man in der alttestamentlichen Wissenschaft immer wieder die bundestheologisch motivierte Strukturierung der biblischen Rechtstexte, insbesondere des Deuteronomiums, mit altorientalischen Vertragstexten, insbesondere den sogenannten Vasallenverträgen aus neuassyrischer Zeit verglichen und nach gemeinsamen Strukturen und Vorstellungen gesucht. Besonders wirksam dürfte der politische, kulturelle und religiöse Eindruck gewesen sein, den die Vertragspolitik der Assyrer auf das Denken der unterworfenen Königreiche Israel und Juda ausgeübt hat. Die Annahme, dass mit der bundestheologischen Rahmung des deuteronomischen Gesetzes gleichsam ein Gegenentwurf gegen die totalitären Forderungen der Unterwerfung durch die assyrischen Vasallenverträge verbunden gewesen sei, wurde in den letzten Jahren vor allem durch E. Otto (BZAW 284, 1999) und H. U. Steymans (OBO 145, 1995) vertreten. Verpflichtet der Vertrag zu ungeteilter Loyalität gegenüber dem Herrscher, zur Anzeige aller Formen des inneren Widerstands, sogar von Seiten nächster Verwandter, zur Vertragstreue und zur eidlichen Selbstverpflichtung auf den Gehorsam unter Androhung harter Flüche, so ruft das Deuteronomium Israel zur uneingeschränkten Gottesliebe, zur ungeteilten Treue gegenüber dem einen Gott und seinen Geboten und zur eidlichen Selbstverpflichtung auf den Gesetzesgehorsam unter Segens- und Fluch­ankündigungen. Dementsprechend findet man Anklänge an Vasallenvertragstexte in Dtn 6,4–5; 13 und 28. Die These einer unmittelbaren Übernahme von Formulierungen der Vasallenverträge in das Deuteronomium ist indes in den letzten Jahren bestritten worden (C. Koch, BZAW 383, 2008); stattdessen rechnet man mit einer Reformulierung und Fortwirkung der Bundestheologie in neu-babylonischer und früh-persischer Zeit.
Einen groß angelegten Versuch, die bundestheologische Rahmung alttestamentlicher Rechtstexte formgeschichtlich in der Mo­sezeit, also in der 2. Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. zu verankern, bildet das voluminöse Werk des Ägyptologen und Althistorikers Kenneth A. Kitchen und des Akkadisten Paul J. N. Lawrence. Methodisch unterscheidet sich das Verfahren von der Argumentation der biblizistischen Programmschrift von Kitchen (»On the Reliability of the Old Testament«, 2003) nach Auskunft der Autoren dahingehend, dass das mosaische Werk in den großen Rahmen der mesopotamischen und westsemitischen Literaturgeschichte gestellt werden soll. Gegenüber der einschlägigen historisch-kritischen Bibelexegese von Wellhausen bis zur Gegenwart, die als »theorist(isch)« markiert wird, werde nunmehr eine »factualistische« wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt. Deren Grundlage bildet eine Anthologie von Rechtssatzsammlungen, Vertrags- und Bundesschluss-Texten vom 3.–1. Jt. v. Chr.
Auf der Grundlage vorhandener kritischer Ausgaben werden in Umschrift und Übersetzung zunächst die Inschrift der sogenannten »Geierstele« des Eannatum von Lagasch, Texte aus Ebla (TM 75.G.2420; TM 75.G.12137+12139+17092 u. a. m.), der Vertrag des Naram-Sîn von Akkad mit dem Herrscher von Elam (Louvre, Sb 8833) und der Codex Ur-Nammu (Ni 3191) abgedruckt, es folgen sumerische, altbabylonische und altassyrische Rechtssatzsammlungen aus der 1. Hälfte des 2. Jt.s, darunter der Codex Lipit-I štar, der Codex Ešnunna, der Codex Hammurapi, einige Verträge des Zimri-Lim von Mari und der Vertrag zwischen Abba-El von Aleppo und Yarim-Lim von Alalakh (Alalakh-Tafel 456), das Corpus der hethitischen Gesetze und eine Serie hethitischer Staatsverträge und die Mittel-Assyrischen Gesetze, schließlich aus dem 1. Jt. Vertragstexte aus Sefire, neuassyrische Vertragstexte (Assurnerari V., Sanherib, Asarhaddon, Assurbanipal u. a.), neubabylonische Gesetze und eine Reihe hethitischer Vertragstexte, im Anhang schließlich eine Übersetzung der Tafeln von Gortyn (5. Jh. v. Chr.) und von demotischen Rechtstexten aus Hermopolis (3. Jh. v. Chr.) sowie des Vertrags zwischen Hannibal und Philip V. (215 v. Chr.) und zwischen Rom und Lykien (46 v. Chr.). Die immerhin 1086 Seiten umfassende Sammlung soll allerdings keineswegs ein Nachschlagewerk für fachlich einschlägig gebildete Altorientalisten und Philologen bieten, die als serious users ausdrücklich auf die vorhandenen Textausgaben verwiesen werden. Auch der beigefügte philologische Kommentar (»Texts, Notes and Chromograms«) dient kaum der Diskussion und Klärung problematischer Lesarten in den Keilschrifttexten, sondern gibt einige Hinweise zu Datierung und Herkunft der Tafeln und verweist auf terminologische Parallelen und entsprechende Wörterbuchartikel, die das Material in eine formgeschicht-liche Entwicklung einordnen helfen sollen. Dem dienen auch die symbolischen Darstellungen des Aufbaus der jeweiligen Texte, die farblich abgestuft markieren, wo ein »Titel oder eine Präambel«, ein »Prolog«, »Gesetze oder Einzelbestimmungen«, Verweise auf Deponierung und Verlesung des Textes, Zeugen, Segensverheißungen und Fluchandrohungen u. a. m. zu finden sind.
Das eigentliche Anliegen der Unternehmung wird sichtbar an den Stellen, an welchen zwischen der Alalakh Tafel 456, dem Vertrag zwischen Abba-AN von Aleppo und Yarim-Lim von Alalakh, und der Sammlung der Hethitischen Gesetze plötzlich die »Be­richts-Versionen« von den Verträgen zwischen Abraham und Abimelek in Beerscheba (Gen 21,22–24.25–33), zwischen Abimelek und Isaak (Gen 26,26–31) und zwischen Laban und Jakob (Gen 31,44–54) erscheinen, die »traditionell« im 19./18. Jh. v. Chr. datiert werden. Als Quelle wird die »Hebrew Bible« angegeben, wiedergegeben in einer unvokalisierten Umschrift-Version, basierend auf den Editionen von J. ben Chajjim, Venedig 1525, H. D. Ginsburg, London 1926, und der Biblia Hebraica Stuttgartensia, 1977, also dem mittelalterlichen Ben Ascher-Text von 1008 n. Chr. Parallelen zu Mari-Texten begründen die historische Einordnung der »Berichte«. Eine Diskrepanz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit scheint Kitchen nicht zu interessieren. Zwischen den Mittelassyrischen Gesetzen (2. Hälfte 2. Jt.) und den Sefire-Verträgen (8. Jh. v. Chr.) findet man dann den »Bund zwischen Jhwh und Israel I« (Mose am Sinai), Ex 20–Lev 27*, der um 1260 v. Chr. datiert wird, den »Bund zwischen Jhwh und Israel II« (Mose in Moab), Dtn 1–32*, um 1220 v. Chr., den »Bund zwischen Jhwh und Israel III« (Josua in Sichem), Jos 24,1–28, um 1210 v. Chr., sowie den »Persönlichen Bund« zwischen Jonathan und David (1Sam 18,3–4; 1020 v. Chr.) und zwischen »Jhwh und David« (2Sam 7,1–17 par. 1Chr 17,1–15, um 980 v. Chr.). Der im dritten Band mitgelieferte historische Kommentar hebt zunächst hervor, dass die biblischen Texte im Unterschied zu den weiteren altorientalischen Dokumenten »Berichte« über Bundesschlüsse seien und dass sich die alttestamentlichen »Verträge« grundsätzlich dadurch vom übrigen Material unterschieden, dass die Gottheit Jhwh als Israels Souverän angesprochen werde. Allerdings hätten die alttestamentlichen Texte mit den Texten ihrer Zeit gemein, dass »overwhelmingly only in the late 2nd millennium, c. 1400–1200 BC« die Vertragstexte durch eine entsprechende Einleitung als Rede des Souveräns selbst stilisiert worden seien (»So spricht Jhwh, der Gott Israels«, Jos 24,2b). Dass diese Redeeinleitung in den alttestamentlichen Texten Element des narrativen Rahmens und nicht der Vertragsform ist, scheint die Verfasser nicht zu beeindrucken. Dass Mose sich offensichtlich der Formen altorientalischer höfischer Schreiberkunst bedienen kann, kommt ihm nach Meinung der Verfasser zugute, wenn er die göttlichen Texte niederschreiben soll: »Had there been a Moses who (as a Semite brought up at court in Raamses/Pi-Ramesse) had served in the Egyptian foreign office there, helping to draft just such treaties, then it would be no suprise if what the young man learned there proved very useful to him both at Mt. Sinai and in Moab even later.« (Bd. 3, 122) Dass weder vorher noch nachher Texte bezeugt sind, die einen »›people‹-covenant« mit einer Gottheit dokumentieren, ist für die Verfasser Beleg genug für die Annahme, dass »this fact at least indicates that a tradition came into practice within the 14th and 13th centuries, and also died with the latter« (Bd. 3, 129). – Auch im 21. Jh. n. Chr. kann, so hat man den Eindruck, selbst bei hochqualifizierten historischen Philologen nicht ausgeschlossen werden, dass diese sich gegenüber grundlegenden Einsichten historisch-kritischer Bibelexegese des 18. Jh.s weiterhin resistent verhalten. Was soll aber nun der Exeget mit dem Œuvre anfangen, das er sich in Erwartung eines üblicher-weise fachwissenschaftlich qualitativ hochwertigen Produkts des angesehenen Verlages angeschafft hat?
Wie schon einige frühe Werke des Biblizismus, man denke nur an J. A. Bengels »Gnomon«, zeichnet sich der »Kitchen/Lawrence, TLC« dadurch aus, dass die Autoren unendlich viel Zeit und Fleiß aufgewandt haben, um alle nur denkbaren thematischen und philologischen Querverbindungen innerhalb der Textsammlung aufzuzeigen. So enthält der historische Kommentarband zu jedem Text eine zeitlich differenzierte Auflistung von Parallelen in den anderen Texten der Sammlung; sie ermöglicht Überblicke über sozialgeschichtliche und rechtsgeschichtliche Entwicklungen im Alten Orient und – bei kritischer Neujustierung der biblischen Quellen und philologisch umsichtiger Überprüfung der altorientalischen Textbefunde – eine Näherbestimmung des Ortes und der Funktion biblischer Rechtstexte. Im Prinzip ist auch die Bilingualität hilfreich. Es bleibt zu wünschen, dass auch künftige Textausgaben zur Umwelt des Alten Testaments nicht nur eine Übersetzung, sondern auch die Keilschrifttexte in Umschrift bieten, verbunden allerdings mit einem kritischen Anmerkungsapparat, damit auch der fachlich weniger kundige Nutzer auf einer verlässlichen Textgrundlage arbeiten kann, wenn er altorientalische Vergleichstexte bei der Exegese heranzieht.