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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

313-314

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Boukrayâa Trabelsi, Kathrin

Titel/Untertitel:

Zwischen Bravo und Koran. Junge Muslima in Deutschland zwischen westlicher Moderne und religiöser Tradition.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2015. 624 S. = Jugend in Kirche und Gesellschaft, 11. Kart. EUR 64,90. ISBN 978-3-643-12999-4.

Rezensent:

Christian Grethlein

Die Zielstellung der von Ulrich Schwab betreuten Münchener evangelisch-theologischen Dissertation von Kathrin Boukrayâa Trabelsi ist eher tastend. Sie will zum einen »unter besonderem Fokus auf muslimische Mädchen und junge Frauen sowohl die Gemeinsamkeiten mit gleichaltrigen Nicht-Muslima als auch die Besonderheiten junger Muslima in Deutschland« (14) herausarbeiten. Zum anderen soll erhoben werden, »ob allgemeingültige Aussagen über jugendliche Muslima in Deutschland getroffen werden können, oder ob vielmehr eine solch deutliche Heterogenität und Individualität besteht, dass kaum eine Aussage auf jede der jungen Muslims zutreffen kann.« (29) Dazu befragte die Vfn. acht junge muslimische Frauen in semistrukturierten Interviews per E-Mail. Sie bzw. ihre Herkunftsfamilien (bzw. die ihrer Väter) stammen aus unterschiedlichen Ländern: Türkei (zweimal), Tunesien, Palästina, Marokko, Irak, Jemen und Deutschland (diese Interviewte ist mit einem Pakistaner verheiratet, aber bereits zuvor Muslima geworden) und haben unterschiedliche religiöse Ein- und Vorstellungen. Der sich teilweise über etliche Monate erstreckende, im Einzelnen von den Befragten sehr verschieden durchgeführte Mail-Verkehr wird in acht, jeweils wieder mehrfach untergliederten Hinsichten ausgewertet, die dem thematischen Fortgang der Interviews folgen: Identitätsfindung; Religiöse Praxis; Leben in Deutschland; Moralvorstellungen; Islamische Kleidung; Heirat und Ehe; Familie und Erziehung; Bildung und Beruf.
Vor der Auswertung der Mails steht meist eine skizzenhafte Einführung in den thematisierten Problemkreis. Die Auswertung der Mails bemüht sich zum einen um Nähe zu den Äußerungen der Befragten in Form von zahlreichen – in einem anderen Drucktyp gesetzten – Zitaten aus den Mails, die häufig aber nur Teile von Sätzen umfassen. Es folgt eine paraphrasierende und teilweise verschiedene Äußerungen in ein Verhältnis setzende Zusammenfassung. In einem weiteren Schritt versucht die Vfn. eine thematische Klärung vorzunehmen. Dabei bezieht sie sich vor allem auf ein ins Deutsche übersetztes Werk des Islam-Gelehrten an der Al-Azar-Universität Yusuf Al-Qaradawi. Die unterschiedlichen Rechtsschulen finden keine Berücksichtigung. Dazu werden Lesefrüchte aus diversen auch religionspädagogischen, jugendsoziologischen und ähnlichen Publikationen eingestreut.
Insgesamt ergibt sich so ein buntes Bild, das einer Typenbildung entgegensteht. Gewiss ist ein Einfluss des Elternhauses und seiner Religiosität auf die jungen Frauen feststellbar. Doch dieser kann direkt prägen, ebenso aber auch zu Abweichungen führen, und zwar sowohl zu einer entschiedener islamischen Lebensweise (bis hin zum niqab) als auch einer Auflehnung gegen die nicht plausiblen Gebote des Islams. Immer wieder tauchen dabei sehr unterschiedliche Motive auf, das Kopftuch zu tragen – oder eben nicht.
In einem abschließenden Resümee versucht die Vfn., einerseits diese Komplexität nicht einzuebnen, aber doch bestimmte Empfehlungen zu geben. Dabei leitet sie »ein zweidimensionales Verständnis des Integrationsbegriffs« (603). Demnach sucht sie nach Orten und Modi, in denen zum einen Muslima die Logik einer – in sich wiederum sehr pluralen – Logik nichtislamischer Daseins- und Wertorientierung und umgekehrt Nichtmuslime die einer – ebenfalls sehr pluriformen – islamischen Ausrichtung verstehen lernen können. Dabei wird auf die Bedeutung des islamischen Religionsunterrichts ebenso wie auf den Bau öffentlich wahrnehmbarer Moscheen hingewiesen. Allerdings bleibt die tiefgreifende Di­vergenz im Diskurs Sexualität unerörtert.
Insgesamt liegt eine materialreiche Explorationsstudie vor, die anhand konkreter in Mail-Form erfragter biographischer Äußerungen in die Pluriformität der Praxis und religiösen Einstellung junger in Deutschland lebender Muslima einführt. Zur Deutung der entsprechenden, jeweils nur in knappen Auszügen präsentierten Äußerungen wird selektiv – auch qualitativ recht unterschiedliche – Literatur herangezogen.