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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

275-277

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt, Mandry, Christof, u. Hans-Friedrich Müller[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Recht.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. 238 S. = Vorlesungen des Interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt, 10. Kart. EUR 14,80. ISBN 978-3-402-15849-4.

Rezensent:

Martin Honecker

Der Sammelband mit zehn Beiträgen dokumentiert eine Ringvorlesung »Religion und Recht« des Erfurter Interdisziplinären Fo­rums Religion im Wintersemester 2010/11. Der Band ist in drei Abteilungen gegliedert. Ausgangspunkt ist die Beobachtung global agierender fundamentalistischer Bewegungen wie die soziale Auswirkung von Migration und Integration. Dabei wird einerseits zwar der Akzent auf konflikthafte Zusammenhänge gelegt und dabei spielen dann religiöse Bewegungen, Akteure und Traditionen eine wesentliche Rolle. Andererseits besteht häufig die Erwartung, »dass ein neutrales Recht diese Konflikte einhegen und begrenzen könnte. Das Recht tritt damit als objektive Vernunftgröße den religiösen Partikularismen gegenüber.« (7) Betont wird in den Vorträgen, dass Religionen zunächst einmal selbst kulturelle Größen sind.
Die drei ersten Beiträge in Teil I »Innerreligiöse Verhältnisbestimmungen zwischen Religion und Recht« sind dem Religionsverfassungsrecht gewidmet. Myriam Wijlens stellt die Auswirkungen einer »Interaktion von Lehre und kirchlichen Rechtsstrukturen in der katholischen Kirche« nach dem II. Vatikanischen Konzil vor (13 ff.). Sie reflektiert die Wandlungen prinzipiell, ohne näher auf Details einzugehen. Entscheidend ist für sie, dass Rechtsnormen nicht als Lehre zu werten sind. Michael Germann »Evangelisches Kirchenrecht: eine Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Recht für kirchliches Handeln« erörtert die Frage, inwiefern nach evangelischem Verständnis Recht in der Kirche des Evangeliums überhaupt möglich ist (35 ff.). Die Darstellung greift auf die historische Entwicklung zurück und entfaltet kundig die Problemlage. Jonah Sievers »Jüdisches Recht« (57 ff.) führt in die Quellen und praktische Anwendung des jüdischen Rechts – ein Begriff, den das Judentum selbst nicht kennt und gebraucht, das vielmehr von Halacha spricht –, also gründlich in die Halacha ein. Die Halacha regelt das gesamte Leben. Daraus können sich Konflikte mit dem Landesrecht ergeben (z. B. Schächten, Beschneidung). Zu un­terscheiden sind drei große Strömungen des Judentums: orthodoxes, konservatives, liberales Judentum. Den Unterschied beschreibt Sievers anhand der Stellung der Frau, vor allem der Zulassung von Rabbinerinnen (69 f.). Sievers präferiert das liberale Judentum.
Die vier Beiträge in Teil II »Religion und moderner Staat« behandeln Konfliktfelder mit nichtchristlichen Religionen in europäischen Gesellschaften. Hermann Josef Blanke »Religiöse Symbole in Staat und Gesellschaft« analysiert das Grundrecht der Religionsfreiheit anhand von Konflikten um diese Symbole (Mohammed-Karikaturen, Kreuz in staatlichen Schulen, Kopftuch in staatlichen Schulen, muslimisches Gebet in Schulen, Bauverbot für Minarette) (75–ff.). Er plädiert für eine Unterscheidung zwischen einer prinzipiellen Laizität des Staates und einer fördernden Neutralität mit dem Ziel einer Konfliktschlichtung. Die Konfliktfälle sind eingehend geschildert. Matthias Rohe betrachtet auf empirischer Basis, die freilich unsicher und zum Teil unbekannt ist, »Muslimische Grundhaltungen zum säkularen demokratischen Rechtsstaat in Europa« (107 ff.). Offenkundig besteht de facto zwischen islamischer Tradition der Scharia und dem modernen Staat eine wesentliche Spannung, wenn nicht sogar ein Grundwiderspruch. Arno Scherzberg »Religionsfreiheit in der Türkischen Republik« (123 ff.) stellt den Widerspruch vor, wenn die Türkei einerseits ein säkularer Staat sein will, andererseits 1924 eine Behörde geschaffen hat, die als Präsidium für religiöse Angelegenheiten handelt (Diyanet) und 20 % des Staatsbudgets verwaltet. Die Religionsfreiheit ist in der Türkei nur unzureichend verwirklicht (134). Antje Linkenbach »Religion, Säkularisierung und Rechtspluralismus im modernen Indien« (137 ff.) beschreibt eindrucksvoll die Vielfalt indischen Rechts. Eine säkulare Verfassung enthält zwar das Recht auf Reli-gionsfreiheit. Das Personenstandsrecht ist aber nach wie vor hinduistischem Erbe verpflichtet. Informelle Justiz und Kasten- und Dorfräte üben nach wie vor Rechte aus.
Teil III »Historische Konstellationen« nimmt ganz unterschiedliche Themen auf: Wolfgang Spickermann »Kultplätze auf privatem Grund in den beiden Germanien« (167 ff.) deutet historische Aussagen und archäologische Funde. Klaus-Bernward Springer »Un-glaubliches Recht? Der Prozess gegen Meister Eckhart« (197 ff.) referiert den Verlauf und die Beurteilung des Inquisitionsprozesses gegen Eckhart. Hans-Friedrich Müller »Juden in juristischen Berufen« (223 ff.) erinnert zunächst an die Emanzipation jüdischer Ju-ris­ten im 19. Jh., denen es gelang, den Anwaltsberuf zu ergreifen, und danach an die Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Juristen im Dritten Reich.
Der Überblick über die Themen der Beiträge belegt, wie disparat und breit ausgreifend der Inhalt des Sammelbandes ist. Als einzelne Vorträge sind die Themen interessant, aber man vermisst einen Zusammenhang zwischen allen Beiträgen, er ist nicht er­kennbar. Das Thema Recht und Religion umfasst auch mehr als das Religionsverfassungsrecht und das Staatskirchenrecht. Eine vergleichende Auswertung der bemerkenswerten Darstellungen kirchlicher, jüdischer, islamischer und hinduistischer Ansätze wäre ebenso erwünscht wie eine explizite Darlegung der Konzep-tion eines säkularen modernen staatlichen Rechts, das für alle Konfessionen und Religionen Geltung beansprucht. Das Verhältnis von Religion und Recht gründet zudem in einer Rechtskultur, die nicht nur das Verhältnis von Staat und Religion betrifft, sondern auch das Zivilrecht (z. B. Ehe-, Familien-, Erbrecht) und die staat-liche Rechtsordnung (Eid, Verständnis der Rechtsstrafe, Rechtsschutz) beeinflusst. Die neuzeitliche Rechtskultur vertritt eine all gemeine Verbindlichkeit der Menschenrechte und der Rechtssicherheit durch Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Dieser universale Anspruch gerät immer wieder in Konflikt mit partikularen Rechtstraditionen. Das zeigt der Band durchaus eindrucksvoll. Im Spannungsfeld von »Religion und Recht« bleibt aber noch viel zu tun.