Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2016

Spalte:

228-230

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Diller, Kevin

Titel/Untertitel:

Theology’s Epistemological Dilemma. How Karl Barth and Alvin Plantinga Provide a Unified Response. Strategic Initiatives in Evangelical Theology.

Verlag:

Downers Grove: InterVarsity Press 2014. XXVI, 326 S. = IVP Academic. Kart. US$ 34,00. ISBN 978-0-8308-3906-3.

Rezensent:

Ralf-Thomas Klein

Christliche Theologie steht heute vor der Herausforderung, dass ihre Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Relevanz in Frage ge­stellt wird. Nach Einschätzung von Kevin Diller hat diese Herausforderung ihren Grund vor allem in ungelösten erkenntnistheoretischen Fragen, genauer: in einem epistemologischen Dilemma. Dieses Dilemma besteht für den Vf. darin, dass christliche Theologie daran festhalten muss, dass theologische Erkenntnis einerseits keine menschliche Möglichkeit ist, andererseits aber doch eine menschliche Möglichkeit, ja sogar eine Wirklichkeit ist (17.168.295; die Anklänge an Barths Ringen mit der unmöglichen Notwendigkeit menschlicher Rede von Gott sind unüberhörbar). Die überraschende These seines Werkes: Die Theologie Karl Barths und die Erkenntnistheorie Alvin Plantingas, des derzeit wohl einflussreichsten dezidiert christlichen Exponenten analytischer Philosophie, lassen sich so zusammenführen, dass sie eine Antwort auf dieses Dilemma bieten. Überraschend ist die vorgeschlagene Synthese deshalb, weil einerseits nicht wenige Theologen Barth so verstehen, dass er jede Verbindung zwischen Theologie und Philosophie kategorisch ablehnt, und andererseits gerade Vertreter der analytischen Philosophie in ihm einen Exponenten nicht-rationaler Theologie sehen, der keinerlei Beitrag zu einer philosophischen Durchdringung der Gottesfrage leisten kann. Was also kann eine an Barth orientierte Theologie gewinnen, wenn sie sich dem Gespräch mit der analytischen Philosophie öffnet? Was kann analytische Philosophie bei Barth lernen? Der Vf. ist davon überzeugt, dass Barth und Plantinga sich ergänzen, »Barth providing what Plantinga lacks in theological depth, and Plantinga providing what Barth lacks in philosophical clarity and defense« (22).
Dem Werk liegt eine 2008 an der University of St. Andrews vorgelegte Dissertation zugrunde, die inzwischen überarbeitet und um mehrere Kapitel erweitert wurde. Nach einem einleitenden Kapitel wird zunächst die Position Barths entfaltet (43–93): Er­kenntnis Gottes ist nicht vom Menschen aus möglich, sondern nur durch Gottes freie Selbstoffenbarung. In dieser sind personale Begegnung zwischen Gott und Mensch, Versöhnung, Transformation des Menschen und Erkenntnis Gottes untrennbar verbunden. Im Glauben ist Erkenntnis Gottes möglich. Sie hat kognitiven Gehalt, erschöpft sich aber nicht in diesem. Barth lehnt – entgegen einem verbreiteten Missverständnis – nicht Philosophie im Allgemeinen ab, sondern nur Ansätze, die eine Erkenntnis Gottes auch außerhalb seiner freien Selbstoffenbarung für möglich halten.
Im Gegensatz zu Barth hat Plantinga eine allgemeine Erkenntnistheorie entwickelt, die der Vf. allerdings eher skizzenhaft an­deutet als entfaltet. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf Plantingas »Aquinas/Calvin model« (94–166): Er unterscheidet zwischen allgemein theistischen Überzeugungen wie z. B. »Gott ist der Schöpfer des Universums« und spezifisch christlichen Überzeugungen wie »Jesus ist der Sohn Gottes«. Der Mensch hat zwar einen »sensus divinitatis«, ein natürliches »Erkenntnisorgan«, das eine gewisse allgemeine Gotteserkenntnis ermöglicht, durch die Sün-de ist der »sensus divinitatis« aber so beschädigt, dass der Mensch für eine Erkenntnis Gottes, die diesen Namen verdient, auf das Wirken des Heiligen Geistes angewiesen ist. Spezifisch christli-cher Glaube wird durch Gottes Geist geschenkt, meist im Zusammenhang mit dem Hören oder Lesen der Botschaft der Heiligen Schrift.
Die letzten drei Kapitel des Buches (177–300) beschäftigen sich mit einem Vergleich der Positionen Barths und Plantingas zur natürlichen Theologie, zu Glaube und Offenbarung und zur Heiligen Schrift. Der Vf. sieht jeweils große Übereinstimmung trotz kleinerer Differenzen. So dürfte Barth dem »sensus divinitatis« widersprochen haben und für seine Auffassung von der dreifa-chen Ge­stalt des Wortes Gottes findet sich bei Plantinga keine Parallele.
Der Ertrag des Buches besteht vor allem in der detailliert und meist überzeugend entfalteten Beobachtung, dass Barths theologische Erkenntnislehre und Plantingas Epistemologie weitgehend übereinstimmen: Wirkliche Gotteserkenntnis ist keine Möglichkeit des Menschen außerhalb der Selbstoffenbarung Gottes; die Forderung, dass christliche Glaubensüberzeugungen aus jedermann einsichtigen Sätzen abgeleitet werden müssen, wird daher abgelehnt; das Medium, durch das Gott den Glauben wirkt, ist vornehmlich die Heilige Schrift; Theologie muss nicht den Glauben begründen, sondern denkt vom Glauben her.
Verdienstvoll ist auch der Versuch, dialektische Theologie und analytische Philosophie ins Gespräch zu bringen. Wo allerdings Barth von Plantingas »philosophischer Klarheit« profitieren kann, oder dieser von Barths »theologischer Tiefe« (22), wird nur in Ansätzen deutlich (hier scheint mir eine fruchtbare Weiterführung möglich). So etwa, wenn der Vf. feststellt, dass Plantinga – im Gegensatz zu Barth – seine Position stärkt, indem er Inkonsistenzen konkurrierender erkenntnistheoretischer Ansätze aufweist (110), oder dass Plantingas Begriff der Offenbarung weniger entwickelt ist (261), er hier also von Barth lernen könnte.
Inwiefern gelingt es nun dem Vf., die beiden Ansätze zu einer »unified response« auf das epistemologische Dilemma zusammenzuführen, wie dies der Titel des Buches verheißt? Es fällt auf, dass er nicht nur in der Gesamtdarstellung der Kapitel 2–5, sondern auch in den drei vergleichenden Kapiteln zunächst von Barth ausgeht und dann vor allem um den Nachweis bemüht ist, dass Plantinga mit ihm kompatibel ist, auch da, wo kleinere Differenzen bestehen. Das erweckt den Eindruck, dass Barth für ihn das Modell einer theologischen Epistemologie ist, das durch Plantinga vor allem bekräftigt wird. Bei der Darstellung der eigenen Antwort auf das Dilemma hätte noch deutlicher werden können, wo er von Barth abweicht und sich eher Plantinga anschließt oder gar über beide hinausführen will, und wie er dies jeweils begründet.
Plantinga wirkt vor allem auf indirektem Weg auf die »unified response«: Der Vf. entscheidet sich für eine Lesart Barths, die mit Plantinga vereinbar ist. Er ist sich bewusst, dass viele Vertreter der analytischen Philosophie – aber nicht nur sie – manche Aussagen des Schweizer Theologen als »highly perplexing, if not nonsensical« empfinden (48). Sein Anliegen ist es zu zeigen, dass dies ein Missverständnis ist und scheinbare logische Inkonsistenzen aufgelöst werden können.
Ich möchte dies illustrieren am Beispiel der zentralen Frage nach dem Mysterium der Offenbarung, dass nämlich Gott »sich uns nicht anders enthüllen will und kann, als indem er sich verhüllt« (KD I/1, 171). Der Vf. stellt fest: »The notion that God is necessarily hidden in his revelation seems flatly self-contradictory.« (55) Er löst die bestehende Spannung dann so auf, dass »from above or inside the knowing relation, God is really revealed; but, from below or outside the knowing relation, God is utterly hidden« (55). Das Ergebnis seines Interpretationsansatzes ist ein Barth-Verständnis, das einerseits wichtige Aspekte betont – wie etwa Barths »Ja« »in Bezug auf die Erkennbarkeit des Wortes Gottes« (KD I/1, 204) – andererseits aber zumindest in der Gefahr steht, bewusst paradox gewählte Formulierungen zu glätten, anstatt sie festzuhalten oder aber ihnen zu widersprechen. Hier bietet die Arbeit Ansatzpunkte für fruchtbare Diskussionen.
Insgesamt bietet das Buch einen überzeugenden Vergleich von Barth und Plantinga und Ansätze zu einem Dialog zwischen dialektischer Theologie und analytischer Philosophie. Es ist zu wünschen, dass der Impuls zu diesem Dialog auch im deutschsprachigen Diskurs aufgenommen wird.