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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

199-201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tilling, Chris [Ed.]

Titel/Untertitel:

Beyond Old and New Perspectives on Paul. Reflections on the Work of Douglas Campbell.

Verlag:

Cambridge: James Clarke and Co. 2014. 356 S. Kart. £ 25,00. ISBN 978-0-227-17463-0.

Rezensent:

Andreas Seifert

2010 erschien Campbells Werk The Deliverance of God: An Apocalyptic Reading of Justification by Faith, das insbesondere in der englischsprachigen Paulusforschung rezipiert wurde und dort auf viel Kritik gestoßen ist. Campbells These, dass es sich bei Röm 1–3 um die Position eines Gegenspielers des Paulus handele, den dieser in der nachfolgenden Argumentation entkräfte, sowie Campbells kritisches Verständnis der protestantischen Rechtfertigungstheorie, die sich seines Erachtens eben nicht auf Paulus stützen könne (Röm 5–8), verorten sein Werk außerhalb des Mainstreams der gegenwärtigen Paulusforschung. Der vorliegende Sammelband bündelt Aufsätze, die auf Grundlage von Vorträgen auf zwei Konferenzen zu Douglas Campbells Werk am King’s College London und an der Duke Divinity School in North Carolina verfasst wurden. Unter der Herausgeberschaft von Chris Tilling (King’s College) werden hier fünfzehn Beiträge publiziert, deren Reihung innerhalb des Buches eng an die Struktur von The Deliverance of God angelehnt wird: Die Kapitel 1–8 dienen der Erläuterung der Problemstellungen, die Campbell bei seiner Relektüre der Paulustexte ausgemacht hat, die Kapitel 9–15 diskutieren Campbells Lesart von Paulus. Auf jeden Beitrag folgt eine kurze Replik von Campbell selbst, in der er auf die Anfragen der Beitragenden eingeht. Abgerundet wird das Buch durch zwei hier erneut publizierte Aufsätze von James B. Torrance, die Campbell in seinem Denken und in seiner Terminologie tief geprägt haben (z. B. die Gegenüberstellung von »covenant« und »contract«). Es empfiehlt sich, diese beiden Beiträge zuerst zu lesen, da sie ein Schlüssel zum Verständnis von Campbells Pauluslektüre sind und sich durch sie insbesondere sein Unbehagen gegenüber der protestantischen Rechtfertigungstheorie erklärt.
Der erste Beitrag stammt von dem schottischen systematischen Theologen Alan J. Torrance, dem Sohn des für Campbell so prägenden James B. Torrance, der noch einmal die Gegenüberstellung von »covenant« und »contract« aufzeigt und darüber nachdenkt, was es für die paulinische Theologie bedeutet, wenn Campbell mit seiner exegetischen Vermutung Recht hat und erst Röm 5–8 die eigentlich paulinische Position wiedergibt. Im zweiten Kapitel versucht Graham Tomlin Luther aus der Schusslinie zu nehmen, indem er argumentiert, dass Luthers eigene Rechtfertigungstheorie viel näher am Verständnis Campbells orientiert sei, als dieser behauptet (29–31). Besonders hilfreich sind die beiden nachfolgenden Beiträge von Douglas Campbell und Chris Tilling, die noch einmal die in Deliver-ance so wichtige Unterscheidung von Athanasismus und Arianismus in den Blick nehmen: Paulus sei ein Verfechter des Offenbarungsglaubens und einer echten Bundestheologie, die Gnade ohne menschliche Vorleistung beinhalte (44–45). Campbell sieht hier eine enge Verbindung zu Athanasius. Die paulinische Bundestheologie sei im Laufe der Kirchengeschichte durch einen »methodischen Arianismus« verdreht worden, der das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als einen »Vertrag« versteht, in dem der Mensch durch seinen Glauben in »Vorleistung« gehen muss: Repräsentiert werde dieses Verständnis z. B. durch das protestantische sola fide (47). Das Heil erfolge dann nicht mehr aus echter Gnade, sondern als Belohnung zur Erfüllung des Vertrages. Der Patrist J. Warren Smith stellt die Frage, ob die beiden Kategorien »Athanasismus« und »Arianismus« aufgrund ihrer epistemologischen Nähe in dem Zusammenhang überhaupt sinnvoll sind. Er favorisiert stattdessen die Gegenüberstellung »nizänische Apokalyptik« und »eunomäischer Rationalismus«. In Kapitel 6 ist es dann noch einmal Douglas Campbell, der seine These anhand der falschen und voreingenommenen »arianischen« Lektüre von Paulus am Beispiel von Gal 2,15–16 verdeutlicht. David Hilborn antwortet auf Campbells Beitrag mit deutlicher Kritik: Campbells Verständnis von Athanasius sei zu sehr von Barth geprägt, und er stellt sich die Frage, ob das aus diesem Paulusverständnis resultierende Heilsverständnis nicht in letzter Konsequenz das universelle Heil bedeuten müsse (121). In ihrem kurzen Beitrag »The Legal Mind of American Christianity« schließt die Kirchengeschichtlerin Kate Bowler den ersten Teil des Sammelbandes mit einem Beispiel ab, wie der Arianismus das Chris­tentum im zeitgenössischen Nordamerika prägt.
Der zweite Teil des Bandes ist geprägt von der Diskussion über Campbells Relektüre von Paulus, insbesondere dem Verständnis von Röm 1–3. Dieses führt er in Kapitel 9 noch einmal aus und nimmt einige Veränderungen gegenüber seinem Buch von 2010 vor. Er liest Röm 1–3 (insbesondere 1,18–3,20) nicht mehr als die Gegenposition eines tatsächlichen Gegenspielers des Paulus, sondern als einen sokratischen Elenchus, eine fiktionale Gegenposition, von der ausgehend Paulus seine Argumentation aufbauen kann. Die sokratische Relektüre Campbells wird im Anschluss von Robert Griffith-Jones (Kapitel 10) und Brittany E. Wilson (Kapitel 11) in Frage gestellt. Griffith-Jones untersucht antike Texte und stellt fest, dass sowohl bei Sokrates als auch bei anderen antiken Autoren der Wechsel der sprechenden Person angekündigt und kenntlich gemacht wird. Ein solcher offensichtlicher Wechsel zwischen zwei Sprechern fehle in Röm 1–3 völlig (162–163). Auch Wilson lehnt die sokratische Lesart ab und verweist vielmehr auf Beverly R. Gaventas These, die Röm 1–3 als integralen Bestandteil einer apokalyptischen Argumentationslinie in Röm 1–8 versteht. Um die Erlösung des Menschen nachvollziehen zu können, sei es notwendig, vorab zu erläutern, wovon er erlöst werden muss: Dies erfahre der Leser in Röm 1–3. Leider geht Campbell in seiner Replik auf den Ansatz Gaventas nicht weiter ein. In Kapitel 12 meldet sich noch einmal Campbell selbst zu Wort und untersucht den Dikaios-Begriff im Römerbrief, aus dessen falschem Verständnis sich in der westlichen Tradition ein forensischer Rechtfertigungsbegriff entwickelt haben soll (196–197). Scott Hanfman betont noch einmal die Bedeutung des Bundesbegriffes und die Position, die Gott als gerechter König einnimmt. Dadurch bekommt der Gerechtigkeitsbegriff bei Paulus eine stärkere Bedeutung, als Campbell ihm zukommen lässt. In den Kapiteln 14 und 15 beleuchten Chris Tilling und der evangelikale Theologe Curtis W. Freeman den Glaubensbegriff Campbells, der in Deliverance nur am Rande, nämlich in den Endnoten, ausgeführt wird (234 f.) und den er von »arianischen Einflüssen« zu befreien versucht. Freeman antwortet auf diesen Versuch mit einer Erklärung, warum Campbell aufgrund seines Verständnisses der Genitivverbindung pistis Christou bei evangelikalen Christen auf Ablehnung stoßen wird, da sie vor allem einer unitarischen und weniger einer trinitarischen Theologie anhängen.
Insgesamt dient der Sammelband als willkommener Kommentar zu Campbells umfassendem und dadurch auch stellenweise unübersichtlichem Hauptwerk. Die Autoren richten den Fokus auf die Hauptthesen und zeigen auf, dass die Thesen Campbells auch bei einer kritischen Bewertung durchaus Anstöße liefern, um unreflektierte Überzeugungen noch einmal neu zu durchdenken. Dabei muss man Campbells Standpunkte durchaus nicht teilen, wie die vielen kritischen Beiträge, insbesondere zu seinen exegetischen Thesen, zeigen. Campbell weiß nicht auf jede Kritik eine angemessene Antwort zu geben, so dass einige Repliken überflüssig erscheinen (etwa die zu dem Beitrag von Brittany Wilson). Die umfassende Biographie sowie der Stellen- und Sachindex runden den gelungenen Eindruck des Sammelbandes ab.