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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

95-97

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Essen, Georg u. Danz, Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Philosophisch-theologische Streitsachen. Pantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011. VII, 285 S. Geb. EUR 59,90. ISBN 978-3-534-21445-7.

Rezensent:

Sabine Schmidtke

Mit dem von dem katholischen Theologen G. Essen sowie dem evangelischen Theologen Ch. Danz herausgegebenen und zum Teil verfassten Band liegt eine umfassende Rekonstruktion »philosophisch-theologischer Streitsachen« aus der »Sattelzeit der Moderne« vor.
Zunächst bietet der Philosoph W. Jaeschke einen Überblick über die »Religionsphilosophische Sattelzeit der Moderne« (7–92), ausgehend von der philosophischen theologia naturalis im 17. Jh. über die Ethikotheologie Kants und deren breite Rezeption sowie Ablösung durch ästhetisch-neomythologische Religionskonzepte hin zur Etablierung der Religionsphilosophie als eigener Disziplin. J.s Darstellung der Religionsphilosophie wird dem eigenen An­spruch, »zur Erkenntnis ihrer Möglichkeiten, aber auch ihrer Gren­zen; ihrer Irrwege und vielleicht auch eines gangbaren We­ges« (8) beizutragen, gerecht. Für das Verständnis der anschließend verhandelten Konflikte ist insbesondere der Aufweis der Aporien in Kants Konzeption erhellend (14–22), aufgrund derer es zu der divergenten Rezeption und Weiterführung kommt (27–41), die schließlich in das »Ende der moralischen Religion« (41–50) münden. Dem Weg über eine ästhetisch-mythologische Fassung des Religionsbegriffs (53–55.65–68) hin zu einer neuen Konzeption von Philosophie und Religion (75–79) geht J. auch in der Philosophie Schellings nach. Gegen Eschenmayers Behauptung der Zugehörigkeit der Gottesfrage zur »Nichtphilosophie« bestimmt Schelling – wie auch später gegenüber Jacobis »Philosophie des Nichtwissens« (255) – »das Absolute« als eigentlichen Gegenstand der Philosophie. J.s Darstellung von Fichtes »Anweisung zum seligen Leben« (79–82) greift hingegen auf eine Zeit vor, die dem »Atheismusstreit um Fichte« (135–213) folgt und in der dieser seine Religionsphilosophie der breiten Öffentlichkeit vorlegt. Schließlich zeichnet J. die Entstehung und Gestaltung der Religionsphilosophie Hegels nach. Ausgehend von deren Anfang in dem Versuch, »einen Religionsbegriff zu entwickeln, der sich nicht in der Deutung der Religion als Tugendlehre erschöpft und dennoch Religion nicht als bloß Positives fasst« (40.36–41), rekonstruiert J. die Entwicklung (43–46.53 f.71–75) bis zu ihrer abschließenden Fassung »als Philosophie« (83–88) bzw. »Phänomenologie des Geistes« (88–92). Neben der Auseinandersetzung mit den großen Figuren des Deutschen Idealismus bietet J.s Skizze einen Einblick in die religionsphilosophischen Grundgedanken verschiedenster Denker »um 1800«. Die äußerst dichte Darstellung erfordert hohe Aufmerksamkeit, die aber reichlich belohnt wird.
In der Aufbereitung des sogenannten Pantheismusstreits (93–134) spitzt der evangelische Theologe M. Murrmann-Kahl die Auseinandersetzung auf die, aus der »Kollision zwischen Spinozas unendlicher Substanz mit der christlichen Vorstellung des Schöpfergotts« (102) resultierende Frage zu: »Soll Gott mit der Tradition als ›Persönlichkeit‹, Wesen mit Vernunft und Willen, als Schöpfergott im Gegenüber zur Welt verehrt werden (Theismus) oder im Sinne einer rationalistischen Metaphysik als unendliche Substanz gedacht, die der Welt immanent ist (aber eben ohne Wissen und Wollen)?« (95) Neben einer Vorstellung der involvierten Personen (95–99), einer gründlichen Analyse der konfliktauslösenden Schrift Jacobis (99–105), mit der die Philosophie Spinozas erst zu größerer Bekanntheit gelangt, sowie der Verteidigung Lessings gegenüber dem mit dem Spinozismus- verbundenen Atheismusvorwurf in Mendelssohns Schriften, bietet M.-K. einen Ausblick auf »Reak-tionen und Präzisierungen« (109–120) u. a. bei Schleiermacher und Kant sowie einen Einblick in einen »Sonderfall von ›Neospinozismus‹: Hegel« (126–130). Mit dem Rekurs auf die Intention Spinozas (120–126) wird deutlich, inwiefern der Konflikt als »ein Streit um das angemessene Freiheitsverständnis« (125) aufgefasst und darin in seiner aktuellen Relevanz gewürdigt werden könnte. Demgegenüber bleibt die eigentliche »Würdigung des Streits« (130–134) mit ihrer Forderung nach einer produktiven Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, die das »Eigenrecht des religiösen Glaubens wie die intellektuelle Eigenlogik der Vernunft« (134) wahre, etwas vage.
Ch. Danz widmet sich in seinem Beitrag (135–213) nicht nur der Veranlassung des Atheismusstreits (160–172) durch Forbergs Entwickelung des Begriffs der Religion und Fichtes Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung sowie seiner literarischen Austragung (172–211), sondern rekonstruiert minutiös die »werkgeschichtliche Entwicklung der Religionsphilosophie Fichtes bis zum Atheismusstreit« (136–160) – angefangen bei den Aphorismen über Religion und Deismus bis zu der transzendentalphilosophischen Religionsphilosophie der Platner-Vorlesungen, in de­nen Fichte bereits die Position vertritt, dass »Gott« ein notwendiger Gedanke und identisch mit der moralischen Weltordnung, d. h. aber eben gerade nicht personal oder substantial zu denken sei. Die Art der Rekonstruktion führt inhaltlich zwar unvermeidlich zu Redundanzen, erhellt jedoch den Fichteschen Ansatz ungemein und lässt deutlich werden, inwiefern Fichte die Forbergsche vermögenstheoretische Deduktion und Begründung der Religion durch das Gewissen nicht unkommentiert lassen kann. Ebenso erschließt sich vor diesem Hintergrund die Danzsche Deutung (211–213), die in diesem Streitfall einen Konflikt »um die Grundlagen des menschlichen Selbstverständnisses« erblickt, der »im Medium des Gottesbegriffs« (213) geführt werde.
Den Abschluss des Bandes bildet die Darstellung des Theismusstreits (215–257), in dessen Untersuchung G. Essen weniger den Fokus auf die bereits bekannten Themen legt als auf seine paradigmatische Bedeutung, der zufolge der Streit »die moderne Entzweiung von Glaube und Vernunft, Gott und Welt, Religion und Wissenschaft, die eigentlich doch erst nach dem Zerfall des Deutschen Idealismus […] um sich greifen wird, in einem gewissen Sinne bereits antizipiert« (217). Dass Jacobi nicht zögerlich ist, den Spinozismus- resp. Determinismus- resp. Atheismusvorwurf zu erheben, erfährt nun auch Schelling, der in Jacobis Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung als Adressat der Kritik erkennbar wird (215–223). E.s Skizze der philosophiehistorischen Hintergründe der Kontroverse (223–232) verdeutlicht, inwiefern Jacobi angesichts des radikalen Wandels in Selbst-, Welt- und Gottesverständnis meint, den personalen Schöpfergott nur durch einen salto mortale in den Glauben retten zu können, und warum Schelling der idealistischen Ich-Philosophie, gegen den in »dieser Zeit […] sich anbahnenden Dualismus von ›Geist‹ und ›Natur‹« (230), eine Na­turphilosophie ergänzend zur Seite stellen möchte. Jacobis Streitschrift sowie Schellings Erwiderung rekonstruiert E. auf dieser Basis in ihrem Argumentationsgang und ihrer Stoßrichtung und erweist den Theismusstreit »als einen Streit um die Vernunft« (241), der sich als solcher auch in der Nachgeschichte des eigentlichen Konflikts (242–257) fortsetzt.
Die umfassende philosophiehistorische Analyse, die eindrucksvoll den Plausibilitätsverlust des traditionellen theistischen Gottesverständnisses sowie die existentielle Dimension der »Streitsachen« dokumentiert, hätte an Reiz noch gewinnen können, wenn die im Vorwort der Herausgeber (1–6) betonte aktuelle Relevanz in den einzelnen Beiträgen expliziter gemacht worden wäre. Ein strukturiertes Verzeichnis von Quellen- und Sekundärliteratur zu den einzelnen Beiträgen sowie ein Personenregister runden diesen lesenswerten Band ab.