Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

50-51

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fiensy, David A.

Titel/Untertitel:

Christian Origins and the Ancient Economy.

Verlag:

Cambridge: James Clarke 2014. 246 S. Kart. £ 22,50. ISBN 978-0-227-17476-0.

Rezensent:

Lukas Bormann

David A. Fiensy ist Professor für Neues Testament an der Kentucky Christian University und hat sich in den letzten Jahrzehnten mit Fragen der sozialen Ordnung und der Ökonomie Palästinas in neutestamentlicher Zeit befasst. Die hier zusammengestellten Beiträge wurden zwischen 1995 und 2013 publiziert; ein Beitrag – zum Zusammenhang von Wohnraum und Le­bensstandard – ist zum ersten Mal veröffentlicht (Kapitel 8). Das Buch ordnet die Einzelartikel als elf Kapitel in drei Teilen: 1. Der Historische Jesus (Kapitel 1 und 2), 2. Galiläa (Kapitel 3–8), 3. Die frühe Kirche (Kapitel 9–11). Die gewählten Untersuchungsgegenstände stammen überwiegend aus der Zeit vor der Zerstörung des Zweiten Tempels und beleuchten die Zeit Jesu und der Jerusalemer Urgemeinde.
Teil 1: Galiläa sei zur Zeit Jesu eine agrarische Gesellschaft gewesen, deren Produktions- und Besitzverhältnisse von einer kleinen lokalen Elite, deren Bevölkerungsanteil etwa 1–3 % betrug, kontrolliert wurde. Jesus selbst stammte aus der Schicht der (Wander-) Handwerker (24), die in der Antike aus der Perspektive der Elite nicht gerade angesehen gewesen sei (18.50.193). Er habe damit aber die besten Voraussetzungen gehabt, als Vermittler zwischen den einfachen Bauern und der Elite zu fungieren, weil er sich in beiden Schichten zu bewegen wusste. Derartige soziale Vermittler seien diejenigen gewesen, die in agrarischen Gesellschaften gelegentliche Unzufriedenheit und lokale Proteste der Bauern mit übergeordneten Anliegen zu verbinden und zu Aufstandsbewegungen zu formen wussten (50). Jesus sei ein solcher Vermittler und Anführer einer »bäuerlichen Massenbewegung« gewesen (55).
Teil 2: In den neutestamentlichen Texten sind Schulden ein wichtiges Thema. Die Zerstörung des Archivs mit Schuldtiteln in Jerusalem durch die Aufständischen des Jahres 66 weise auf Konflikte um Schuldverhältnisse hin. Es sei aber nicht zu entscheiden, ob es eine massive, den sozialen Frieden gefährdende Verschuldung der Bevölkerung in Galiläa zur Zeit Jesu gegeben habe (66). Ebenso wenig seien Hungersnöte oder ökonomische Krisen zu belegen, vielmehr habe es die agrarische Gesellschaft im unteren Galiläa vermocht, die Bevölkerung zu ernähren, die geforderten Abgaben an Tempel und Elite zu leisten und in einem gewissen Umfang internen Handel zu treiben (77–80). Es habe zwar vermutlich Konfliktpotential zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung gegeben, es gebe aber keine Belege dafür, dass sich daraus Krisen und Konflikte entwickelt hätten (95–97). Für das untere Galiläa gebe es keine Evidenz für ausgedehnten Großgrundbesitz, allerdings sei die angrenzende Jesreel-Ebene über Jahrhunderte in königlichem und kaiserlichem Besitz gewesen, und auch im Bet-Netofa-Tal mag es Grundbesitz mittlerer Größe für die städtischen Eliten von Sepphoris gegeben haben (101–117). Untersuchungen zur Qualität und Quantität des Wohnraums erlaubten keine sicheren Schlussfolgerungen auf einen steigenden, gleichbleibenden oder fallenden Lebensstandard. Bestenfalls könne man ein bescheidenes Wachstum der Lebensverhältnisse bis zu einem gewissen Höhepunkt im Jahr 100 n. Chr. plausibel machen (141 f.).
Teil 3: Die Kapitel 9 und 10 befassen sich mit der Jerusalemer Urgemeinde vor dem Hintergrund der sozialen Ordnung und Ökonomie Judäas. Der in Apg 4,32–35 so anschaulich geschilderte ge­meinschaftliche Besitz habe auf Freiwilligkeit beruht. Die Urgemeinde habe Reichtum, der durch Ausbeutung entstanden sei, abgelehnt und zugleich das soziale Prestige, das Reichtum verleihe, zurückgewiesen. Sie habe damit zum Ausdruck gebracht, dass sie Besitz nicht nach diesen weltlichen Kategorien beurteile (157–159). Die soziale Zusammensetzung der Jerusalemer Gemeinde habe in etwa die soziale Ordnung der Stadt widergespiegelt (172–175): Einige ihrer Mitglieder hätten Land und Sklaven besessen, andere seien von priesterlicher Herkunft gewesen und wieder andere waren offensichtlich arm. Das Schlusskapitel weitet den Blick auf die präkonstantinische Kirche insgesamt und untersucht die von Christen ge­wählten Berufe. Für die Untersuchung wird eine große Zahl sehr unterschiedlicher Quellen aus den ersten vier Jahrhunderten ausgewertet. Bestimmte Berufe seien zwar ethisch abgelehnt worden – Prostitution, Militär, öffentliche Ämter galten für Christen als un­angemessen –, aber dennoch gebe es zahlreiche Belege für christliche Soldaten und Amtsträger. Im Ergebnis wird wenig überraschend festgehalten, dass Senatoren, Ritter, aber auch die sogenannten absolut Armen (»the miserably poor«) in der Gemeinde fehlten, wohl aber einige reiche und erfolgreiche Christen und eine große Zahl von Handwerkern und Kaufleuten zu belegen seien (205 f.). Ein Literatur- und ein Schlagwortverzeichnis schließen den Band ab.
Insgesamt zeichnen sich die Beiträge durch einen eindrucksvoll souveränen und kenntnisreichen Umgang mit der Sekundärliteratur aus. Aufbauend auf den Fragestellungen der Klassiker wie Rostovtzeff, MacMullen, Garnsey, Alföldy u. a. wird die neuere Literatur ausgewertet. Methodischer Ausgangspunkt für die Überlegungen ist häufig Lenskis Modell der sozialen Ordnung in agrarischen vormodernen Gesellschaften, knapp zusammengefasst auf S. 69, von dem sich der Vf. aber immer wieder, angeregt durch seine Analyse der Quellen, kritisch absetzt. Der Umgang mit den Quellen selbst ist allerdings eher illustrativ als analytisch, z. B. werden die Aussagen der Apostelgeschichte kaum kritisch hinterfragt. Manche Wiederholungen fallen auf, bisweilen werden einzelne Absätze wortidentisch übernommen, in einem Fall wird sogar eine mehrseitige Passage »recycelt« (vgl. 27–29 mit 50–53). Auf Akzente im Griechischen wird durchweg verzichtet. Der Vf. gibt einen guten Überblick über theoretische und empirische Fragestellungen zur Sozialgeschichte und Ökonomie Palästinas. Er zeigt die Gegensätze und Aporien der Forschung auf und nimmt durchweg eine vermittelnde Position ein. Besonders wertvoll sind die Ausführungen zur Ökonomie Galiläas.