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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

41-44

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knafl, Anne K.

Titel/Untertitel:

Forming God. Divine Anthropomorphism in the Pentateuch.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2014. XIV, 311 S. = Siphrut. Literature and Theologie of the Hebrew Scriptures, 12. Lw. US$ 54,50. ISBN 978-1-57506-316-4.

Rezensent:

Thomas Staubli

Die unter Michael Fishbane (Chicago) erarbeitete Dissertation klärt die Frage, ob das alte Israel Gott in Analogie zum Menschen aufgefasst hat und wenn ja wie. Sie geht von der Grundannahme aus, dass der Pentateuch aus fünf Quellen gespeist wird, J, E, D, P und H, wobei gelte: J und E sind älter als D; D und P sind jünger als H; J und E kennen sich gegenseitig nicht, D und P auch nicht. Das Ergebnis fällt positiv aus. Ausgehend von der Beobachtung, dass Gott einen Körper hat, der irgendwo lokalisiert ist und von dort aus mit an-deren Wesen interagiert, gelangt K. zu folgender Typologie der An­thropomorphie Gottes:
Körperliche Anthropomorphismen sind offensichtlich, wenn Gott spricht, hört, riecht oder die Gesetzestafeln schreibt, besonders bei J. Typisch für E und D ist das Sprechen von Angesicht zu Angesicht und von Mund zu Mund, während P eher indirekt von Gottes Körper spricht. Die emotionale Spannung zwischen Zorn und Mitleid findet sich in allen Quellen, wenngleich unterschiedlich akzentuiert. Sie belegt, dass JHWH nicht als allwissender Gott begriffen wurde, sondern als einer, der in Auseinandersetzung mit dem Volk die Zukunft zu meistern versucht. Speziell um Gottes Macht auszudrücken, werden Körperbilder verwendet (Hand, Arm, Finger).
In Bezug auf ein Gegenüber (»proximate«), also in seiner konkreten Präsenz, erscheint Gott bald aktiv, etwa durch den Garten wandelnd und die Arche schließend (J), durchs Lager gehend (D), im Zelt umherziehend (H), mit Jakob kämpfend (E), Abraham und Jakob erscheinend (P), bald passiv als jemand in der Lade oder im Himmel, dem sich die Israeliten (im Kult) »annähern« (שגנ J/E, ברק P). Besonders für P ist die permanente Gegenwart in der Lade konstitutiv.
Interaktive Anthropomorphismen drücken Gottes Einfluss auf die Handlungen anderer aus. Seine Macht zeigt sich im Wunder der Spaltung des Meeres oder der ägyptischen Plagen. Die Kehrseite davon sind magische, theomorphe Handlungen von Menschen, durch die Gott wirkt und in denen sich ein anthropomorphes Gottesverständnis spiegelt. Bei J und P übernimmt Mose oft die Rolle des Mittlers göttlicher Handlung. Alle Quellen zeichnen JHWH als einen an Israel interessierten Gott, der sich um sein Volk kümmert. Am deutlichsten ist der interaktive Anthropomorphismus dort, wo Gott spricht, selbst wenn ein narrativer Kontext fehlt, denn die Rede selbst erfolgt in Analogie zu menschlicher Rede, deren Ziel es ist, die außerhalb des Sprechers befindliche Welt zu beeinflussen. Bei P und E ist die Rede Gottes mit Mose besonders stark stilisiert.
Von Figuren- oder Rollenanthropomorphismen (»characteristic a.«) kann man dann sprechen, wenn der israelitische Gott im Stile antiker, literarischer Bildsprache die Rolle des Königs übernimmt, dessen Gebote das Volk befolgt und von dessen Patronat es profitiert. Besonders P kontrastiert JHWH mit Pharao. Seine Darstellung des Begegnungszeltes spiegelt einen königlichen Hof. JHWHs Königtum ist daher mehr als eine reine Metapher. D und E greifen im Zusammenhang mit Wallfahrten auf diese Bildsprache zurück und D insistiert auf der Propaganda des göttlichen Namens analog zu dem von Königen. In allen Quellen kann dieser König das Wesen des Kriegers annehmen oder das von Eltern (etwa im Paradies von J) bzw. das eines Verwandten oder Patriarchen, der Land verteilt, segnet und flucht oder sein Volk aus der Sklaverei auslöst.
Von sozialem Anthropomorphismus spricht K., wenn göttliche Handlungen die Gestalt kulturellen Verhaltens annehmen. Das trifft insbesondere auf das für alle Quellen wichtige Bundesverhältnis zwischen Gott und den Menschen zu, bei P mit den Ahnen, bei J, E und D mit dem Volk am Sinai/Horeb. Wie beim Rollenanthropomorphismus liegt hier eine starke Affinität zum Königtum vor. Soziale Interaktionen können die Form des Kults annehmen, des ritualisierten Mahles von Patron und Bittsteller bei P, der Gabe der Pilger bei D, des Dankesmahles nach der Sintflut bei J. Auch der göttliche und menschliche Sabbat bei P gehört in diese Kategorie.
Mittelbarer göttlicher Anthropomorphismus schließlich liegt dann vor, wenn eine raum-zeitliche Distanz zu Gott geschaffen wird, indem etwa nur von einer Himmelsstimme die Rede ist oder wenn Gott über eine Erfahrung wie einen Traum oder eine Vision mit dem Menschen in Kontakt tritt (besonders bei E; vgl. aber auch die Theophanie Gottes in Gen 18 J) oder seine Gegenwart durch Begleiterscheinungen von Theophanien anzeigt oder wenn ein übernatürlicher oder menschlicher Mittler Gott vertritt. Den göttlichen Boten ( ךאלמ) kennen nur J und E, menschliche, besonders Mose, dagegen alle Quellen, wobei E und D die prophetische Dimension unterstreichen. In P übernimmt die priesterliche Hierarchie Mittlerfunktion, aber auch jeder Mensch, insofern er als »mediated form of either divine presence or divine rule on earth« (266) geschaffen wurde.
Die fünf Pentateuchquellen lassen sich nach K. in Bezug auf Gottes Anthropomorphität wie folgt charakterisieren:
– J: Mensch und Gott existieren von Beginn der Schöpfung in großer Nähe, auch wenn es zwischen beiden zu Differenzen kommt. Aber JHWH sieht menschliches Handeln nicht voraus. Während der Erzelternzeit tritt JHWH über Handlungen und Reden in Erscheinung, nicht jedoch über seine Form. Auch einen fixen Kultort gibt es nicht – möglicherweise ein Versuch von J, das Leben in vergangenen Tagen zu illustrieren. Am Sinai sieht eine Elite JHWHs Füße, Moses sogar seinen Handteller und Rücken. JHWH wird als menschliche Form begriffen.
– E: Gott wohnt primär im Himmel. Die Beziehung zu ihm funktioniert mehrheitlich über Medien wie Träume und Visionen. Jakob und Mose sind die einzigen Menschen, die von Angesicht zu Angesicht mit Gott kommunizieren. Israeliten können individuelle Altäre bauen (Bundesbuch), die Gott besucht. Es gibt Bundesschlüsse, Belohnungen und Bestrafungen. JHWH reagiert aber auch auf menschliche Intervention.
– P/H: Gottes Körper wird nicht explizit beschrieben, Funktionen, Handlungen und Lokalisierungen setzen einen solchen jedoch voraus, und zwar in Analogie zu einem König, ja, Gott und Mensch »share the same image« (269). JHWH kommuniziert mit den Ahnen und mit der Schöpfung. Er ist Teil einer hierarchischen Kommunikationsstruktur (JHWH – Moses – Aaron – Leviten), keine transzendente Gottheit, sondern – im Gegensatz zu Gott bei J und E – während des ganzen Exodus inmitten seines Volkes. Das Motiv vom göttlichen Zorn finden wir bei P nicht, doch kann ein Vergehen an seiner Heiligkeit fatale Folgen haben. Zeichen und Gedächtniseinrichtungen können davor bewahren und – »YHWH learns to compromise his zealous protection of order to account for human nature« (271).
– D: Auch dieser Autor verzichtet meist auf eine explizite Beschreibung Gottes, setzt aber wie E eine göttliche Präsenz in menschlicher Gestalt voraus, sei es am Horeb oder am Kultort, der nun ein einziger, erwählter Ort ist, wo Gottes Name gesetzt ist, aber auch im Himmel. JHWHs Emotionen schwanken zwischen Zorn und Erbarmen. Er wird als erobernder König gezeichnet, der mit seinem Volk einen Vertrag schließt, aber auch als fürsorglicher Vater, der während der ganzen Wüstenwanderung da ist.
Der Quellenvergleich lässt K. weder auf eine chronologische Entwicklung noch auf eine Polemik schließen, vielmehr hält sie die Unterschiede für Akzentuierungen einzelner Autoren. Auch seien die Gemeinsamkeiten zu stark, als dass von den Anthropomorphismustypen auf ihre Autoren zurückgeschlossen werden könne. Alle Quellen wiesen ferner ein zutiefst anthropomorphes Gottesverständnis auf, das angebliche kategorische Differenzen zwischen einem biblischen und einem altorientalischen Gottesbild obsolet mache. Was sich der Redaktor bei seiner Arbeit gedacht hat, warum er die Einheit der angeblich vorliegenden Autorenwerke nicht respektiert hat und was das für die Gottesbilder bedeutet, wird nicht thematisiert.
K.s Anthropomorphismustypologie beruht auf einer treffenden Kritik anachronistischer Anwendungen der Kategorien immanent/transzendent in früheren Studien, zuletzt von Geller und Kawashima (14–18), sowie auf einer Kritik evolutionistischer Ansätze, die sich bei näherem Zusehen als Werteprojektionen herausstellen, in denen eine Vorzeit mit angeblich kruden, anthropomorphen Gottesvorstellungen gegen eine spätere Differenzierung mit abstrakteren Gottesvorstellungen ausgespielt wird oder ein monotheistisches, antimagisches Israel gegen ein von Naturmächten bestimmtes Umfeld (19–22). Ältere Forschungsresultate von Kaufmann, von Rad, Weinfeld, Korpel, Knohl, Muff, Hamori, Sommer und Wagner werden unter diesen Gesichtspunkten kritisch kommentiert (6–12).
Eine Diskussion der Relevanz anthropomorpher Gottesbilder auf Bildträgern aus der Südlevante (Schroer, Silvia/Staubli, Thomas, Der göttliche Körper in der Miniaturkunst der südlichen Levante. Einblick in theologisch vernachlässigte Daten, in: I. Riedel-Spangenberger/Erich Zenger [Hrsg.], »Gott bin ich, kein Mann«. Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede. FS H. Schüngel-Straumann, Paderborn u. a. 2006, 124–155) für das Denken der hypothetischen Pentateuchautoren und -redaktoren bleibt hingegen aus.
Was die der Arbeit zugrundeliegende Annahme angeht, dass die Tora das redaktionell zusammengefügte Konglomerat von fünf Autorenschriften sei, verweist K. auf die Erneuerung der Dokumentenhypothese durch Baden. Sie ist sich der Tatsache bewusst, dass sie damit eine Minderheitenposition einnimmt, ist zugleich aber – und zu Recht – zuversichtlich, dass ihre Anthropomorphismustypologie unabhängig davon hilfreich sein wird für die künftige Forschung.