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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

21-23

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Küster, Volker, and Robert Setio [Eds.]

Titel/Untertitel:

Muslim Christian Relations Observed. Comparative Studies from Indonesia and the Netherlands.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. VII, 391 S. m. 11 Abb. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-03794-0.

Rezensent:

Olaf Schumann

Der hier vorliegende Sammelband ist der »akademische output« einer gemeinsamen Konferenz von christlichen und muslimischen Theologen und Akademikern aus den Niederlanden und Indonesien über die Beziehungen beider Religionsgemeinschaften in diesen Ländern zurück. Die Initiative zu diesem Studienunternehmen wurde auf einer gemeinsamen Sitzung von Vertretern der Missionsabteilung der Protestantischen Kirche in den Niederlanden und der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien in Kaliurang bei Yogyakarta, Mitteljava, im Oktober 2010 gefasst. Beiden nahestehende akademische Institutionen wurden später zur Mitarbeit eingeladen ( Introduction, 9). Eine Folge dieser Sitzung war die Gründung eines »Indonesian Dutch Consortium on Muslim-Christian Relations«, das auf einer weiteren Konferenz 2012, ebenfalls in Kaliurang, die Bearbeitung von fünf Themenkreisen beschloss: »Identität«, »Religion und Staat«, »Gender«, »Hermeneutik« und »Theologie des Dialogs«. Ein erheblicher Teil des zu analysierenden Materials sollte durch Interviews gesammelt werden, anderes durch Beiträge der am Programm Mitarbeitenden. Unbestritten wurde von allen Beteiligten die Anerkennung ihrer jeweiligen Ge­sellschaft als »modern«, und damit als »plural«, vorausgesetzt.
In den hier zur Sprache gebrachten Beiträgen spiegelt sich die bunte Palette der Situationen in beiden Ländern, von den aus verschiedenen Regionen zusammengewürfelten Muslimen im Haag und ihrem Verhältnis zu Muslimen aus anderen Teilen der islamischen Welt (z. B. 26 f.), bis hin zu den Muslimen und Christen aus Konfliktregionen in Indonesien, und immer wieder die in und seit der Kolonialgeschichte gewachsenen familiären Beziehungen (Mischehen, religiös-plurale Familien und Familienverbände, usw.). Es zeigt sich auch, dass die Pancasila (»5 Säulen« als weltanschauliche Richtlinie der Indonesischen Republik, z. B. 32 f.118.341; S. 44 zu korrigieren: »Pancasila is […] ›one of four pillars‹«: sie ist die Säule der indonesischen Ideologie der nationalen Einheit) offensichtlich tiefere Wurzeln im Bewusstsein der Indonesier geschlagen hat, als es nach ihrer Verballhornung in der Suhartozeit und ihrer dem Regime dienenden Zwangsinterpretation durch P4, den 1978 vom Volkskongress beschlossenen »Leitfaden zur Interpretation der Pancasila«, den Anschein hatte. Im öffentlichen Diskurs allerdings schien es so, dass sie in der »Ära der Reformation« nach Präsident Suhartos Abgang 1998 und Präsident Habibies Abwahl im folgenden Jahr kaum noch eine Rolle zu spielen schien (z. B. 37). Dass diese Zeit gleichzeitig die Zeit der heftigsten und blutigsten Konflikte vor allem in Ostindonesien war, wird allerdings kaum miteinander in Beziehung gesetzt (120.363).
Schon in den Berichten und Analysen, die unmittelbar nach den Ausschreitungen in Ostindonesien zwischen 1999 und 2002 veröffentlicht wurden, und nicht weniger in den Untersuchungen über die noch in der Suhartozeit in den 1990er Jahren in Ostjava stattgefunden habenden Vandalismen wurde wiederholt darauf verwiesen, dass die Akteure, die die Attacken begannen, nicht aus den be­troffenen Nachbarschaften stammten, sondern von bestimmten Drahtziehern in Regierungs- oder Armeekreisen herbeigeschafft und wieder abtransportiert wurden. Besonders eklatant geschah die Einmischung von außen in Situbondo 1996 (s. z. B. 348), worüber christliche und muslimische Studierende von verschiedenen Universitäten in Surabaya ein Weißbuch veröffentlichten, in dem der Ablauf der Ereignisse detailliert nachkonstruiert wurde. Damit wurde auch die Version der Propaganda, es handele sich um einen Konflikt zwischen Muslimen einerseits und Christen und Chinesen auf der anderen Seite, widerlegt. Besondern in Ostjava sollte auch der Nimbus der »Nahdlatul Ulama« (NU) als toleranter und kooperationsbereiter Organisation zerstört werden, für den der Name Abdurrahman Wahid, damals Vorsitzender der NU, stand. Es ist gut und dient nicht nur der Vergangenheitsbewältigung, wenn in den Beiträgen dieses Buches verschiedentlich auf diese »importierten« Einflüsse hingewiesen wird, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Manche der damaligen Drahtzieher sitzen noch immer in hohen Positionen.
Bei der Bildung einer religiösen Identität spielt die Erziehung eine entscheidende Rolle. In einer modernen Gesellschaft kann sich eine religiöse Identität nur noch relational, in Beziehung sowohl als auch in Abgrenzung zu anderen, entfalten. Dem können sich auch die konfessionell geprägten Privatschulen in Indonesien nicht entziehen (47 ff.). Besondere Probleme ergeben sich auf der praktischen Ebene, da nach indonesischer Gesetzgebung die Religion unterrichtenden Lehrer und Lehrerinnen selbst praktizierende Mitglieder der von ihnen gelehrten Religion sein sollten (47 ff.). In Anlehnung an Paul Knitter und John Hick (76 ff.) werden verschiedene Modelle vorgestellt und die unterschiedlichen Reaktionen seitens muslimischer und christlicher Studierender in Indonesien besprochen.
Große Aufmerksamkeit wird dem Problem »Religion und Staat« gewidmet. Während in den Niederlanden sich die Trennung von Kirche und Staat praktisch durchsetzte, blieb die »Kolonialkirche« Staatskirche, mit dem niederländischen König als Oberhaupt. Ausführlich wird auch auf die Entwicklung des islamischen Rechtsdenkens unter diesen Bedingungen eingegangen. Beachtenswert ist m. E. die Bedeutung, die dem Begriff der »umma« zugemessen wird (148 ff.). Ob allerdings Sayyid Qutb (ehemals intellektueller Führer der ägyptischen Muslimbrüder, unter Nasser 1966 nach einem Schauprozess hingerichtet) oder Abul A’la Maududi (Führer der pakistanischen Jema’at-i Islami, starb 1979) geeignete Ge­währsmänner für eine »islamische offene Gesellschaft« sind, mag bezweifelt werden, trotz ihrer Intellektualität (150.155).
Die Gender-Frage spielt schon seit Längerem in Indonesien eine wichtige Rolle, und damit sind ihr auch in diesem Buch einige Beiträge gewidmet. Manch europäische Leser oder Leserin dürften über ihre Beiträge erstaunt sein. Dabei kommt auch das Problem Sarah – Hagar zur Sprache, z. B. 323, in dem es nach dem biblischen Bericht allerdings weniger um eine Genderfrage als um ein soziales Problem geht: das Verhältnis der Sklavin zur Herrin, und hier noch zugespitzt die Sorge zweier Mütter um die Zukunft ihres jeweiligen Sohnes. Zur Erhellung des traditionsgeschichtlichen Hintergrundes hätten die Arbeiten von Thomas Naumann zu den abrahamitischen Traditionen hilfreich sein können. – Zu den hermeneutischen Ausführungen (bes. 161 ff.) eine Frage: Welche Be­deutung hat es für das »interreligious reading«, dass die im Koran berichteten Prophetengeschichten traditionsgeschichtlich in starker Affinität zu den jüdischen und christlichen apokryphen Schriften stehen, ihr »Sitz im Leben« also die Volksfrömmigkeit ist und nicht der Text der kanonischen Schrift? In früherer antiislamischer Polemik wurde dies stets als ein Argument angeführt, um den Koran abzuwerten. – Besonders wichtig, wenn hier in dieser Rezension auch nur kurz erwähnt (367 ff.), scheint mir der Beitrag der Kunst zum interreligiösen Austausch zu sein, offensichtlich ein immer mehr Aufmerksamkeit erhaltendes Thema.
Hier liegt ein Buch vor, das jedem, der am theologischen und religiösen Gespräch mit dem Islam bzw. den Muslimen interessiert ist, mit gutem Gewissen empfohlen werden kann. Der praxisnahe Hintergrund erspart dem Leser eine trockene, abstrakte Lektüre. Hier verbinden sich fundierte wissenschaftliche Analysen und persönliche oder Gruppenerfahrungen in harmonischer Weise.