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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1463–1465

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Greshake, Gisbert

Titel/Untertitel:

Maria – Ecclesia. Perspektiven einer marianisch grundierten Theologie und Kirchenpraxis.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2014. 636 S. m. Abb. Geb. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2592-5.

Rezensent:

Johanna Rahner

»Fast von heute auf morgen gerieten Maria, marianische Glaubensverkündigung und Frömmigkeitsübungen ins totale Abseits.« (22) – Mit diesen Worten fasst Gisbert Greshake bereits im Vorwort den tiefgreifenden Umbruch in der Mariologie zusammen, den das II. Vatikanum für die katholische Kirche signalisiert. Die Entscheidung der (wenn auch nur knappen) Mehrheit der Konzilsväter, keinen eigenständigen Text über Maria zu promulgieren, sondern die Aussagen über Maria in die Kirchenkonstitution Lumen gentium (LG Kap. 8; Art. 52–69) zu integrieren und von einer Beantwortung der (umstrittenen) Frage der Miterlöserschaft Mariens abzusehen, hatte die anhand der Diskussionen auf dem Konzil selbst belegbare Verschiebung lehramtlicher wie theologisch-wissenschaft-licher Prioritäten offen gelegt. Indes wäre es vermessen zu behaupten, diese Entscheidung des Konzils hätte dann den Wandel der Relevanz wie der Frömmigkeit bewirkt. Vielmehr ist er eher Spiegel jener marianischen Ernüchterung, die bereits vor dem Konzil eingesetzt hat und die bis heute in unseren Breiten spürbar und wirksam ist. Galt davor der Leitsatz De Maria numquam satis, spielt die Mariologie (im Gegensatz zu lateinamerikanischen Ansätzen der Befreiungstheologie und zu Beiträgen aus der Feministischen Theologie) in der deutschsprachigen Theologie nach dem Konzil eine eher marginale Rolle. Einschlägig Monographisches vermisst man nicht nur in den letzten Jahren. So antwortet Gisbert Greshake auch auf ein Desiderat.
Dazu zählt zunächst der als Prolegomena titulierte, fulminante erste Teil (35–364). Er stellt im Stil der klassischen Traktat-Dogmatik die biblischen, dogmatischen, dogmen- und theologiegeschichtlichen »Essentials« über Maria dar, systematisiert, kommentiert und reflektiert sie. G. handelt, nach einer Summe des biblischen Befundes – der durch hermeneutische Überlegungen zum Verhältnis von biblischer Tradition und theologiege-schichtlicher Wei-terentwicklung abgeschlossen wird (37–97.98–120) –, nicht nur die klassischen Topoi der Mariologie ab (die Gottesmutterschaft, die auf dem Konzil von Ephesus festgeschrieben wurde [121–189], die Jungfräulichkeit Marias, die im Credo verankert ist [190–235], die beiden katholischen Mariendogmen von 1854 [Erbsündenfreiheit der Gottesmutter; 236–283] und 1950 [Aufnahme Marias in den Himmel; 284–367]), sondern schafft es in einer nüchternen, da­durch durchaus auch befreienden Weise der Bearbeitung dieser Themenfelder nicht nur kenntnisreich zu informieren, sondern auch so manch volksfromme oder theologisch-hypertrophe »ma­rianische Blüte« auf das entscheidende dogmatische Maß zu­rechtzustutzen. Sorgfältig werden hier auch auf umstrittenen Feldern, wie der Frage der biologischen Jungfräulichkeit als empirisches Faktum, pro und contra abgewogen und durch eine betonte »Of­fenheit« (weder christologisch noch mariologisch i. e. S. wirklich notwendig, aber im Sinne eines radikalen Neuanfangs Gottes in der Geschichte theologisch denkbar [234]) pastoral sensibel neu er­schlossen. Zugleich werden die klassischen Topoi mit aktuellen Diskussionen verbunden. So nimmt die Darstellung des Imma-culata-Dogmas die gnadentheologischen und anthropologischen Diskurse um ein zeitgenössisches Verständnis von »Erbsünde« ebenso auf, wie das Assumpta-Kapitel in die (u. a. von G. zusammen mit Gerhard Lohfink vorangetriebene) eschatologische (Neu-)Konzeption einer »Auferstehung im Tod« eingebunden wird. Zu­gleich wird die für den zweiten Teil zentrale These einer schöpfungs- bzw. weisheitstheologischen Grundlegung des Erlösungsgeschehens grundgelegt (301–342): Das Inkarnationsereignis ist nicht die Antwort Gottes auf die Sünde des Menschen, sondern war von Anfang an das Sinnziel der Schöpfung.
Im zweiten Teil werden gnadentheologische, anthropologische, ekklesiologische, aber auch schöpfungstheologische und religionstheologische Zentralthemen und Problemfelder neu konstelliert. Der gnaden- d. h. rechtfertigungstheologische Topos beim Glauben als unbedingten Vorrang des Beschenktwerdens (367–417) macht die, im Anschluss an den Gabe-Diskurs formulierten, Analysen ökumenisch anschlussfähig. Zugleich werden hier die gleichfalls im Vorwort bereits betonten »radikalen Konsequenzen« (29 f.), d. h. das systemkritische Potential »nach innen« exemplarisch deutlich: Die im Lauf der Geschichte einseitig vorgenommene Ak­zentuierung einer formalen Inhaltlichkeit des Glaubens – der a-marianische Glaube (405) – ist grundlegend in Frage zu stellen, bis hin zum Postulat: »Warum sollte es deshalb in Zukunft nicht einen Konsens (consensus fidei) über die Nicht-Definitivität vieler tradierter ›verbindlicher‹ Glaubensinhalte geben können?« (407) Das kritische Potential hält sich auch im zweiten Kapitel (418–466) durch. Der institutionenkritische Blick, der zwar von einem »Maria ist Kirche in Person« ausgeht und dies an der beide begründenden »absoluten Initiative Gottes« festmacht (447), betont, dass jegliche »äußeren Strukturen und Ordnungen, Glaubensgesetze und Paragraphen« von Kirche am »marianischen Profil«, d. h. an der Praxistauglichkeit für den personalen Vollzug des Glaubens zu messen sind (462), der zugleich Maß für die häufig missverständliche Rede von der Mitwirkung der bzw. sakramentalen Vermittlung durch die Kirche ist (467–489).
Mit der These einer zwar nicht vorherrschenden, aber doch kontinuierlich durchgehenden, liturgisch-künstlerischen, theologisch-philosophischen Tradition, »wonach Maria-Ecclesia eine vor- bzw. überzeitliche Größe ist, von Gott geschaffen als ›sapientia creata‹ und ›ecclesia primigenia‹« (490) begibt sich G. auf spekulatives Neuland, das in die in »aller Vorsicht« und »versuchsweise« (535) vorgetragene These einer »vorzeitlichen« bzw. »transgeschichtlichen« Maria mündet, in der sich die Antwort der Schöpfung auf die Gabe des Schöpfers personalisiert und die damit der Heilsgeschichte als »Prozess« des weitergesprochenen »Ur-Ja« zugrunde liegt (vgl. 527.533).
Damit setzt sich G. nicht nur jenem Vorwurf aus, der schon von Balthasars Theodramatik getroffen hatte: Die Heils»geschichte« sei immer schon im innertrinitarischen Drama »aufgehoben«. Während v. Balthasar den Vorwurf mit der These einer »nicht vor Überraschungen gefeiten« trinitarischen Communio »konterte«, bleibt die Antwort auf die (freiheitstheoretisch fundierte) Anfrage an G.s mariologisch fundiertem, idealistischen »Ja« der Schöpfung letztlich offen. Denn das Eingeständnis, dass, wem die real-ontologischen Auslegungen und Konsequenzen ein bisschen zu spekulativ geraten sind, die Möglichkeit einer Interpretation der mariologischen »Realitäten« als geschichtliche »Realisierung« eines »transzendentalen Aprioris« offen gehalten wird (535), löst weder die Frage nach dem Verhältnis von transzendentaler Grundlegung und real-ontologischem Faktum, noch räumt es den Verdacht aus, dass hier die mariologische »Antwort« auf Kosten der Offenheit der christologischen »Frage« universalisiert wird.
Angesichts dessen mutet es fast schon als Petitesse an, ob denn die real-ontologisch ausgemünzte Metaphorik der Mariologie nicht noch einmal gendertheoretisch »revidiert« werden müsste. Dies mit der üblichen Insinuation einer Nivellierung biologischer Un­terschiede auf drei Seiten abzuhandeln (451–453), zeugt nicht von einem wirklichen Problembewusstsein. Eine hermeneutische Kritik der Metaphorik ist in G.s Analysen zwar stets vorhanden, indes stellt sich die Frage, ob eine positive Übernahme des an den Gen dertheorien geschärften Analyseinstrumentars auch Ergebnisse hervorgebracht hätte, die den Blick für die konkrete Situation von realen Frauen in der Kirche über das Niveau eines »Exkurses« (450–453) hinaus geöffnet hätten.