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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1305-1306

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schlag, Thomas

Titel/Untertitel:

Aufmerksam predigen. Eine homiletische Grund­perspektive.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2014. 131 S. = Theologische Studien. Neue Folge, 9. Kart. EUR 16,90. ISBN 978-3-290-17808-6.

Rezensent:

Lars Charbonnier

Die Homiletik ist eine besondere, zentrale Disziplin der Praktischen Theologie. Es verwundert gerade deshalb oder auch gerade deshalb nicht, dass wenig monographische Schriften in der Homiletik verfasst werden. Umso erfreulicher ist es, wenn diejenigen, die publiziert werden, einen qualitativ überzeugenden Beitrag zum homiletischen Diskurs bieten. Thomas Schlag ist das mit seinem zwar recht kleinen, aber bemerkenswert feinen Buch gelungen. Der Züricher Praktische Theologe gewinnt seine homiletische Grundperspektive aus einer Kategorie, die nicht nur in der Spiritualitätsdebatte gegenwärtig zu Recht eine zentrale Rolle einnimmt: die Aufmerksamkeit: »In dieser Studie soll die These vertreten werden, dass das inhaltliche Deutungspotential des Predigtgeschehens und die Aussagekraft der evangelischen Botschaft nur dann zum Vorschein kommen und wahrgenommen werden kann, wenn diese in einer aufmerksamkeitsorientierten Weise in das Zentrum gerückt wird.« (22) Aufmerksamkeit versteht S. phänomenologisch als eine komplexe Erfahrung des Erschließens von Selbst und Welt und als eine »grundlegende, theologisch deutungsoffene Kategorie für die Erschließung zentraler Lebensfragen« (39). Von daher entfaltet er sein Predigtverständnis »als umfassendes Kommunikationsgeschehen mitmenschlicher Aufmerksamkeit – und dieses vor dem Horizont des theologischen Gedankens und der Rede von Gottes Handeln als prinzipiellem und bedingungslosem Aufmerksamkeitsgeschehen« (40).
Erfrischend ist zunächst, dass sich S. gegen den Grundton des Lamentos wehrt, der die homiletischen Debatten, wie er augenzwinkernd aufzeigt, fast von Beginn an begleitet. Vielmehr möchte er an die »programmatische Unverfügbarkeit« (12) der Predigtwirkung anknüpfen und von daher mit einer positiven Motivation für kreatives Denken und den schöpferischen Umgang mit Worten (13) an die Sache herangehen. Leitend ist für S. die Einsicht, dass der Inhalt der Predigt nicht ohne Bezug auf die Intention von predigender Person wie Hörerschaft wirksam zu denken ist (20) und dass deshalb nicht, wie gegenwärtig teilweise der Fall, die Rezeption per se mehr Gewicht erhalten sollte als Inhalt und Intention, um die Predigt wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken – auch wenn beide Pole untrennbar zueinander gehören. Hier aber liegt für S. die Möglichkeit begründet, mit der Predigt eine gegenwärtig dringend benötigte »glaubwürdige Praxis theologischer Lebens- und Religionsdeutung zu gestalten« (21).
Der Durchgang des Buches berücksichtigt stets alle wesentlichen Dimensionen predigenden Handelns, die Aufmerksamkeit verdienen oder für die besondere Aufmerksamkeit, die Predigt auch heute noch erfährt, ursächlich sind: etwa wenn im vierten Kapi-tel die theologisch-hermeneutische, die öffentliche, die ethische, die pädagogische, die Profil- und die Professionalitätsdimension reflektiert oder im fünften Kapitel semantische, phänomenologische, medientheoretische, psychologische, pädagogische, rhetorische, biblische und systematisch-theologische Differenzierungen des Begriffs der Aufmerksamkeit selbst erbracht werden oder wenn im neunten Kapitel über die »Predigt als Aufmerksamkeits-Kunst« die Vorbereitung, das Halten und die Nachbetrachtung der Predigt je gesondert in den Blick geraten. Natürlich sind alle die berücksichtigen Dimensionen und Perspektiven kaum in Gänze und vor allem Tiefe ausgeführt, das ist bei dem Umfang des Buches nicht zu erwarten. Trotz dessen werden Schneisen geschlagen, die klare Impulse setzen und den Leser weniger inhaltsenttäuscht als vielmehr weitere Ausführungen in der Zukunft erhoffend zurücklassen. In alledem wird deutlich, dass Aufmerksamkeit tatsächlich als Klammerkategorie geeignet zu sein scheint, die eine Integration gegenwärtig relevanter predigttheoretischer Positionen in einem für die Predigtpraxis selbst konstruktiven Sinn erlaubt
Eine weitere Besonderheit dieses Werkes sind schließlich seine anregenden Impulse zu Konsequenzen dieser Konzeption für andere Felder Praktischer Theologie, etwa die Pastoraltheologie (Kap. 8) oder die Kirchentheorie (Kap. 11). Hier zeigt sich eindrücklich, dass die Homiletik eben deshalb so zentral ist, weil sie – konsequent und qualitätsvoll konzipiert, wie es S. hier tut – eine Vorstellung vom Ganzen der Praktischen Theologie und des kirchlichen Auftrags als »Grund der Rede von unbedingter Aufmerksamkeit« (41) voraussetzt. Denn: „Theologische Rede im Modus aufmerksamer Signalhaftigkeit wird vielleicht nicht unmittelbar, aber doch nachhaltig Auswirkungen darauf haben, ob pastorale Praxis überhaupt als relevant erlebt wird.« (14) Dazu muss sie in ihrer Komplexität wahrgenommen und als komplexe Sprachhandlung gestaltet werden – beides verdient uneinge-schränkte Aufmerksamkeit, wie auch dieses Buch.