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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1149-1150

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Keppeler, Cornelius

Titel/Untertitel:

Perspektivische Personalführung. Die katholische Soziallehre als Grundlage für eine zeitgemäße Führungskultur.

Verlag:

Marburg: Tectum Wissenschaftsverlag 2014. 375 S. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-8288-3320-3.

Rezensent:

Holger Böckel

Die von dem Sozialethiker André Habisch betreute Dissertation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ist im Grenzbereich zwischen katholischer Gesellschaftslehre und dem empirischen Kontext der Personalführung angesiedelt. Das von Cornelius Keppeler verfolgte programmatische Anliegen besteht in dem Versuch, die katholische Soziallehre als Grundlage einer »zeitgemäßen Führungskultur« in Unternehmen fruchtbar zu machen. Die Studie steht somit im Kontext des relativ jungen wissenschaftlichen Dialogs zwischen betriebswirtschaftlicher und (katholisch-)theo logischer Perspektive, wie er in Eichstätt bereits seit Längerem geführt wird (vgl. Bernd Halfar, Andreas Borger: Kirchenmanagement, 2007). Das Werk ist, den Nachweis dieser Grundannahme verfolgend, in drei Teile gegliedert.
Im ersten Teil wird die katholische Soziallehre in ihren philosophischen und theologischen Grundlagen vor allem aus den einschlägigen kirchenamtlichen Verlautbarungen erarbeitet (17–164). Gleich zu Beginn setzt sich der Vf. mit den bekannten Einwänden gegen die naturrechtlichen Grundannahmen der katholischen So­ziallehre auseinander (35 ff.). Dem Eingeständnis folgend, dass die ursprüngliche Brückenfunktion des Naturrechts in den nichttheologischen Gesellschaftsdiskurs heute nicht mehr trägt, tritt auch für den Vf. ein »Personalismus« bzw. das »Personrecht« in den Vordergrund (44.60), freilich nicht ohne seine naturrechtliche Grundierung zu verlieren. Dem entspricht auch, dass die katholische Soziallehre in der neuesten päpstlichen Verlautbarung für christliche Unternehmer gar keine Erwähnung mehr findet (12). Indes geht der Vf. mit seinem prinzipiellen Festhalten am naturrechtlichen Ansatz (z. B. Verweis auf die Menschenrechte, 45 f.) nicht we­sentlich über deren klassische philosophische Setzungen hinaus. Stattdessen wird die Diskursethik als sozialethisches Ge­genmodell relativiert, da diese zwar der Vermittlung, nicht aber der inhalt-lichen Bestimmung ethischer Sozialprinzipien dienen könne (53).
Im weiteren Verlauf der Erörterungen versucht der Vf. neben dem Personalitäts-, Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip das Nachhaltigkeitsprinzip als viertes und neues Prinzip der katho-lischen Soziallehre zu entwickeln (146 ff.). Dieses sei ebenso wie die Sozialprinzipien Solidarität und Subsidiarität an das grundlegende Personalitätsprinzip zurückgebunden und stelle eine »zeitgemäße und notwendige Ergänzung des Prinzipienkanons« dar (161 f.).
Im zweiten Teil sollen Personalführungskonzepte anhand dieser vier Prinzipien beleuchtet werden (165–228). Dabei geht der Vf. exemplarisch von zwei aus seiner Sicht gegensätzlichen Ansätzen aus, der Prinzipal-Agent-Theorie (170 ff.) und der »Dialogischen Führung«, wie er sie vor allem beim dm-Drogeriemarkt-Gründer Götz Werner entwickelt sieht (196 ff.). Die Prinzipal-Agent-Theorie erscheint als Bestandteil der Neuen Institutionenökonomik im Verlauf der Erörterungen als eine Art Negativbeispiel, bei dem die a ngeführten vier Prinzipien der Soziallehre, allem voran die der Personalität des Mitarbeitenden, mehr oder weniger missachtet würden (191 ff.). Demgegenüber kommt die in den dm-Märkten vorausgesetzte »dialogische Führung« überwiegend als Beispiel von deren Verwirklichung zum Stehen. In ihr unterscheide sich das Menschenbild von dem des homo oeconomicus »fundamental« und Führung sowie Wirtschaften würden hier als »Dienst« bzw. »Leis­ten für andere« begriffen (197 f.). Durch eine »dialogische Kultur« würden des Weiteren Eigenverantwortung und Selbständigkeit statt Kontrolle gefördert, individuelle Begegnung, Transparenz und Kreativität angestrebt und der Mensch nicht (nur) als Mittel zur Realisierung ökonomischer Werte gesehen (202 f.). Die abschließende Kritik versucht die einseitige Zuordnung bzw. Po-sitionierung beider Konzepte im Blick auf die vier Grundprin-zipien der Soziallehre mit dem abgrenzenden Bezug auf den wirtschaftsethischen Ansatz von Karl Hohmann zu untermauern (215 ff.).
Im dritten Teil werden die einschlägigen Enzykliken zur katholischen Soziallehre nochmals unter dem Fokus der Personalführung ausgewertet, um einen solchen Ansatz nun konstruktiv zu skizzieren (229–319). Dabei wird festgestellt, dass sich Gewinnmaximierungsprinzip und Soziallehre gegenseitig kritisch begrenzen (253). Weitere Aspekte der Personalführung wie etwa die Frage nach der Motivation, aber auch das »Führen mit Zielen« werden eher am Rande erwähnt. Nahezu unerwähnt bleibt, dass Personalführung stets im Kontext einer Organisation und ihrer Programme ge­schieht bzw. nur hier (system-)theoretisch rekonstruierbar ist. Auch weitere interaktionsbezogene Führungsmethoden, etwa in Gruppen bzw. Teams, kommen nicht in den Blick.
Insgesamt erscheinen die beiden Personalführungsperspektiven im zweiten Teil in der Auswahl eher intentional als repräsentativ motiviert. Dies ist wohl der Tatsache geschuldet, dass es dem Vf. weniger um die Beurteilung von Personalführungskonzepten als um deren sozialethische Grundlagen geht. An dieser Stelle hätte es allerdings noch mehr zu entdecken gegeben. So können ge-rade durch die Analyse »unvollständiger Verträge« in der Prinzipal-Agent-Theorie Faktoren in den Blick kommen, die über das neoklassische Bild des »homo oeconomicus« und die mit ihm in Verbindung stehenden einseitigen Opportunismusannahmen hin­aus verweisen. Für den Wirtschaftsethiker Josef Wieland (»Ethik der Governance«) etwa zählen dazu Verantwortungsbereitschaft, Vertrauen, Wertschätzung, aber auch moralische Vorstellungen bzw. Regeln (»Institutionen«). Bei den Grundsätzen der »dialo-gischen Personalführung« dagegen hätte ein Rückgriff auf den wirtschaftsethischen Ansatz von Peter Ulrich (»Integrative Wirtschaftsethik«) bzw. das St. Galler Managementmodell nahege-legen, welches indes diskurs- bzw. verantwortungsethisch verankert ist.
Positiv lässt sich festhalten, dass das in den angeführten vier Prinzipien zum Ausdruck kommende »christliche Menschenbild« eine ganze Reihe von wertegebundenen sozialethischen Implikationen besitzt, die in einer Ethik der Personal- und Unternehmensführung aus christlicher Sicht verankert sein müssten. Dies betrifft vor allem die Haltung der Wertschätzung gegenüber Mitarbeitenden (»Personalität«), die Förderung von Eigenverantwortlichkeit und selbständigem Entscheiden (»Subsidiarität«), Vertrauen und Zutrauen, aber auch das Prinzip der umfassenden Solidarität und der Nachhaltigkeit. Die Führung von Personen hat dabei nicht nur Anteil an umfassenderen Bildungsprozessen (270 ff.). Einer Führungsperson kommt vor allem auch die Rolle des (Mit-)Gestalters einer entsprechenden Unternehmenskultur zu, wobei Führung theologisch zu Recht als Dienst aufgefasst werden kann (320 f.). Hierin liegen die Stärken in der Rekonstruktion einer, präzise formuliert, Ethik der Personalführung im dritten Teil begründet.
Es muss allerdings dem Urteil des Lesers überlassen bleiben, ob man hierfür auf die erweiterte katholische Soziallehre mit ihren zum ersten Teil angeführten Problemlagen zurückgreifen sollte und die im zweiten Teil vollzogene pauschale Abgrenzung von der Prinzipal-Agent-Theorie benötigt, ohne deren analytische Bedeutung für die wirtschaftsethische Theoriebildung zu berücksichtigen.