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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1147-1148

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Feinendegen, Norbert, Höver, Gerhard, Schaeffer, Andrea, u. Katharina Westerhorstmann[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Menschliche Würde und Spiritualität in der Begleitung am Lebensende. Impulse aus Theorie und Praxis.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2014. 534 S. Kart. EUR 49,80. ISBN 978-3-8260-5447-1.

Rezensent:

Reiner Marquard

Im Titel zeigt sich eine große Herausforderung, vor der unsere Zivilgesellschaft steht. Das Lebensende ist in den öffentlichen Fokus geraten und wird somit einer nur privatistischen Sicht mehr und mehr entzogen. Das Buch dokumentiert an den bisweilen sehr unterschiedlichen theologischen, philosophischen oder weltanschaulichen Herkünften der Autorinnen und Autoren, dass eine monothematisch und einlinig geführte Debatte nicht hilft, der Themenstellung gerecht werden zu können. So ist das Buch in seinen Einzelbeiträgen ein Teil der Debatte, wie sie geführt wird– auch im Widerspruch. Begriffe können dabei entgleiten und in ihrer Unbestimmtheit letztendlich auf der Stelle treten: »Der Re­spekt vor dem Sterbenden und seiner Spiritualität schließt natürlich jede Diskussion über ›die Richtigkeit‹ dieser Spiritualität aus (und sei sie noch so eigenwillig oder unbestimmt), ebenso wie den Versuch einer Bekehrung zum Glaubenden des Begleitenden.« (185)
Unverständlich bleibt dann allerdings die Forderung an den Be­gleitenden, dass es geradezu zu seiner »Pflicht« gehöre, »aufrichtig Antwort zu geben und von seiner eigenen Hoffnung zu sprechen« (ebd.). Wieso darf dann der Begleitende nicht weniger unbestimmt sein als der Sterbende?
Dieser asymmetrischen (Un-)Logik folgt Jörg Splett ganz und gar nicht in seinem Nachdenken über »Menschenwürde im Licht christlicher Spiritualität« (107–122). Das Zusammengehen von Menschenwürde und Spiritualität ist verankert im Wort des Schöpfergottes. Würde und Spiritualität sind Grundfesten gelebter Menschlichkeit. Auch und gerade am Ende des Lebens, »im Sterben, das uns enteignet«, tritt uns die Heiligkeit des Lebens insofern entgegen, als »es uns zum Heiligen führt?« In diesem letzten Fragezeichen verbirgt sich nicht Indifferenz, sondern Demut vor dem Geheimnis des Sterbens. Spiritual Care wird dann einen substantiellen Beitrag zur Palliativversorgung leisten, wenn der Begriff »Spiritualität« nicht als Containerbegriff benutzt wird. Von unterschiedlichen Herkünften her können konzeptionelle Aussagen über das gemacht werden, was eine menschenwürdige Begleitung am Lebensende sein kann.
Das erste Kapitel (19 ff.) fragt nach der menschlichen Würde in ihrer Bedeutung für die spirituelle Begleitung am Lebensende. Würde fundiert Existenzbedingungen und -bezüge, die vorfindliche Bedingtheiten übersteigt. Henryk Anzulewicz spricht geradezu von »Transzendentalien« (21 ff.), die die Innerlichkeit des Menschen als Würde schützen – auch und gerade am Ende des Lebens. Was als Autonomie verstanden werden könnte, muss sich erst recht als tragfähiges Würde-Konzept erweisen, wenn die Würde sich gegen eine defizitäre Sicht auf das Lebensende zu behaupten hat.
Das zweite Kapitel (161 ff.) klärt begriffliche und konzeptionelle Erwägungen von Spiritualität, die sich im Zusammenhang von hospizlicher Bewegung, Pallative Care und Palliativmedizin entwickelt haben und sich momentan in der Denkfigur der »End-of-Live-Care« neu zu verorten scheinen.
Das dritte Kapittel (263 ff.) widmet sich der Thematik aus Sicht der Religionen und den ihnen zugrunde liegenden theologischen Grundüberzeugungen und rituellen Umsetzungen.
Das abschließende vierte Kapitel (409 ff.) nimmt den Untertitel des Bandes auf und vermittelt Impulse aus Theorie und Praxis der spirituellen Begleitung am Lebensende. Deutlich zutage tritt eine Vielfalt an Optionen in unterschiedlichen Anforderungen für die Begleitenden als auch für die systemische Sicht auf die Sterbebegleitung insgesamt. In einem Schlussbeitrag von Gerhard Höver und Katharina Westerhorstmann (509 ff.) wird die relationale Qualität der spirituellen Begleitung unter dem Kennwort »Ethik der Mitmenschlichkeit« erschlossen. Begleitung am Lebensende ist keine paternalistische Einbahnstraße. So wie sich aus der inneren Freiheit des Sterbenden dessen Würde manifestiert, sind Wahrnehmungsräume wechselseitig eröffnet, die auch den Begleitenden in eine Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität führen muss. Nur wenn in diesem Sinne Würde korreliert, kann im Vollsinn von menschlicher Würde und spiritueller Begleitung am Ende des Lebens gesprochen werden.
Eröffnet wird der Band durch eine Einführung der Herausgeberinnen und Herausgeber (9 ff.). Dem Band liegt das »Initiativprojekt« zugrunde (»Menschliche Würde und Spiritualität in der Begleitung am Lebensende«) und strebt an, »im Interesse einer dynamischen Verbindung konzeptioneller Überlegungen und konkreter Ausdrucksformen von ›Spiritual Care‹ Impulse aus Theorie und Praxis sowohl zu geben als auch anzuregen« (9). In diesem Sinne leistet dieses Buch einen wesentlichen Beitrag.