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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1108–1110

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Barwich, Beate [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Veni creator spiritus. Heinrich Grüber – Gerechter unter den Völkern.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. XVI, 269 S. m. Abb. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03903-6.

Rezensent:

Gert Haendler

Die Herausgeberin, die zum Leitungskreis der Berliner Arbeitsgemeinschaft Judentum und Christentum gehört, dankt 30 Autoren, deren Beiträge ein vielfältiges Bild von Heinrich Grüber bieten. Der erste Teil »Der Aufbruch« beginnt mit einer Arbeit von Ulrich Seelemann »Das Leben von Propst Heinrich Grüber, wie es sich aus der Personalakte ergibt«: Der 1891 Geborene wurde nach bestandenem theologischen Examen 1915 Kriegsfreiwilliger. 1920–1925 war er Pfarrer in Dortmund. Jobst Reifenstein informiert über »Die Templiner Jahre von 1926–1933«. Grüber trat für die Ziele des »Waldhofs« ein, verließ Templin jedoch nach Spannungen. Manfred Gailus hat »Heinrich Grüber als Pfarrer in der Kirchengemeinde Berlin-Kaulsdorf« zum Thema. Kurz nach seiner Einführung 1933 gegen eine DC-Mehrheit im Gemeindekirchenrat schloss sich Grüber 1934 dem Pfarrernotbund an. Dem 1936 vom Reichskirchenminister Kerll eingesetzten Reichskirchenausschuss stand er positiv gegenüber, die vom Staat ge­botene Hand zur Versöhnung wollte er nicht zurückweisen.
Im Teil »Die Herausforderung« beschreibt Grüber die Epoche: »›Das Büro Grüber‹ 1936–1940«. Grübers Mutter war Holländerin, wegen seiner Sprachkenntnisse war er im Nebenamt Pfarrer der niederländischen Ge­meinde, wo es gelegentlich Auswanderungswillige gab. Nach den Nürnberger Gesetzen 1935 wuchs deren Zahl. Das Büro Grüber entstand, vom Staat nicht anerkannt, aber von der Gestapo überwacht. Die »Kristallnacht« am 9.11.1938 vergrößerte den Andrang, der englische Bischof Bell von Chichester half, Grübers Büro zog um in das Haus an der Stechbahn in Berlin-Mitte, täglich war Sprechzeit von 8–17 Uhr, die durch Früh- und Spätdienst ergänzt wurde. Pläne für Siedlungen im Ausland wurden 1939 überholt durch den Kriegsausbruch. In der Kirche fand Grüber weniger Rückhalt als erhofft. In der Gestapo halfen ihm zwei Männer. Eichmann fragte Grüber nach seinem Motiv: Grüber nannte die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wegen Devisen wurde mit dem Wirtschaftsministerium verhandelt. Einige Beamte der Auswanderungsabteilung des Innenministeriums waren zugänglich. Im Dezember 1940 wurde Grüber selbst verhaftet. Seinen Beitrag ergänzt Wolfgang Wippermann: »Im Schatten des Büros Grüber– Die ›Berliner Gesellschaft zur Förderung des Christentums unter den Juden‹ im Dritten Reich«. Das Büro wurde im November 1938 überfallen und am 23.1.1941 geschlossen. Erich Fellmann skizziert die kaum fassbare Geschichte des Jüdischen Krankenhauses in Berlin 1933–1945. Das Haus wurde von einem Sachbearbeiter Eichmanns beaufsichtigt und arbeitete bis 1945. Lisa Sophie Bechner schildert »Die Rettungsaktion der Kindertransporte 1938/39 durch das Büro Pfarrer Grüber im Haus ›An der Stechbahn‹ Berlin«, die 12500 Kinder rettete. Wolfgang Klose erinnert daran 74 Jahre später.
Der Teil »Die Bereitschaft« beginnt mit einem Beitrag von Hans Laurentius, dem 1992 verstorbenen, verdienstvollen Geschäftsführer der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin: »Tatkraft und Einfallsreichtum für das gedruckte Wort«. Schon im Herbst 1945 bemühte sich Grüber bei sowjetischen Kulturoffizieren um die Zulassung eines kirchlichen Verlags, die 1946 erfolgte. Peter Krause berichtet über »Heinrich Grüber in Jerusalem – Zeuge gegen Eichmann, Zeuge für die Menschlichkeit«. Grüber hoffte, auch in Eichmann Menschlichkeit zu wecken, die zu Schuld und Reue fähig ist. Die Hoffnung war vergeblich, seine Aussage fand Beifall und Kritik. Gegenüber der Kritik von Hannah Arendt berief sich Grüber darauf, er habe direkt mit Eichmann verhandelt und daher einen persönlichen Eindruck. Der Rabbiner Yehoyada Amir, Professor für Modernes Jüdisches Denken an der Hebräischen Universität Jerusalem, schrieb im ehrenden Gedenken an Heinrich Grüber eine jüdisch-theologische Reflexion »Righteous among the Nations«. Günter Wirth erinnerte an Heinrich Grübers »Dienst und Brückenbau im Nachkriegsdeutschland: Ein Partner der Vernunft«. Wolfgang Fietkau nannte ihn einen »Netzwerker« und stellte seine Fähigkeit zum Organisieren dar. Grübers Bemühungen um einen bleibenden Zusammenhang zwischen Ost und West endeten freilich 1958, als die DDR ihn nicht mehr anerkannte.
Der Teil »Die Freude« bringt Bischof Bells Ansprache in der Berliner Marienkirche am 28.10.1945 auf Englisch und in deutscher Übersetzung. Ellen Ueberschär und Anja Witzel gehen dem Thema »Propst Heinrich Grüber und der Deutsche Evangelische Kirchentag« nach. Es geht um die Kirchentage in Berlin 1951, Leipzig 1954 und Berlin 1961. Gesine Palmers Beitrag »Problemverschiebungen beim Friedenstiften – Grüber und die Deutsch-Israelische Gesellschaft heute« blickt nochmals auf Hannah Arendt zurück und nennt Möglichkeiten, wie heute »an den Geist Grübers vielleicht anzuknüpfen wäre«. Andreas Nachama, Sohn des Kantors Estrongo Nachama, erinnert unter dem Thema »Der Zeuge Heinrich Grüber« an persönliche Begegnungen in Berlin bis zu Grübers Tod 1975. Peter von der Osten-Sacken hatte 1995 vor der Theologischen Fakultät Berlin eine Vorlesung gehalten »Lessings ›Nathan‹ und das Neue Testament«. Er erinnert an Grübers Antrag 1950 an die Berlin-Brandenburgischen Kirche für Finanzhilfe zum Aufbau einer Synagoge. Grüber erhielt die Hilfe – und auch Schmähbriefe.
Im Teil »Das Vermächtnis« berichtet Ulrich Sonn über das Martin-Niemöller-Haus Berlin als »Erinnerungsort, Lernort und Zentrum für friedenspolitisches und zivilgesellschaftliches Engagement«. Yakov Hadas-Handelsman informiert über die Ehrungen der »Gerechten unter den Völkern« in Jerusalem seit 1953, die Grüber 1964 verliehen wurde und die er 1967 empfing. Am 8.5.1970 wurde Grüber Ehrenbürger der Stadt Berlin (West). Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz nannte Grüber einen Mitbürger, »der in Zeiten der Gefahr sein Gewissen höher gestellt hat als die eigene Freiheit«. In seinem Dankeswort erinnerte Grüber an das damalige Dilemma: Ein Sieg der Nazis hätte Brutalität und Grausamkeit noch gesteigert, die Niederlage würde unvorstellbare Not mit sich bringen gerade für die Unschuldigen, Kinder, Kranken und Alten.
Es folgt ein Vortrag von Grüber 1965 zum Tode von Martin Buber, den er mit dem ebenfalls 1965 verstorbenen Albert Schweitzer verglich. Auch Buber hatte Grüber nach dessen Eichmann-Aussage kritisiert– aber es ging um die Übersetzung einer Bibelstelle, die die Gemeinsamkeit kaum schmälerte. Grußworte zu Grübers 65.Ge­burtstag werden gedruckt von Rabbiner Martin Riesenburger, Metropolit Nikolaj Jarutschewitsch, Bischof George Bell, Pfarrer Heinrich Hellstern (Zürich), Pfarrer Heinz David Leuner, Europasekretär der Internationalen Judenchristlichen Allianz sowie Kirchenpräsident Martin Niemöller.
Ein Anhang bringt Texte von Karl Kupisch, »Aus der Geschichte der Bekennenden Kirche«, die freilich G. nicht nennen, sowie einen Beitrag von Beate Rossié, Stefanie Endlich und Monica Geyler-von Bernus über die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf als »Zeugnis nationalsozialistischer Ideologie und eine Station im Leben der Familie Klepper«. Abschluss ist eine Pfingstpredigt 1953 von Grüber, »Nun bitten wir den Heiligen Geist«. Eine Kurzvita und Veröffentlichungen von Grüber, ein Literaturverzeichnis, ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sowie Personenre-gister und Quellenverzeichnis beschließen den Band, der Gedächtnisbände der Jahre 1956, 1968 und 1991 fortsetzt und dabei wesentlich neue Informationen bietet. Aber auch bekannte Texte liest man gerne erneut in dankbarer Erinnerung an ein bedeutendes Menschenleben.