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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1064–1066

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Leimgruber, Stephan

Titel/Untertitel:

Unser Gott – euer Gott? Christentum und Weltreligionen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag. Zürich 2014. 335 S. = Studiengang Theologie, 12. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-20098-5.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Die vom Theologischen Verlag in Zürich herausgegeben Reihe »Studiengang Theologie« will die Vermittlung soliden Grundwissens zur Theologie auf dem Stand der aktuellen Fachdiskussion »mit den existenziellen Herausforderungen des Lebens und Glaubens heute« verbinden. Die 16 Bände, von denen 12 bereits erschienen sind, stellen die Materialgrundlage des vierjährigen berufsbegleitenden Theologiekurses dar, der vom Deutschschweizerischen Katholischen Bildungswerk angeboten wird (theologiekurse.ch). Sie eignen sich als Einführung in das Studium der Theologie, für die Fortbildung kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für das Selbststudium theologisch Interessierter. Der Rektor des Kursangebots ist Stephan Leimgruber, emeritierter Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität München, der seit 2014 die Theologiestudierenden des Bistums Basel geistlich begleitet. Er hat den hier zu besprechenden Band verfasst.
Dass diese Reihe mit einem Band zum Thema »Christentum und Weltreligionen« abschließt, verdankt sich der im Vorwort zum Ausdruck gebrachten Einsicht, dass wir »gegenwärtig keine Theologie mehr betreiben (können), ohne die religiösen Erfahrungen, die in den großen Religionen der Welt gemacht werden, einzubeziehen, zu würdigen und mit unseren Erfahrungen ins Gespräch zu bringen«. Von diesem Interesse geleitet bietet der Band in seinen wesentlichen Teilen religionskundliches Basiswissen zu Judentum, Islam und den asiatischen Religionen (Hinduismus, Jainismus und Buddhismus). Jedes dieser Kapitel folgt ungefähr dem gleichen Darstellungsschema, das auf markante Personen und relevante Epochen der jeweiligen Religion zentriert ist: Ihr Ursprung (vor allem die Gründergestalt), Blüte- und Verfolgungszeit(en), die Auseinandersetzung mit der Moderne und die jüngsten Entwicklungen werden hervorgehoben. Am Ende steht jeweils die Frage nach einer theologischen Beziehungsbestimmung zum Christentum bzw. zum christlichen Glauben und der Blick auf die Bemühungen um einen interreligiösen Dialog.
Kurze Seitenblicke werden in der Einführung auf den Zoroas­trismus, den Sikhismus, die Bahai-Religion, den Shintoismus, Konfuzianismus und Daoismus sowie auf die sogenannten Naturre-ligionen geworfen. Da auch die Darstellung des Jainismus im Hauptteil des Bandes kurz ausfällt, stehen im Wesentlichen die vier »Weltreligionen« im Fokus der Betrachtung, wobei sich L. der Problematik dieses Begriffs durchaus bewusst ist. Der von ihm als Alternative erwogene Begriff »große Religionen« lässt sich – wenn er quantitativ auf die Zahl der Anhänger bezogen wird – kaum auf das Judentum anwenden. Während dem Judentum und dem Islam je ein eigenes Kapitel gewidmet ist, werden die asiatischen Religionen in einem Kapitel zusammengefasst. Dieses beginnt mit einer kultur- und religionsgeschichtlichen Skizze Indiens als des Quellgrundes dieser Religionen.
Vier Perspektiven sollen miteinander verbunden werden: die religionswissenschaftliche (bzw. -phänomenologische), die religionsgeschichtliche, die theologische und die religionsvergleichende. Mit »theologischer Innenperspektive« (im Gegenüber zur religionswissenschaftlichen Außenperspektive, »die versucht, sich religiösen Phänomenen vorurteilsarm zu nähern«, 67) ist hier offen­sichtlich zum einen das Selbstverständnis der dargestellten Religionen und zum anderen ihre Betrachtung aus Sicht der christlichen Theologie gemeint. Es handelt sich bei diesem Ansatz einer »Theologie der Religionen« also um ein Verständnis im Sinne des genitivus subjectivus, bei dem die Religionen zunächst »aus sich selbst heraus zu begreifen« (20) sind, bevor sie dann in Beziehung zum christlichen Glauben und den Erscheinungsformen der christlichen Religion gesetzt werden. Der Begriff »Theologie« wird dabei weit gefasst und auch auf die asiatischen Religionen angewendet. In diesem verallgemeinerten Sinn bezeichnet er die Inhalte der heiligen Schriften, die Lehrformen der Tradition und die Reflexionsgestalten des gegenwärtigen religiösen Bewusstseins.
Den normativen Bezugspunkt der theologischen Beziehungsbestimmung zwischen Christentum und den Religionen bildet vor allem die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate. Die religionstheolo-gischen Aussagen der Enzyklika Ecclesiam suam von Paul VI. (6.8. 1964), in der die Beziehungen der römisch-katholischen Kirche zu den anderen christlichen Konfessionen und den nichtchristlichen Religionen »nach Art konzentrischer Kreise, in deren Mitte uns Gott gestellt hat« (Nr. 96) konzipiert sind, die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae und Art. 16 der Kirchenkonstitution Lumen gentium werden ergänzend zu dieser Positionsbestimmung hinzugezogen.
L. ordnet sich damit explizit dem inklusivistischen Modell in der Theologie der Religionen zu (303). Er geht vom Vorrang der Offenbarung Jahwes an das Volk Israel aus und sieht in Jesus Chris­tus »die Erfüllung der zuvor an die Propheten ergangenen Offenbarung und den Inbegriff von Gottes Offenbarung überhaupt« (ebd.). Diesen Superioritätsanspruch der Offenbarung an Israel und in Christus verbindet L. mit einem allgemeinen Verständnis von Offenbarung, die über das Judentum und das Christentum hinaus auch anderen Religionen zuteilgeworden ist und wird. Darauf begründet er die Überzeugung, dass sich Angehörige der drei abrahamischen Religionen an denselben Gott wenden. Wie nichttheis­tische Religionen, etwa der Buddhismus, in dieses Konzept einbezogen werden können und sollen, lässt L. offen.
Der Band zielt nicht nur auf die Vermittlung religionskundiger Grundinformationen, sondern verfolgt auch die praktische Ab­sicht, zur interreligiösen Verständigung beizutragen, indem die Kenntnis der Religionen mit dem christlichen Glaubensbewusstsein verbunden wird. Auch darin folgt L. Nostra Aetate. Sein Interesse gilt letztlich nicht den Lehr-, sondern den Lebensformen der Religionen, der gelebten Religion also, vor allem aber den Menschen, die sich zu ihnen bekennen, und den religionsverbindenden Beziehungen zwischen ihnen.
In einer gewissen Spannung zu diesem Interesse wird der Blick allerdings eher auf die ideelle Systemebene der Religionen in ihrem Gesamtzusammenhang, weniger auf die realen inneren Differenzierungen, Spannungen und Spaltungen, die kontextuellen Aus-prägungen in bestimmten Inkulturationsformen gerichtet. Die religionsinternen und interreligiösen Konfliktpotenziale, die Radikalisierungsformen und Machtinteressen konkreter Religionsgemeinschaften, welche die Wahrnehmung von Religion(en) in der Ge­genwart stark bestimmen, treten weitgehend in den Hintergrund. Es werden zwar unterschiedliche Strömungen in den Religionen benannt und in ihren Charakteristika beschrieben. Es bleibt im Wesentlichen aber bei der Beschreibung der ideellen Selbstverständnisse in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Der erste der vier me­thodischen Zugänge, der religionsphänomenologische, wird nicht zu religionswissenschaftlichen (etwa religionssoziologischen) Analysen und religionskritischen Urteilsbildungen weitergeführt. Mit dieser relativ unkritischen Darstellung der Lehr- und Praxisformen der Religionen leistet L. dem Vorurteil Vorschub, Religionstheologie sei von einem einseitigen Harmonisierungsinteresse geleitet, dem es zuweilen an Differenz- und Realitätsbewusstsein mangele.