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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

995–997

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Richter, Manfred

Titel/Untertitel:

Johann Amos Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1645. Ein Beitrag zum Ökumenismus. M. Geleitworten v. U. Voigt, K. Raiser, W. Kardinal Kasper.

Verlag:

Berlin: Deutsche Comeniusgesellschaft; Siedlce: Pracownia Comeniologii i Badán Interdyscyplinarnych 2013. 545 S. m. Abb. = Labyrinthi, 1. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-83-63307-84-4.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Der Band ist einem bislang in der Comenius-Forschung, aber auch darüber hinaus noch wenig berücksichtigten Thema – dem Beitrag des Comenius im Rahmen des Religionsgesprächs in Thorn und seiner Vorgeschichte – gewidmet, das Manfred Richter zugleich dazu nutzt, Comenius als ökumenischen Theologen insgesamt stärker ins Bewusstsein zu rufen. Diesem Anliegen präludieren auch die Geleitworte des Philosophen Uwe Voigt, des früheren Ge­neralsekretärs des Weltrats der Kirchen Konrad Raiser und von Walter Kardinal Kasper. Der Vf. selbst (geb. 1935) ist evangelischer Theologe und Pädagoge und hat die Zeit des Ruhestands offenbar dazu genutzt, ein geradezu opulentes Werk zu verfassen. Dass er dabei als Mitbegründer der Deutschen Comenius-Gesellschaft schreibt, ist dem engagierten Stil der Darstellung immer wieder abzuspüren, ohne dass dies der historisch-wissenschaftlichen Ausrichtung weiter Teile der Untersuchung Abbruch tun würde. Es geht dem Vf. darum, über die minutiöse historische Beschreibung hinaus auch die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung des comenianischen Werkes zur Geltung zu bringen, speziell in ökumenischer Hinsicht.
Der Band umfasst fünf große Teile: In der Einleitung wird zu­nächst die Situation im »Europa des 17. Jh.s – zwischen Mittelalter und Neuzeit« (19) skizziert – als Hintergrund der nachfolgenden Ausführungen. Hier werden auch die Ziele der vorliegenden Studie benannt, zu denen über das bereits Gesagte hinaus als ein weiteres besonderes Anliegen auch ein »Beitrag zur Revision eines einsei-tigen Bildes von der Geschichte Polens«, besonders der Kirchen-geschichte Polens, zählen soll (32 f.). Auch Polen habe in seiner Geschichte beachtliche Phasen toleranter Herrschafts- und Lebensverhältnisse gekannt.
Das erste Hauptkapitel (42–110) folgt dem Weg des Comenius bis 1642, hier wie auch im Folgenden mit einem Schwerpunkt auf der Entwicklung ökumenischer Perspektiven in seinen Schriften, die, insofern perspektivisch, unter dem Aspekt des Ökumeneverständnisses gelesen und dargestellt werden.
Der eigentliche Schwerpunkt des Bandes kann jedoch im zweiten Hauptteil gesehen werden (111–296), der sich auf die Vorbereitung des Colloquiums von Thorn (1645) bezieht. Im Kern werden hier die von Comenius in Vorbereitung dieses Colloquiums verfassten, in der Literatur bislang wenig beachteten und noch nicht ins Deutsche übersetzten Schriften vorgestellt. Dabei spielt das Verhältnis zu Valerianus Magni als Gegenüber des Comenius eine besondere Rolle. Im Einzelnen geht es um sechs Schriften, die jeweils im Detail referiert, in den historischen Kontext eingeordnet und interpretiert werden. Der lateinische Text wird in der Regel parallel dazu geboten. Diese Schriften betreffen die Aufgabe und Möglichkeit einer ökumenischen Verständigung, und sie beschreiben die Regeln und Kriterien, unter deren Beachtung sich nach Comenius eine solche Verständigung erzielen lässt. Sie sind also insofern besonders interessant, als sie nicht nur auf einer materialen Ebene ökumenische Motive aus dem 17. Jh. beschreiben, sondern auch in formaler Hinsicht, gleichsam als theologische Grammatik für solche Gespräche, formuliert wurden. Um Comenius bzw. den Vf. der vorliegenden Studie wenigstens an einer Stelle zu Wort kommen zu lassen: »in den Lehrfragen meint er den Konsens so zu erzielen, dass keine Seite von ihren symbolischen Büchern Abstand nehmen, sie verdammen oder zurückweisen müsse, sondern dass nur zu jedem beliebigen Artikel die Erklärung gegeben werde, wodurch der Anschein seiner Absurdität entfalle […]. Das erhofft er, wenn wechselseitig die Wahrheit der eigenen Lehre aus den Schriften der Gegenseite erhellt werde: der Augsburgischen Konfession aus den Schriften der Päpstlichen, der Tridentinischen Lehre aus den evangelischen Schriften.« (253 f.) Nicht in jeder Hinsicht sei Comenius aber so optimistisch gewesen. Anders als in Lehrfragen habe er bei den Riten sowie im Blick auf die kirchliche Hierarchie durchaus erhebliche Schwierigkeiten erwartet.
Zu den Bedingungen einer Versöhnung schreibt Comenius: »I. Dass sie möglich seien (auf Unmögliches kann niemand verpflichtet werden) II. Dass sie gerecht seien (Ungerechtes kann niemand auferlegt werden) III. Dass sie freiwillig anerkannt werden (denn Versöhnung ist ein freiwilliges Geschäft, das jemandem, der es nicht will, auch nicht auferlegt werden kann)« (152). Zunehmend begleitet Comenius solche Überlegungen mit der für ihn kennzeichnenden Forderung, »dass der christliche Erdkreis zu einer allgemeinen Ökumenischen Synode eingeladen werde, auf der alles in seiner Zusammengehörigkeit anerkannt wird« (162).
Der dritte Hauptteil (297–400) fasst dann das Colloquium von Thorn selbst ins Auge, das freilich für eine ökumenische Verständigung bekanntlich kaum einen Fortschritt erbracht hat und an dem Comenius selbst nicht teilnehmen konnte, sowie die »weitere Entwicklung der ökumenischen Vision« im Werk des Comenius in der Zeit zwischen 1645 und 1670. Besonders interessant ist hier der Versuch, das ökumenische Motiv als ein Leitmotiv auch der späteren Schriften des Comenius herauszuarbeiten. Hier wird deutlich, dass dieses Motiv sich keineswegs in dem mit dem Thorner Religionsgespräch gegebenen Anlass erschöpfte, sondern als ein Grundmotiv auch der späteren Hauptschriften des Comenius und also seines Gesamtwerks angesehen werden kann.
Der Schlussteil (401–437), zu dem neben der Bibliographie, differenzierten Registern, Zusammenfassungen in englischer, italienischer und tschechischer Sprache noch ein Bildanhang mit diversen illustrativen Dokumenten kommt (513–545), bezieht sich auf die – wie der Vf. bewusst formuliert – »Nachgeschichte, die noch nicht beendet ist«. Neben direkten wirkungsgeschichtlichen Zusammen­hängen wird vor allem die Bedeutung des Comenius für die Entwicklung der Ökumene in unserer Gegenwart herausgearbeitet. Erneut wird hier das gegenwartsbezogene Motiv der Darstellung deutlich. »Seine lange fast unbekannt gebliebenen für die Ökumene relevanten Gedanken, Argumentationen und Visionen erscheinen dem heutigen ökumenischen Denken wie ein Wetterleuchten auf das, was erst Jahrhunderte später in Klarheit zu denken gewagt wurde.« (422)
Dieser anregenden und über weite Passagen, trotz oder auch wegen der detailreichen Darstellung, gut lesbaren Abhandlung kommt das Verdienst zu, nicht nur bislang wenig beachtete, vor allem ökumenisch ausgerichtete Schriften und Gedankengänge des Comenius durch eine zusammenhängende systematische In­terpretation neu ins Bewusstsein gerufen zu haben, sondern auch Polen als eine wichtige Wirkungsstätte und als bedeutsamen Kontext für die Arbeit des Comenius. Nicht zuletzt wird dabei auch erkennbar, dass Polen für Comenius weit mehr war als ein fremder Ort des Exils. In Polen und im Austausch mit den dortigen Ge­sprächspartnern hat Comenius wesentliche Teile seines Gesamtwerks entwickelt oder zumindest weiter vorangebracht. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass mit dem vorliegenden Band die polnische Zeit im Leben des Comenius eine eigene engagierte Würdigung erfährt.