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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

991–993

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Breckenfelder, Michaela

Titel/Untertitel:

Der Künstler als Theologe. Otto Pankoks Bildwerke im Religionsunterricht.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. 333 S. m. Abb. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77286-2.

Rezensent:

Konstanze Kemnitzer

Michaela Breckenfelder hat unter der Überschrift »Der Künstler als Theologe. Otto Pankoks Bildwerke im Religionsunterricht« ihre Dissertation, die an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig angenommen wurde, veröffentlicht. Die Vfn. reflektiert Bildwerke des dem (nach)expressiven Realismus zugeordneten (71) Künstlers Pankok (1893–1966), »denen ein christlicher Bildgegenstand zugrunde liegt und in denen christliche Motive bearbeitet wurden.« (310) Sie will deren theologisches Potential präsentieren und ihren Einsatz im Religionsunterricht als »locus theologicus« (210) mit Hilfe des üppigen Fundus an bilderschließenden Methoden der Kunstpädagogik fördern. Sie leistet einen Beitrag zum – von der Vfn. allerdings zu schwach rezeptierten – Diskurs des Umgangs der Religionspädagogik und Praktischen Theologie mit der bildenden Kunst. Dass Pankok bisher als Theologe wenig gewürdigt wurde, führt die Vfn. darauf zurück, dass er in jungen Jahren aus der evangelischen Kirche austrat, weil diese Waffen segnete (95). Zudem war das Theologe Sein keine persönliche Identitätsfrage Pankoks. Denn er »verstand sich durch und durch als Künstler. […] Dass er sich in seinen Reflexionen über Jesus von Nazareth, Gott und die Schöpfung selbst als Theologe wahrnahm, kann mit großer Sicherheit verneint werden.« (304).
Der Vfn. gelingt eine sorgfältige kunstwissenschaftlich-biographische Darstellung Pankoks (39–177), dessen Kunstwerke im Nationalsozialismus diffamiert und sogar verbrannt wurden (142). Eindrücklich wird Pankok als tiefgründiger Denker mit hoher Empathie für Schwache und Schutzbedürftige, Menschen, Tiere und die gesamte Schöpfung erkennbar.
Leider bleibt die Analyse der theologischen Themen (147–177) im Werk Pankoks durch die floskelbehaftete Abstraktion auf Schlüsselbegriffe und den nur schwachen Zugriff auf theologische Literatur (z. B. 159) weit hinter der hohen Komplexität der Pankokschen Bildwerke zurück. Zeitgenössische oder aktuelle Debatten werden kaum eingespielt. Interpretatorische Highlights gelingen nur punktuell, wenn die Vfn. mit Pankok-Zitaten arbeitet (z. B. 166). Insgesamt entzieht sich der Künstler dem abstrahierenden Zugriff der Vfn., wohl auch weil es nicht seiner Intention entsprach, »irgendetwas der ›Fadheit einer abstrakten Theologie‹ entgegensetzen zu müssen. Er malte seine Bilder für die Menschen; für die Menschen seiner Zeit und für alle Zeiten als ein Zeitzeuge, als ein unmittelbar Betroffener, als ein konsequenter Christ, der sich des ethischen Reichtums des Christentums bewusst war, da das seiner Aufgabe als Künstler in solch einer Situation entsprach.« (103)
Im zweiten Teil des Buches (178–317) prüft die Vfn. den Beitrag, den seine Werke für die Kompetenzentwicklung im schulischen Religionsunterricht leisten können (193–208), und präsentiert eine Auswahl geeigneter Exemplare (209–302). Sie konstatiert: »Mit den christlichen Bildwerken Otto Pankoks liegen Bilder vor, die in vielfältiger Weise mit den Kompetenzen des Religionsunterrichts in Verbindung gebracht werden können.« (208) Sie seien elementarisiert, förderten die Bildlesekraft, erschlössen theologisch schwere Begriffe, problematisierten christliche Lebensentwürfe und Werte, förderten soziale und kommunikative Fähigkeiten und das Verständnis für Marginalisierte, unterstützten die ethischen Handlungsmöglichkeiten, erweiterten Gottesbilder und hermeneutisches Vermögen, und ermöglichten fächerübergreifend zu unterrichten (312–317).
Ihre didaktische Aufarbeitung der Kunstwerke erfolgt in jeweils vier Schritten: Inhaltliche Einführung; Verankern in der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler; Fokussieren einer religionsdidaktischen Fragestellung, die mit dem Bild bearbeitet wird; Methodische Beispiele. Originell sind ihre Impulse für die Arbeit mit Pankoks ›traurigen Engeln‹, seinen ›Propheten‹ und dem Holzschnitt ›Christus zerbricht das Gewehr‹. Die theologische Interpretation der einzelnen Kunstwerke bleibt aber leider oft oberflächlich. Zu wenig erfasst die Vfn. z. B. die christologische Dynamik und Dramatik des Kohlebildes ›Lasset die Kindlein zu mir kommen‹ (151–152.247–252), in der es ihrer Meinung nach »wenig […] um Jesus – sondern um die Kinder« (250) gehe.
Je praktischer die Vfn. den Einsatz von Bildwerken Pankoks im Religionsunterricht vorstellt, desto mehr enttäuscht, dass ihr Theorieansatz nicht kritischer hinterfragt, ob bzw. zu welchem Preis Kunst solchen Ranges im Schulunterricht kompetenzorientiert instrumentalisiert werden darf. Gewiss ist die Beobachtung richtig, dass Pankok der bildenden Kunst eine »erzieherische Funktion« zusprach, »die sich im Verbreiten von Liebe äußerte« (101). Wie sich dieser Anspruch aber zum Schulkontext, der Objektivierung evoziert (Reden »über« den Kreuzestod, 266; Werten der Foltersituation, 265), verhält, müsste differenzierter von Pankok her herausgearbeitet werden.
Oft fehlt Bewusstsein für die Wucht der Bilder und der vorgeschlagenen Lernideen. Die Gehalte der ausgewählten Werke werden immer brutaler, denn die Vfn. zögert nicht, auch einzelne Darstellungen der Passion im Religionsunterricht einzusetzen, ob­wohl sie selbst erklärt hatte, dass es sich um einen Zyklus von 60 zeitnah entstandenen Bildern handelt, die »nicht auseinander ge­rissen […] werden sollen« (137). Psychologisch werden ihre Impulse an die Kinder immer riskanter (240). Hier wäre die Auseinandersetzung mit den Grenzen sozialtherapeutischen Unterrichtens dringend angezeigt gewesen, spätestens angesichts des Zieles, »unter ethischer Perspektive Gewalt zur Sprache zu bringen […] und ihr zu begegnen.« (263) Gerade weil Kinder tatsächlich die »fürsorgliche Begleitung von Erwachsenen« (278) angesichts des Bösen suchen, hätte die dafür notwendige Haltung der Lehrkraft grundlegend reflektiert werden müssen. Die Vfn. deutet dies aber nur mit sporadischen Hinweisen zu einem pädagogischen Stil mit »viel Sensibilität« (29) an.
Insgesamt wäre für den Umgang mit solchen Bildern, die »eine künstlerische Darstellung höchster psychischer Bedrohung« (258) sind, die Frage nach dem religionspädagogischen Ethos intensiver, als die Vfn. dies tut, zu stellen! Mit dem Bild ›Sie nageln ihn ans Kreuz‹ macht die Vfn. z. B. absichtlich die Schülerinnen und Schüler zum »Zeugen wider Willen« (265). Allein, dass Kinder andernorts mit Gewaltbildern konfrontiert werden (262 u. ö.), genügt als Be­gründung nicht, dies im Religionsunterricht zu potenzieren – selbst mit dem hehren Ziel ethischer Kompetenzerweiterung. Da die Vfn. Pankoksche Kinderdarstellungen als erschrockene (!) Beob achter und »Protagonisten der Grenzen überwindenden Liebe« (169) erkennt, wäre umso nötiger gewesen, den Einsatz seiner Bilder im Schulkontext differenzierter zu hinterfragen.
Das pädagogisch-theologische Potential Pankoks aufgeraut zu haben, ist das Verdienst des Buches. Seine Schwäche ist der zu un­kritische Einsatz dieser Kunst im Schulfach Religion. Über den Religionsunterricht hinaus lässt sich aber gewiss mit der theologischen und psychologischen Kraft dieser Bilder und den Impulsen der Vfn. besonders in Jugendarbeit, Erwachsenenbildung und Seelsorge weiterarbeiten.