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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

955–957

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Jürgensen, Claus

Titel/Untertitel:

Das Altonaer Bekenntnis vom 11. Januar 1933.

Verlag:

Husum: Matthiesen Verlag (Husumer Verlagsgruppe) 2013. 176 S. m. zahlr. Abb. = Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 56. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-7868-5501-9.

Rezensent:

Tim Lorentzen

Am 17. Juli 1932, einem Sonntag, marschierten Tausende von Na­tionalsozialisten in einer Massendemonstration durch das rote Zentrum des holsteinischen Elbhafens Altona. Während des Gottesdienstes fielen draußen Schüsse, es kam zu einer stundenlangen Straßenschlacht mit 18 Toten, zumeist Unbeteiligten, sogar Frauen. Die Gemeinde war schockiert, man sprach von »Bürgerkrieg«. Nach einem »Notgottesdienst« in den Altonaer Kirchen beschloss eine Pastorenversammlung, ein theologisches Manifest zu erarbeiten, mit dem eindeutig und autoritär die Position der Kirche zu den Lagerkämpfen der Gegenwart erklärt werden sollte. Dieses Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens, das am 11. Januar 1933 in überfüllten Gottesdiensten feierlich verlesen wurde, ist sogleich von den Zeitgenossen, ob zustimmend oder ablehnend, als beispielloser Akt eines völlig neuen kirchlichen Selbstbewusstseins wahrgenommen worden. Statt sich in einer »Bundesgenossenschaft im politischen Kampf« den Parteien gemeinzumachen, müsse die Kirche sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, »die Gewissen zu schärfen und das Evangelium zu verkündigen« (160), forderte das Altonaer Bekenntnis. Nachdrückliche Immunisierung der Kirche gegen jede Möglichkeit, sich von politischen Interessen einspannen zu lassen – das war das Programm, mit dem die 21 Unterzeichner heftige und anhaltende Diskussionen weit über die Region hinaus provozierten. Hauptverfasser war Hans Asmussen.
Endlich gibt es eine Monographie zu diesem wichtigen Dokument. Der emeritierte Pastor und Kirchenhistoriker Claus Jürgensen schildert Hintergründe und Entstehung (9–58), Bekanntmachung und Verbreitung (59–76), schließlich auch Rezeption und Folgen (77–98) des Altonaer Bekenntnisses in der beginnenden Diktatur; zudem dokumentiert er nicht nur dessen Wortlaut selbst nach einem damals verbreiteten Flugblatt, sondern auch weitere überaus aufschlussreiche Quellen (30–50.107–167), die zumeist hier erstmals im Druck erscheinen, soweit die archivalisch lückenhafte Überlieferung es zugelassen hat. Damit hat er der Kirchlichen Zeitgeschichte einen echten Dienst erwiesen; diese wird dem erheblichen Erklärungspotential dessen, was hier zusammengetragen worden ist, einiges abgewinnen können. Das gilt umso mehr, als die nötigen Folgerungen nicht immer von J. selbst gezogen und ausgesprochen werden.
Die ausdrückliche Politikverweigerung der Altonaer Pastoren, ihre sture Absage an die glanzvollen Heilsversprechen eines »Chiliasmus der Parteien« (33) von links und rechts, gipfelte in ihrer besonders heftig umstrittenen Weigerung, sich zur weihevollen Dekoration politischer Begräbnis- und Heldenfeiern einspannen zu lassen, wie es Asmussen selbst konfliktreich in seiner früheren Gemeinde Albersdorf erlebt hatte. Die rechte Presse und ihre Leser schäumten: Das grenze an »Hochverrat« und leiste »dem Kommunismus offen Vorschub« (43). Entsprechend hoch schlugen die Wellen der Empörung in der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche. Doch nicht die völkische Theologie des Nationalsozialismus war die eigentliche Zielscheibe, sondern die Weimarer Moderne, als deren Teil eben auch Hitlers Partei gesehen wurde: J.s Darstellung lässt sehr deutlich das zutiefst antimoderne, antiliberale und, ja, antidemokratische Wurzelwerk hervortreten, aus dem das archaische Selbstbewusstsein dieser Bekenntnisschrift seine Nährstoffe zog. Ohne den starken Einfluss der Nordschleswigschen Erwe-ckungsbewegung, in der Asmussen und andere aufgewachsen und entschiedene Gegner der Liberalen Theologie geworden waren, ist das stolze Altonaer Bekenntnis undenkbar. Gewiss, aus der Clausula Petri (Apg 5,29) wurden hier – auch das ein spektakulärer Schritt – durchaus Widerstandsmöglichkeiten gegenüber dem Staat abgeleitet. Aber zu diesem Zeitpunkt war eher ein Staat gemeint, »der nicht willens oder nicht fähig ist, unsere Bühnen, unsere Buchläden, unsere Zeitungen vor dem gröbsten Schmutz zu schützen, ein […] Staat, der sich immer noch der lächerlichen Erklärung be­dient, die Freiheit der Kunst verbiete ein energisches Zufassen« (45). Auch so konnte Hans Asmussen schreiben. Man muss seinen Kommentar zur Barmer Theologischen Erklärung von 1934 mitlesen, um die Fortwirkung dieses tief eingewurzelten Antimodernismus richtig zu verstehen. Der dortige Protest gegen die Sakralisierung von Hitlers Machtübernahme war eingebettet in einen Protest gegen den Niedergang evangelischer Theologie seit der Aufklärung, die das Einströmen konkurrierender Offenbarungsquellen neben Jesus Christus zugelassen habe.
So scharf das Altonaer Bekenntnis gerade von rechten Kritikern torpediert wurde, »weil es einer versinkenden Zeit angehöre« (78), so eilfertig jedoch bekundeten die Pastoren wiederum nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten (nach der »politischen Wende« [77], schreibt J.) ihre fromme Loyalität zur neuen Zeit und beteuerten, es sei ihr »heißer Wunsch, daß die Wege, die der Herr Reichskanzler Adolf Hitler gewiesen hat, gegangen werden zum Segen für unser Volk und zum Heil unserer Kirche« (87). Nach dieser letzten gemeinsamen Erklärung der 21 zerbrach die Gemeinschaft. Fast pünktlich zum ersten Jahrestag des Bekenntnisses wurde Asmussen in den Ruhestand versetzt, anderen Kollegen ging es ähnlich. Wenige Monate später bereits arbeitete er mit Karl Barth und Thomas Breit am Entwurf der Barmer Theologischen Erklärung.
Das reiche Material, das J. zu Tage gefördert und hier in Darstellung und Dokumentation zugänglich gemacht hat, erlaubt dem Kundigen neue Einblicke in die kirchen- und theologiegeschichtlichen Verflechtungen des Altonaer Bekenntnisses und seiner Verfasser. Für Unkundige halten die Fußnoten viele Basisinformationen bereit, die Kommentierung und Deutung der wichtigen Quellentexte hätte mancherorts freilich gern etwas mehr Substanz bekommen können. Dass Asmussens 20-seitiges Typoskript zur Entstehung des Bekenntnisses hier erstmals zum Abdruck kommt (30–50), ist besonders zu würdigen, doch ausgerechnet hier fehlt leider der archivalische Nachweis (eine Kopie findet sich z. B. in Hamburg, Archiv des Kirchenkreises Altona, Nr. 1752). Generell sind die Archivnachweise zu ungenau, und auch für die kommentierte Edition solcher Quellen stehen wissenschaftliche Maßstäbe zur Verfügung, die den Umgang damit doch erleichtern würden. Trotz einiger Unebenheiten auch in der Darstellung ist dies eine sehr verdienstvolle Arbeit, die die wirklich prominente Schlüsselstellung des Altonaer Bekenntnisses zwischen Weimar und Barmen klar be­legt. Ihre etwas entlegene Platzierung freilich könnte den unzutreffenden Eindruck erwecken, als wären diese Vorgänge für die Forschung von lediglich regional- oder gar lokalgeschichtlicher Bedeutung: Das Buch ist in der Reihe »Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte« erschienen, die die Bandzählung der ehemaligen Vereinszeitschrift gleichen Namens fortführt. Der Verlag hat es auf einer Art robusten Zeichenkarton gedruckt, den man mit beiden Händen gut festhalten muss, damit es bei der Lektüre nicht zuklappt.