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Ausgabe: | Juli/August/1999 |
Spalte: | 819 f |
Kategorie: | Religionspädagogik, Katechetik |
Autor/Hrsg.: | Wermke, Michael [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Rituale und Inszenierungen in Schule und Unterricht. |
Verlag: | Münster: LIT 1997. 171 S. 8 = Grundlegungen, 2. Kart. DM 29,80. ISBN 3-8258-3279-1. |
Rezensent: | Martin Schreiner |
Das im Schnittpunkt der Interessen von Theologie, Religionswissenschaft und Sozialwissenschaften liegende Phänomen des
Rituals erlebt zur Zeit im deutschsprachigen Raum eine beachtenswerte Renaissance. Auch in zahlreichen allgemeinpädagogischen und religionspädagogischen Zeitschriften erscheinen nach einer langen Phase radikaler Ritualkritik wieder Themenhefte über Funktion, Struktur und Bedeutung von religiösen und alltagsweltlichen Akten "formalisierten und dramatisierten symbolischen Ausdruckshandelns von Einzelnen oder Gruppen mit transformatorischem Charakter" (H.-G. Heimbrock).
Die hinsichtlich Gehalt, Gestalt und Aktualität sehr unterschiedlichen Beiträge in dem von M. Wermke herausgegebenen Buch möchten die Motive für die neue Aufmerksamkeit auf Rituale erhellen und insbesondere erörtern, wie ein theologisch und pädagogisch verantwortbarer Umgang mit Ritualen im Unterricht möglich ist, der - wie es in der Einführung heißt - weder hinter die grundsätzlich ritualkritische Haltung des Protestantismus noch hinter die Erfahrungen in der deutschen Geschichte mit Ritualen zurückfällt. Der Band enthält in drei Teilen Veröffentlichungen zu "Rituale in der religionspädagogischen Diskussion" (H.-G. Heimbrock, Chr. Grethlein, M. Meyer-Blanck, B. Dressler), zu "Rituale in der Lebenswelt Jugendlicher" (F. Steffensky, M. Josuttis, Th. Ziehe) und zu "Rituale in der pädagogischen Praxis" (A. v. Friesen, O. Seydel, Chr. Münz).
Nicht immer ist der Bezug zu Schule und Unterricht erkennbar, den der Buchtitel vermuten läßt; das Verhältnis von Ritual und Inszenierung wird kaum angesprochen; ein Großteil der Beiträge sind Wiederabdrucke beziehungsweise Überarbeitungen andernorts erschienener Fassungen.
Insbesondere die Aufsätze im ersten Teil sind allerdings sehr lesenswert und führen in wesentliche Positionen der religionspädagogischen Diskussion über einen reflektiert-kritischen Umgang mit Ritualen ein. In prägnanten Ausführungen hinterfragt beispielsweise H.-G. Heimbrock die weitverbreitete kulturhistorische These der Ritualarmut als Signum der Moderne durch Verweise auf eine vielfältige Verbreitung von Ritualen und Ritualisierungen des Verhaltens in der Alltagskultur. Er macht auf die begriffliche Nähe von Ritus und Ritual zu Zeremoniell, Kult und Spiel aufmerksam und betont die spezifische Fähigkeit von Ritualen, mit ihren symbolischen Formen und insbesondere auch im leibhaftigen, sinnlich wahrnehmbaren expressiven Handeln spezielle Sinndimensionen von Religion zum Ausdruck zu bringen, Freiheitsmomente und Spielräume wie auch Kontingenzerfahrungen, die weder in alltäglichem Reden und Handeln noch theoretisch zureichend artikuliert werden können (32).
Heimbrock hält Rituale zu Recht für einen unverzichtbaren Beitrag zu religiöser Sinn-Bildung und nennt drei Grundaufgaben ritueller Bildung: 1. Rituale in Bildungsprozessen sind als Dimensionen des elementaren Lernens neu zu berücksichtigen und als elementare Formen des Lernens neu zu verstehen (42). 2. Es gilt Einsichten in Funktionszusammenhängen, Sinndimensionen und Wirkungs- und Mißbrauchsmöglichkeiten von religiösen Ritualen im Kontext alltäglicher Ritualisierungen zu vermitteln, da diese die Urteilsfähigkeit in Sachen Religion erweitern und zudem wahrnehmungs- und sprachfähig machen im Blick auf nichtchristliche Religionen (43). 3. Rituale sind als Angebote von Ordnungsmustern gelingenden Lebens auch im Bereich ethischer Bildung zu diskutieren (44).
Im Zusammenhang von Überlegungen zur Frage liturgischer Elemente und religiöser Praxis im Klassenzimmer stellt M. Meyer-Blanck zunächst den reflexiven und selbstreflexiven Umgang mit der Religion und der eigenen Religiosität als spezifisch protestantischen Umgang heraus. Gleichwohl sollte im Mittelpunkt einer Didaktik christlicher und anderer religiöser Zeichenprozesse der Gebrauch christlich-religiöser Zeichen stehen, nicht ihr Inhalt "an sich". Texte, Lieder, Bilder, Bewegungen und Begehungen seien probeweise, quasi experimentell zu inszenieren, damit ihr Gebrauch verstehbar, nachvollziehbar und kritisierbar wird (66). Als didaktisch besonders fruchtbar erweise sich die Form als Handlungselement von Ritual und Liturgie, weil diese dadurch unterrichtlich handhabbar und analysierbar werden. Wer christliche Religion lehrt, müsse diese "in Form bringen", da die religiöse Form ein Potential in Sachen religiöser Bildung enthalte (62).
Insgesamt gesehen liefern die Beiträge dieses Bandes interessante Positionsbestimmungen zu dem prinzipiellen Spannungsverhältnis zwischen protestantischer Reflexion und ritualisiertem Glaubensvollzug.