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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

870–871

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Heyl, Andreas von

Titel/Untertitel:

Sie laufen und werden nicht müde … Betrachtungen zum pastoralen Dienst aus arbeitspsychologischer Perspektive.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 138 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03741-4.

Rezensent:

Dieter Becker

Andreas von Heyl ist als Theologe über die Ausarbeitungen zum Thema »Burnout im Pfarrberuf« bekannt. Im zu besprechenden Buch hat er Einzelbeiträge zum Thema zusammengeführt; zwei Beiträge davon unveröffentlicht (Umfang: 15 S.), acht wiederveröffentlicht (75 S.), sowie seine beiden Antrittsvorlesungen von 2003 bzw. 2012 (26 S.). Burnout – oder das Syndrom, sich körperlich, emotional und seelisch »ausgebrannt« zu fühlen (Zustand totaler Erschöpfung) – wird nach der WHO-Klassifikation (ICD-10; Z73) nicht als Krankheit, sondern als Problem der Lebensbewältigung eingeordnet. Aber daraus überwiegend auf persönlich-individuelle (statt vielmehr auf strukturell-prozessuale) Ursachen bzw. Lösungen zu schließen, stellt eine Verkürzung dar. Dieser in den Einzelbeiträgen des Buches häufig beschrittene Weg hinterlässt einen ambivalenten Eindruck.
Burnout wird als pastorales Berufsproblem in den ersten beiden Artikeln (9–17: »Und dann wurde mir alles zuviel«; 19–24: »Wenn Ar­beit krank macht«) ausgeführt. Diese Beiträge beschreiben kurz, meist plakativ diverse Ursachen (auch strukturelle; 14) des Burnout im Pfarramt. Schon hier wird »die heilsame Wirkung eines geistlichen Lebens« (16 f.) als Lösungsweg zur Burnoutbewältigung eingeschlagen. Darunter versteht der Vf. individuelle Spiritualitäts-(aus)-übung, Exerzitien, Meditation, Gebet durch die Pfarrperson.
Im dritten Beitrag (»Es ist genug«; 25–37) wird anhand der alt-tes­tamentlichen Elia-Geschichte (1Kön 19) eine Lösungsanalogie zum heutigen Pfarrberuf geboten. Dass der Vf. Elias Massenmord an den 450 Baalspriestern und den folgenden Burnout als Ausgangsbasis nimmt, irritiert. Gleichwohl werden die alttestamentlichen Lösungsbeschreibungen für heutige Burnouterfahrung adaptiert: Gott (der Glaube) führt uns: a) über die Stillung primärer körperlicher Grundaspekte [Essen, Trinken; Schlafen; intensive Bewegung], b) zu beruhigenden Situationen [Gott beruhigt als stilles, sanftes Sausen] und c) zur Entlastung bzw. Gesundung [Besinnen, Meditieren, Reden mit Gott]. Der Beitrag enthält Lösungssätze wie: »Im Glauben an Gott liegt der Schlüssel für alle Heilung des Menschen« (34); »der Glauben an Gott (kann) gesund machen« (34); »[e]ine entscheidende Quelle der Gesundung ist das Gebet und die Meditation« (35). Diese spirituelle Tendenz pastoraler Burnout-Überwindung setzt sich fort. Anhand von (durchaus anregenden) bildhaften Beschreibungen wird dabei »evangelische Spiritualität« quasi als Panazee etabliert: Als »Hygiene im geistlichen Amt« (45–53), gegen die »Gefahr, im Pfarrberuf seine Seele zu verlieren« (55–63; Ziel: eigene Berufung spüren), als »den Brunnen pflegen« (71–77; 73: »Je mehr wir in unserer gelebten Frömmigkeit mit Christus in Beziehung treten, […] desto mehr sind wir hineingenommen in einen Prozess der ›Heiligung‹«; hier auch ein Masterplan ritua-lisierter Spiritualitätspflege), als »die heilende Kraft der Spiritualität« (80–90; 81: »Burnout-Ursache: Verlust des tragenden Grundes der geistlichen Existenz«; 84: Aufgabe sei es, »Geistlicher durch beharrliche Übung zu werden« mit Verweisen auf Ignatius von Loyolas werkgerechtliche Exerzitien, Dürckheims Zen-Meditation, Hertzschs evangelische Exerzitien; 87: »Manch als Pfarrer/in Besoldeter ist ein – geistlicher – Etikettenschwindler«), als »Salutogenese« (103–120; Gesundheitsvorsorge statt Krankheitsbekämpfung) oder gegen »Stress als theologisches Problem« (121–138).
Der kurze Beitrag »Evangelische Spiritualität« (65–70) spiegelt in dem Buch die Mitte der Botschaft des Vf.s wider. Er postuliert (passim ähnlich): »Es wäre in der Tat ein Grundpfeiler der Prävention des Überlastungselends in unserer Kirche, wenn es gelänge, die Herzen der Gefährdeten für die Rechtfertigungsbotschaft aufzuschließen.« (67)
Im Beitrag »Pastorale Identität« (91–102) erfolgt eine Auseinandersetzung mit den 12 Thesen von Christian Buchholz (Württemberg). Buchholz bleibt in seinen Thesen ›barthianisch‹ gelassen, während die Assoziationen des Vf.s zerfasernd wirken. Buchholz muss nicht viel über Spiritualität und Glauben reden und wirkt – durch das wenig Pointierte – authentisch.
Beim Lesen der Beiträge des Vf.s bleibt (sofern nicht als pietistische Erbauungslektüre verstanden) ein höchst ambivalenter Eindruck. Die Verengung auf die (fehlende) Spiritualität der Pfarrperson bei Burnout verkürzt die Lösungsoptionen beruflicher Belas­tungsprobleme eklatant. Zum Kern pastoraler Berufsprobleme und Lösungen für die Berufsgruppe stößt der Vf. m. E. selten vor: strukturelle Aufgabenklärung mit gabenfördernder Personalstrategie seitens der Landeskirche! Insofern ist der arbeitspsychologische Selbstanspruch (Untertitel des Buches) des Vf.s verwirrend, weil er allein individualpsychologisch und nicht arbeitsorganisational im Blick auf die fürsorgepflichtige Arbeitgeberin (Kirche) ausgeführt wird. Denn: Das evangelische Pfarramt ist – nicht erst seit Dahm – ein funktionaler Beruf mit öffentlichen Kirchenaufgaben und nicht primär ein alimentierter Gebets- oder Meditationszirkel der Pfarrperson.