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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

843–845

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Neuhaus, Gerd

Titel/Untertitel:

Fundamentaltheologie. Zwischen Rationalitäts- und Offenbarungsanspruch.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2013. 318 S. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2489-8.

Rezensent:

Matthias Petzoldt

Verhältnismäßig kurz ist bisher die Geschichte der Fundamentaltheologie als eigenständiger Disziplin im Fächerkanon der rö­misch-katholischen Theologie. Das neuscholastische Konzept einer objektiv-rationalen Glaubensbegründung in dem apologetischen Diskurs der drei Traktate Demonstratio religiosa, Demonstratio christiana und Demonstratio catholica wurde schon zur Wende vom 19. zum 20. Jh. mit intrinsisch ansetzenden Konzeptionen kritisch infrage gestellt. Erst recht hatte das II. Vaticanum einen Aufbruch zu vielfältigen (z. B. transzendental-anthropologischen, hermeneutischen, handlungstheoretischen usw.) Neukonzeptionen herbeigeführt. Doch hat inzwischen ein breites Rücksteuern auf eine dreischrittige Entfaltung der Thematik eingesetzt, wenngleich nicht mehr in den Denkbahnen der Neuscholastik. Vielmehr gewinnen subjekttheoretische Begründungsdiskurse an Attrak-tivität, die Fichtes Philosophie auch für katholische Theologie in­teressant werden lassen. Exemplarisch für diese Entwicklung steht Hansjürgen Verweyens Projekt einer erstphilosophischen Glaubensverantwortung (Gottes letztes Wort, 4. Aufl. 2002).
In der Auseinandersetzung mit diesem Entwurf entwickelt Gerd Neuhaus, Vertreter des Fachs an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum, sein Konzept von Fundamentaltheologie. Diese habe »auf dem Boden einer Vernunft, die auch dem Nicht- oder Andersgläubigen zugänglich ist, den Glauben an Jesus als dem Christus zu begründen« (11). Darin geht er mit seinem Kollegen zusammen. An dessen »Erster Philosophie« kritisiert er aber, dass sie mit einer autonomen Vernunft argumentiere, welche im Wissen um ihre Unvollkommenheit ebendieser nicht mehr ausgeliefert sei und jegliche Heteronomie abgestreift habe. Für N. hingegen ist die Vernunft in der Erkenntnis ihrer Irrtumsfähigkeit Fremdbestimmungen noch lange nicht entronnen. Er zeigt hier ein gehörig kritisches Bewusstsein gegenüber theologischen und religionsphilosophischen Vernunftphantasien im Hinblick auf das Vermögen, Gott zu denken. Das bringt ihn dazu, an vielen Stellen Argumentationen der Religionskritik, allen voran die von Friedrich Nietzsche, in die Überlegung einzubeziehen. Vor allem wird ihm die Wahrnehmung der Begrenztheit der Vernunft zum Aufweis ihrer Angewiesenheit auf Offenbarung. Das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung bringt er auf die Formel: »was inhaltlich a priori gegeben ist, kann entdeckungsgeschichtlich erst a posteriori wahrgenommen werden« (14). Solche Korrelation legt eigentlich ein zweischrittiges Verfahren für den Aufbau des fundamentaltheologischen Entwurfs nahe. In diesem Sinne geht N. auch sein Vorhaben an, indem er den Gottesgedanken zunächst inhaltlich in Anknüpfungen an Anselm und Kant und mit Referenzen an die genannten subjekttheoretischen Trends als notwendig herleitet, um dann aber im Wissen um die Begrenztheit des Gottdenkens auf die biblische Offenbarung zu verweisen, die die gebrochene und korrumpierte Vernunft auf die rechten Denkbahnen bringt. Für eine katholische Fundamentaltheologie zieht dieses Vorgehen eine bemerkenswert umfangreiche Beschäftigung mit der biblischen Überlieferung nach sich. Auf den korrelativ ausgerichteten Argumentationsgang legt N. allerdings das Raster der drei demonstrationes. Diese Gliederung erweckt im Ganzen einen recht künstlichen Eindruck.
Eine große Stütze zur entwicklungsgeschichtlichen Plausibilisierung der Aposteriorität des Glaubensinhalts ist ihm die mimetische Theorie René Girards, die N. an vielen Stellen seines Gedankengangs, besonders im christologischen Teil, und umfangreich in ihrem Inhalt rezipiert und hin und wieder auch kritisch weiterzudenken sucht. Im Grunde läuft sein ganzes Unternehmen darauf hinaus, das trinitarische Glaubensbekenntnis so plausibel wie möglich zu erläutern. Zwar stand dieses Anliegen latent auch schon hinter den drei demonstrationes der neuscholastischen Fundamentaltheologie, dort aber in säuberlicher Trennung der philosophischen Beweisführung von den dogmatischen Traktaten. Hier dagegen wird der Versuch unternommen, unter deutlicher Distanzierung von jener Denkweise wesentliche Lehrinhalte der Kirche modern geglaubten Verstehensbedingungen nahezubringen. Diese Zielstellung fällt besonders im dritten, dem ekklesiologischen Teil auf, wo N. für die Lehre des II. Vaticanum von dem Sakrament Kirche wirbt. Einmal mehr fordert sein Buch die Frage heraus, was »Fundamentaltheologie« soll, wenn sie wie im vorliegenden Beispiel so nahe am dogmatischen Geschäft bleibt?
Eine eigene Note erhält das Buch dadurch, dass N. neben dem fundamentaltheologischen Fachpublikum Religionspädagogen als zweite Zielgruppe im Blick hat. Aus reicher Erfahrung eigener gymnasialer Praxis ist er um Anschaulichkeit und Verständlichkeit der Vermittlung eines Stoffes bemüht, der freilich um der Konkretisierung willen in seinem inhaltlichen Anspruch einer Religionspädagogik, die N. als »Abstürze in die Banalität« geißelt (17), nicht geopfert werden darf. Allerdings bieten seine Beispiele aus dem Schulalltag und dem schulischen Unterricht, die der Illustration zu erklärender Zusammenhänge dienen sollen, gelegentlich nur eine vordergründige Plausibilität. Im Ganzen zieht aber die sprachliche Diktion des Buches Gewinn aus der didaktischen Zielstellung.
Zum Schluss sei nochmals der Blick auf die Vernunftkritik dieser Fundamentaltheologie gerichtet. In der kritischen Einstellung zum Vernunftvermögen kommt N. gelegentlich der lutherischen Vernunftkritik nahe, auch wenn ungeprüft das typisch römische Vorurteil gegenüber Luthers angeblichem »Fideismus« kolportiert wird (13; nebenbei sei das Versehen beim Zitieren der lutherischen Exklusivformel sola fide [275] angemerkt).
Aber Luthers wie auch N.s Vernunftverständnis wird noch einmal weit überholt von einem – wenngleich heutzutage erst recht mühsam sich durchsetzenden – Verständnis, demzufolge Vernunft »nicht mehr als materielles, inhaltliche Prinzipien besitzendes, sondern als wesentlich formales […] Vermögen« begriffen wird (Wolfgang Welsch). Der Gottesbegriff ist deshalb nicht als Vernunftinhalt zu suchen, sondern die Frage nach seiner Rationalität fällt in die Grammatik jeweiliger religiöser Rede, die ihrerseits eine Pluralität von Sprachspielen aufweist. »Begründungsfragen« des Glaubens fallen daher nicht in die Klärung von Verfahrensfragen der Vernunft, sondern in die Plausibilität von »Bereichsrationalitäten«. Unter dieser sich grundlegend wandelnden Konstellation sind die Fragen nach »der Vernunft« und nach »der Rationalität des christlichen Glaubens« wahrlich fundamentale Problemstellungen für die Theologie. Wo sie von ihr offensiv aufgenommen werden, wird »Fundamentaltheologie« jedoch ganz andere Gestalt annehmen müssen, als sich das N. mit seiner Konzeption vorstellt.