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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

828–829

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Irlenborn, Bernd, u. Christian Tapp [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott und Vernunft. Neue Perspektiven zur Transzendentalphilosophie Richard Schaefflers.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Karl Alber 2013. 340 S. = Scientia & Religio, 11. Geb. EUR 39,00. ISBN 978-3-495-48562-0.

Rezensent:

Julian Tappen

Immanuel Kant beschließt die KrV A 852 mit dem Erfassen eines Desiderats seiner Arbeit, eine »Geschichte der reinen Vernunft« darzulegen. Richard Schaefflers Entwurf einer Theorie der Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit unter einer transzendentalphilosophischen Methode kann als Versuch gelesen werden, jene offen ge­bliebene Stelle im kantischen System zu füllen, indem er Kant gleichsam in »idealistische[r] Weiterbildung der Transzendentalphilo-sophie« (263) fortführt. Darin sucht er zugleich einen gegenüber religiösen Implikaten autonomen Gottesbegriff zu entwickeln, der die Bedeutung der Religion auf säkularem Feld sichern und von innen heraus seine Vernünftigkeit derart ausweisen kann, dass religiösen Akten eine Art Objektivität zuzusprechen möglich ist.
Der Tagungsband eines im Herbst 2011 unter dem Titel »Gott und Vernunft« veranstalteten Symposiums der Universitäten Paderborn und Bochum verspricht »neue Perspektiven« auf das umfangreiche Werk Schaefflers bzw. mit ihm gemeinsam auf sechs Brennpunkte gegenwärtiger Religionsphilosophie zu werfen, in­dem (nicht nur aber) vor allem Bezüge zwischen seiner transzendentalen und der analytischen Religionsphilosophie hergestellt werden. Dies verspricht bereits insofern Spannung, als Schaeffler mit dem starken Anspruch auftritt, philosophische Theologie sei heute überhaupt nur als transzendentale Theologie möglich (vgl. 28). Die von ihm zu Beginn vorgestellte Methode wird denn auch gleich den (exemplarischen) analytischen Ansätzen R. Swinburnes und W. L. Craigs gegenübergestellt.
B. Irlenborn lotet diejenigen Punkte aus, die aus Schaefflers Sicht gegen eine vermeintlich unkritische, positivistische und normativ schwache analytische Religionsphilosophie sprechen, und baut damit Brücken eines fruchtbaren Dialogs zwischen den bis dato weitgehend unverbundenen methodischen Ansätzen. Auch im Kapitel zur »Gottesrede in der gegenwärtigen Transzendentalphilosophie« kommt Schaeffler zunächst selbst zu Wort, bevor seine transzendentalphilosophische Methode des Erfahrungsdialogs sowie das Aufkommen des Gottesbegriffs mit der ebenfalls transzendentalphilosophischen »Erstphilosophischen Letztbegründung« (118) D. Henrichs/K. Müllers verglichen wird. Schließlich gelingt K. G. Sander eine genuin theologische Fortführung des Kapitels in Anschluss an die vorangehenden Überlegungen R. Hohmanns.
Nach einem mehr kritisch-exegetischen Kapitel über den Stellenwert der klassischen Gottesbeweise bei Schaeffler (C. Tapp und B. Irlenborn) wendet sich A. Hansberger Schaefflers Theorie der religiösen Erfahrung zu, indem er sie einmal mehr mit der analytischen Frage nach deren epistemischen Status in Verbindung bringt. C. Weidemanns Beitrag im selben Kapitel erschließt sich dagegen nicht von selbst, stellt der Autor selbst doch gleich zu Beginn fest, dass er die Existenz genuin religiöser Erfahrung bezweifelt. Dass »Logischer Egoismus oder unvertretbare Realität« dennoch zu den unbedingt lesenswerten Artikeln des Bandes gehört, liegt nicht zuletzt daran, dass es gelingt, aus einer analytischen Sichtweise »Neue Perspektiven« auf das Werk Schaefflers zu entwickeln und damit zugleich die geforderten Brücken zwischen den Methoden zu bauen, ohne sie vorschnell zu harmonisieren.
Als weiteren religionsphilosophischen Brennpunkt reflektieren B. Nitsche und A. Koritensky in ihren Artikeln religiöse Pluralität. Als Basiskategorie des Schaefflerschen Ansatzes lassen sich entsprechend mannigfaltige Impulse für die Spannung von religiöser Identität und Pluralität aus seinem Werk erhoffen. Diese arbeitet Nitsche zunächst heraus, um davon ausgehend auch einige prak-tische Hinweise für den interreligiösen Dialog – zur Kultfeier, zum Gottesverständnis und zur Namensanrufung Gottes – zu formulieren.
Den durchaus differenten Traditionen im Vernunft-Glaube-Verhältnis der protestantischen und katholischen Theologie tragen die beiden Beiträge J. Zachhubers und B. Neumanns Rechnung, die jeweils aus konfessioneller Sicht Schaefflers Bestimmung desselben reflektieren – auch wenn die beiden Autoren die Disparatheit der Traditionen bestreiten. Zachhuber widmet sich den »Philosophischen Einübungen« Schaefflers und zeigt durch die Genese dieses Begriffs das kritische Potential seiner (und damit normativ mitformuliert: jeder) Religionsphilosophie auf. Neumann indes antwortet in weiten Teilen zustimmend auf Zachhuber, indem er auf die klassischen »konfessionellen Gefahren« (vernunftfeindlicher Fideismus auf der einen und geschichtsvergessener Traditionalismus auf der anderen Seite) verweist, denen vor allem Schaefflers »Geschichte der reinen Vernunft« den Boden zu entziehen versuche.
Schließlich würdigen T. Deutsch und S. Walser den Schaefflerschen Beitrag zu einer Theorie des Gebets als Sprachhandlung, indem sie sich teils affirmativ, teils abgrenzend auf seine Thesen zur gebetslegitimierenden Vernunftdialektik und zur Doxologie beziehen.
Mit »Gott und Vernunft« fügen B. Irlenborn und C. Tapp der ohnehin Schaeffler-affinen Reihe Scientia & Religio des Karl Alber Verlags ein in vielen Hinsichten gelungenes Werk hinzu. Man ist geneigt, die Schaefflerschen Basiskategorien von Pluralität und Dialog auch in der Form des Werkes herauszuarbeiten bzw. in sie hineinzulesen: Die Wahl der einzelnen Kapitel erscheint nachvollziehbar, indem sich die Artikel sukzessive an gegenwärtig drängenden religionsphilosophischen Brennpunkten abarbeiten. Auch die einzelnen Beiträge stehen insgesamt (in ihrem Bezug zu den unterschiedlichen Facetten von Schaefflers Philosophie) wie untereinander in einem harmonischen Verhältnis. So beziehen sich die Beiträge der einzelnen Kapitel durchweg jeweils dialogisch aufeinander. Dabei ist offensichtlich die Überzeugung erkenntnisleitend, dass sowohl die Transzendentalphilosophie (hier in der Schaefflerschen Form) als auch die Methode der Analytischen Religionsphilosophie Potentiale vorhalten, die es zu heben lohnt. Meines Erachtens tut sich damit ein weiter Kreis potentiell interessierter Leser und Leserinnen auf, denen der Band anzuempfehlen ist: denen, die primär ein methodisches Interesse haben, wie denen, die einen der Brennpunkte bearbeiten; »Transzendentalen« wie »Analytikern«; Schaeffler-Experten wie denen, die erst einen Zugang zu seinem umfangreichen Werk finden wollen. Damit widerspricht die Anlage des Buches freilich dem eingangs erwähnten »transzendentalen Monopolanspruch« des engagierten Forschers – eben eine neue Perspektive zu seiner Philosophie. Kritisch sei einzig die Frage gestattet, ob – wie das Autorenverzeichnis implizieren könnte – die Transzendentalphilosophie Schaefflers eine exklusive »Männerphilosophie« ist.