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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

795–799

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Dietrich-Alex

Titel/Untertitel:

Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 665 S. m. 26 Abb. u. 9 Tab. (2., korr. u. erw. Aufl. 2014. 684 S. m. 26 Abb. u. 10 Tab.) Geb. EUR 79,99. ISBN 978-3-525-52199-1 (2. Aufl.: 978-3-525-52202-8).

Rezensent:

Udo Schnelle

Zum ersten Mal erscheint nach Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum wieder eine umfassende Darstellung der Geschichte des Urchristentums. Dietrich-Alex Koch steht damit in der Tradition seines Göttinger Lehrers Hans Conzelmann, der 1969 eine kurz gefasste, höchst anregende Geschichte des Urchristentums vorlegte. Auch K. bleibt bei diesem traditionellen Begriff, weil für ihn die Alternativbezeichnung »Frühes Christentum« ebenfalls zahlreiche Probleme in sich trägt.
Nach einer kurzen Übersicht zum Gegenstand der Geschichte des Urchristentums und zur Quellenlage (21–39) behandelt K. in einem ersten umfangreichen Hauptteil (41–137) die Voraussetzungen des Urchristentums: die hellenistisch-römische Welt der frühen und mittleren Kaiserzeit (1. und 2. Jh. n. Chr.). Hier ist K. schon durch zahlreiche Veröffentlichungen als Experte ausgewiesen und stellt meisterhaft die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Kontexte des Urchristentums dar. Eine Art Übergangsfunktion hat ein kurzes Kapitel über Johannes den Täufer und Jesus von Nazareth als weitere geschichtliche Voraussetzungen des Urchristentums (139–152). Anders als z. B. Martin Hengel sieht K. im Wirken Jesu die Voraussetzung und nicht den Beginn des Urchristentums. Als zeitliche Eingrenzung für diese Epoche schlägt K. den Zeitraum von 30 bis ca. 150 n. Chr. vor. Dabei dienen ihm die Apologeten und die entstehende Gnosis als Indikatoren einer neuen Entwicklung. K. ist zu dieser relativen Spät datierung gezwungen, weil er eine ganze Reihe von Schriften später als üblich ansetzt: 1Petr: um 115 n. Chr.; Pastoralbriefe: um 120–130; Ignatiusbriefe: um 130; Johannesoffenbarung: 130–135. Speziell bei der Spätansetzung der Gnosis ergeben sich allerdings Probleme. K. räumt ein, dass es schon um 130 n. Chr. »Vorboten der kommenden Entwicklung« (155) gegeben habe, aber erst ab 150 würde die neue Entwicklung voll einsetzen. Dagegen spricht aber vor allem das Zeugnis Justins, denn dieser verfasste in jedem Fall vor 150 n. Chr. eine umfangreiche Schrift/Zusammenstellung (Syntagma) gegen alle bisherigen Häresien (Apol I 26,8). Sie ist zwar verloren gegangen, aber aus seinen polemischen Äußerungen gegen zahlreiche gnostische Strömungen in Dial 35,4–6 lässt sich erschließen, dass Justin im Syntagma auch gegen Basilides, Valentin und viele andere Gnostiker umfangreich und aggressiv argumentiert haben muss. Schon deutlich vor 150 n. Chr. gab es ausgebaute gnostische Systeme, d. h. man wird eine gewisse Entstehungs- und Ausbreitungszeit annehmen dürfen und die Entstehung der gnostischen Systeme früher ansetzen müssen (z. B. im ersten Drittel des 2. Jh.s).
Bei K. führt die Spätdatierung dazu, dass die Gnosis faktisch nicht behandelt und so zu einem Gegenstand der Kirchengeschichte wird. Damit folgt er einem aktuellen Forschungstrend, das Phänomen Gnosis zu dekonstruieren und zeitlich nach hinten zu verlegen (ab Mitte bis 2. Hälfte des 2. Jh.s). Als ich vor über 40 Jahren in Göttingen studierte, war die Gnosis noch Voraussetzung des Urchristentums, heute hat sie damit nichts mehr zu tun! Eine erstaunliche Entwicklung, die mich eher skeptisch sein lässt und zu der Vermutung führt, dass weder die alten noch die neuen Thesen historisch zutreffend sind.
Den zweiten großen Schwerpunkt innerhalb des Buches bildet die Darstellung der Entwicklung des Urchristentums von der Urgemeinde bis hin zum Apostelkonzil/antiochenischen Streit (157–245). K. wählt bei einer kritischen Grundhaltung die Darstellung der Apostelgeschichte als Basis, um die Entstehung der Jerusalemer Gemeinde nachzuzeichnen. Am Anfang standen eine Ersterscheinung des Auferstandenen vor Petrus und die Restitution des Zwölferkreises, dann erfolgte eine erste Ausweitung durch Zuzüge aus Galiläa und die Entstehung des Apostelamtes, das u. a. dem Herrenbruder Jakobus erste Autorität verlieh. Das Auftreten der »Hellenisten« und die Konflikte mit Diasporajuden in Jerusalem brachten eine weitere Ausbreitung der neuen Bewegung. Wie James Dunn ( Beginning from Jerusalem, 2009) beantwortet auch K. ausdrücklich negativ die Frage, ob es neben Jerusalem mit Galiläa ein zweites Zentrum früher christlicher Gemeinden gegeben habe. Als Argumente werden historische und archäologische Gründe genannt.
Diese Entscheidung ist weitreichend, denn es geht um das zentrale Problem, ob es neben Jerusalem (und später Antiochia) von Anfang an noch ein drittes Zentrum/eine dritte Strömung innerhalb des entstehenden Christentums gegeben hat: die Jesus-Bewegung in Galiläa. Dafür sprechen aus meiner Sicht gewichtige Argumente: Mk 14,28; 16,7 setzen Erscheinungen in Galiläa voraus. Wenn in Jerusalem die Erscheinung des Auferstandenen zu Gemeindegründungen führte, dann wird man das auch für Galiläa annehmen dürfen. Sowohl die Logienquelle als auch das Markusevangelium als älteste fassbare schriftliche Zeugnisse setzen voraus, dass sowohl Jesus als auch die nachfolgende Bewegung in erster Linie in Galiläa auftraten. Warum sollte ausgerechnet dort, wo Jesus und die Jesus-Bewegung nachhaltig wirkten, die Entwicklung nicht weitergegangen sein? Damit verbindet sich eine weitere grundsätzliche Überlegung: Die Tradierung der mündlichen Überlieferungen von Jesus und über Jesus bis hin zu ersten Verschriftlichungen sind ohne nachösterliche Gemeinden in Galiläa nur schwer vorstellbar. Wo soll dieser entscheidende Vorgang in der Geschichte des Urchristentums im Wesentlichen erfolgt sein, wenn nicht vor allem in Galiläa?
Die Entwicklung des Urchristentums außerhalb von Palästina wird wesentlich durch die Gemeinde im syrischen Antiochia bestimmt. Sie setzt die Vertreibung der »Hellenisten« und das Martyrium des Stephanus voraus und dürfte nach K. bereits um 32/33 n. Chr. entstanden sein. Er geht davon aus, dass eine größere Gruppe der aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten sich in Antiochia sammelte und dort eine eigenständige Gruppe bildete. Sie trennte sich noch nicht bewusst vom Judentum, leitete aber eine innere Dynamik ein, die immer mehr vom Judentum wegführte. Neben Antiochia sei vor allem die Gemeinde in Damaskus zu nennen, die ebenfalls schon sehr früh entstand und ein eigenes Profil entwickelte. Mit Damaskus verbindet sich die Geschichte des Paulus, denn hier versucht der spätere Apostel, die neue Gruppe der Christen aus dem jüdischen Sozialverband auszugrenzen, um sie so zu vernichten. K. zeichnet dann die beginnende Missionstätigkeit des Paulus nach, der zunächst als Mitarbeiter des Barnabas im Auftrag Antiochias auf Zypern und im südlichen Kleinasien missionierte. Die Grundzüge der lukanischen Darstellung der ersten Missionsreise werden als historisch angesehen, wobei der Übergang von Zypern nach Kleinasien durch lokalgeschichtliche Erkenntnisse erklärt wird: Die Missionare Barnabas und Paulus besaßen das Wohlwollen des Statthalters Sergius Paullus, dessen Familie eng mit dem südlichen Kleinasien verbunden war. So konnten sich Barnabas und Paulus ihre neuen Kontakte zu Nutze machen, um in Kleinasien und speziell im pisidischen Antiochia zu missionieren. K. geht davon aus, dass ursprünglich nur eine Mission auf Zypern geplant war, die dann spontan durch die neuen Möglichkeiten ins südliche Kleinasien ausgedehnt wurde. Angesichts der Missionserfolge und der stetig wachsenden gemischten Gemeinden aus Juden- und Heidenchristen entstanden die Probleme, die beim Apostelkonzil zur Debatte standen, das K. in das Jahr 49 datiert. Es war demnach nicht der Kampf des Paulus gegen die Jerusalemer, sondern beim Apos­telkonzil sei es zu einer mühsamen Übereinkunft zwischen den Gemeinden von Jerusalem und Antiochia gekommen. Die Gemeindedelegation von Antiochia wurde auch nicht von Paulus, sondern von Barnabas geleitet. Im Rahmen des Apostelkonzils wurden zwei Vereinbarungen geschlossen, die geographische Aufteilung der Missionsgebiete (Gal 2,9) und die Kollektensammlung (Gal 2,10). Die lukanische Überlieferung des Aposteldekretes gehört hingegen für K. nicht zu den Ergebnissen des Apostelkonzils, wie vor allem der antiochenische Konflikt deutlich zeige. Der konservative Flügel der Jerusalemer Gemeinde habe den Vereinbarungen jedoch nie zugestimmt, wodurch die anschließenden Konflikte, speziell der antiochenische Zwischenfall, vorprogrammiert waren.
K. behandelt dann die selbständige Mission des Paulus und sein Schicksal in Rom (285–364). Dabei steht das Leben und Wirken des Apostels in Kleinasien und Griechenland mit dem Schwerpunkt Ephesus im Mittelpunkt. Sowohl der Missionsverlauf als auch die mit ihm verbundenen Konflikte (Philippi, Thessalonich, Korinth) werden von K. kenntnisreich und überzeugend nachgezeichnet. Bei der sozialen Schichtung der paulinischen Missionsgemeinden geht er davon aus, dass die meisten Angehörigen dem unteren Segment der antiken Stadtbevölkerung angehörten und nur in Einzelfällen Gemeindeglieder dem mittleren Segment zuzurechnen sind. Es gab aber auch in der ersten Generation einzelne Gemeindemitglieder aus der Stadtelite, wobei K. allerdings bei dem in Röm 16,23 erwähnten (Stadtkämmerer?) Erastos negativ votiert (266). Zutreffend betont K., dass die überwiegend nicht-jüdischen Mitglieder der paulinischen Missionsgemeinden das Christentum bereits als eine neue eigenständige religiöse Bewegung kennzeichneten, die nicht mehr von der jüdischen Identität geprägt war. Differenziert wird die Geschichte und Struktur der Gemeinde von Ephesus dargestellt; bei den Adressaten der galatischen Gemeinden entscheidet sich K. mit guten Argumenten für die sogenannte nordgalatische Hypothese. Innerhalb der Wirkungsgeschichte des ephesischen Christentums von 55–150 n. Chr. wird kurz auch die johanneische Theologie behandelt. Hier zeigt sich die einzige wirkliche Schwäche der Darstellung K.s: Die Johannesbriefe und das Johannesevangelium werden als vierte große theologische Strömung innerhalb des Urchristentums (Urgemeinde, Antiochia/Paulus, Synoptiker) nicht wirklich wahrgenommen.
Immerhin stellt die johanneische Theologie einen eigenständigen Typus frühchristlichen Denkens dar, und sowohl in den Johannesbriefen als auch im Johannesevangelium spiegeln sich wichtige theologische und soziologische Entwicklungen wider: der Konflikt zwischen dem Presbyter und Diotrephes, der Streit um eine doketische Auslegung des Christusgeschehens, die massiven Auseinandersetzungen mit dem Judentum, die Entwicklung einer neuen Bildersprache und die eigenständige Bearbeitung innerer und äußerer Gefährdungen in den Abschiedsreden (Joh 13–17). In der bereits 2014 erschienenen zweiten Auflage versucht K. dieses Manko auszugleichen, indem er einen neuen Abschnitt zur Entstehung der johanneischen Gemeinde in Ephesus einfügt (318–326). Danach bildeten drei verschiedene Gruppen die erste johanneische Gemeinde in Ephesus: a) Christen aus dem südlichen Syrien, die aus der Synagoge ausgeschlossen wurden; b) Jünger des Täufers und c) Christen aus Samaria. Das Verhältnis zwischen dem Evangelium und den Briefen lässt K. offen und behandelt vor allem die Krisen innerhalb der johanneischen Gemeinden, hier vor allem die Abspaltung in 1Joh 2,19. Der historischen Bedeutung des johanneischen Christentums wird K. damit jedoch nicht gerecht, bei ihm dominieren (zu stark) Paulus und Lukas.
Den Abschluss des großen Pauluskapitels bilden die Kollektenfrage und das Ende des Völkerapostels. Bei der Kollektenaktion arbeitet K. den angenommenen historischen Ablauf heraus und kommt zu dem Ergebnis, dass die Übergabe der Kollekte an die Urgemeinde trotz großer Schwierigkeiten in einem eingeschränkten Sinn stattfand, denn die Kollektendelegation zahlte die Auslösung von vier Jerusalemer Gemeindegliedern, die ein Nasiräatsgelübde abgelegt hatten (vgl. Apg 21,23.24.26). Der eigentliche Sinn der Kollekte, die Einheit der entstehenden Kirche aus Heiden und Juden zu wahren, scheiterte jedoch. Bei der Frage nach der Verhaftung und dem Ende des Paulus wird zunächst das Problem des römischen Bürgerrechtes des Apostels erörtert. Hier votiert K. negativ; es gibt für ihn keine positiven Gründe für die Annahme, dass Paulus das römische Bürgerrecht besessen habe. Vielmehr dient es Lukas dazu, den sozialen Rang und die doppelte Identität des Paulus als Jude und Bürger des Römischen Reiches zu betonen. Da Lukas der Transport des Paulus nach Rom und sein späterer Tod als historische Eckdaten vorgegeben waren, habe er die Verlegung erklären müssen. Er tut dies mit der Appellation des Paulus an den Kaiser, die eigentlich das römische Bürgerrecht des Paulus voraussetzt. Gleichzeitig fehlen aber Vergleichsmaterialien, und Paulus könnte als ein gefährlicher politischer Aufrührer (auch ohne Bürgerrecht) nach Rom überstellt worden sein (355). Die lukanische Darstellung der Wirksamkeit des Paulus in Rom (Apg 28,17–31) hält K. für durchweg unhistorisch. Auch die Frage des Todesdatums des Apostels bleibt seiner Meinung nach unklar: Paulus kam wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre in Rom zu Tode, wobei ein Zusammenhang mit der neronischen Verfolgung 64 n. Chr. nicht nachweisbar sei.
Die beiden nächsten großen Kapitel widmen sich in der Form historischer Querschnitte der Entwicklung der Urgemeinde und der Gemeinden in Judäa sowie dem Judenchristentum insgesamt zwischen dem Apostelkonzil und dem ersten jüdischen Krieg (365–391). K. geht davon aus, dass nach dem Tod des Herrenbruders Jakobus und der sich ständig verschlechternden Situation der Urgemeinde bereits vor dem Ausbruch des jüdischen Krieges 66 n. Chr. Gemeindeglieder die Stadt verließen; spätestens jedoch nach dem Ausbruch des Krieges gab es eine größere Auswanderungswelle. Die Pella-Tradition wird von K. zwar kritisch beurteilt, dennoch hält er ihren Kern für historisch zutreffend. Nach dem Fall Jeru-salems und dem Ende des Krieges kehrten Judenchristen nach Jerusalem zurück und wählten Symeon, einen Vetter Jesu, als Nachfolger für Jakobus (378). Gegen derart weitreichende Schlussfolgerungen spricht allerdings, dass sich diese Überlieferungen ausschließlich bei Euseb finden und keine früheren überprüfba-ren Nachrichten verfügbar sind. Sollte die Urgemeinde den jüdischen Krieg wirklich überlebt haben, dann müsste diese wichtige Nachricht auch in früheren und anderen Traditionen zu finden sein. Bei der Darstellung der weiteren Geschichte des Judenchris­tentums stehen die Didache und das Matthäusevangelium im Mittelpunkt. Ebenfalls in einem Querschnitt wird das frühe Christentum in der Hauptstadt Rom vorgestellt (393–417). Zunächst kommt die Frühgeschichte der Gemeinde in den Blick, für die das Clau- dius-Edikt von entscheidender Bedeutung war. Speziell Röm 16 gibt einen Einblick in die Zusammensetzung der römischen Ge­meinde, und der 1. Clemensbrief (zwischen 90 und 100 n. Chr.) zeigt, dass die Gemeinde der Welthauptstadt schon relativ früh einen Weisungsanspruch erhob. Während K. den Tod des Paulus Anfang der 60er Jahre datiert, hält er bei Petrus ein Martyrium im Rahmen der neronischen Verfolgung für möglich.
Im folgenden Kapitel (419–427) werden das Wachstum und die Ausbreitung des Urchristentums thematisiert. Hier schließt sich K. im Wesentlichen den Überlegungen von R. Stark an, der für das Jahr 150 n. Chr. von ungefähr 50 Gemeinden ausgeht, die über eine durchschnittliche Gemeindegröße von ca. 800 Mitgliedern verfügen, so dass insgesamt die Zahl von 40.000 Christen für diese Zeit anzunehmen ist. In den ersten Jahrzehnten haben die christlichen Gemeinden wahrscheinlich die Mitgliederzahl üblicher Vereine nicht überschritten, die höchstens bei 70 bis 80 Personen lag. Während K. für Ägypten erst nach dem Diaspora-Aufstand 116/117 n. Chr. mit Gemeinden rechnet, habe von Anfang an das Schwergewicht der neuen Bewegung in Palästina, Syrien, Kleinasien, Griechenland und Italien gelegen. Als Nächstes behandelt K. die Entwicklung der Gemeindeorganisation zwischen 90 und 150 n. Chr., wobei die Entstehung der kollektiven Gemeindeleitungen (Presbyter und Presbyterium) sowie das Bischofsamt im Mittelpunkt stehen (429–447).
Während für Paulus und die Urgemeinde das Presbyteramt nicht vorauszusetzen ist, entwickelt sich diese kollektive Gemeindeleitung vor allem zwischen 90 und 120 n. Chr. Aufgrund der steigenden Mitgliederzahlen und der sich damit ergebenden Probleme war eine kollektive Gemeindeleitung notwendig, um Kontinuität in den Gemeinden zu gewähren. Die Presbyter wiesen dabei keine besondere Qualifikation auf, sondern waren Autoritätspersonen und Repräsentanten für einzelne Gruppen in der Gesamtgemeinde. Die nächste Stufe in der Entwicklung stellte das Bischofs-/Episkopenamt dar, das in der ersten Hälfte des 2. Jh.s entstand, wobei ein einzelner Amtsträger der kollektiven Leitung der Gemeinde übergeordnet wurde. Während der 1. Petrusbrief (um 115 n. Chr.) noch die Presbyterverfassung voraussetzt, markieren die Pastoralbriefe (ca. 120–130 n. Chr.) und die Briefe des Ignatius (um 130 n. Chr.) die weitere Entwicklung hin zum Bischofsamt. K. datiert alle drei Schriften/Schriftengruppen relativ spät, weil für ihn der 1. Petrusbrief bereits die durch den Briefwechsel zwischen Plinius und Kaiser Trajan dokumentierte Rechtslage voraussetzt. Die Gefährdung besonders durch divergierende Lehrinhalte führte in den Pastoralbriefen und bei Ignatius dazu, eine Konzentration der Lehr- und Leitungskompetenz auf das Amt des Bischofs hin durchzusetzen. Einen ersten Abschluss der Darstellung K.s bildet ein großes Kapitel über die Konflikte der frühen Christen mit der paganen Mehrheitsgesellschaft (449–483), wo er eine dezidierte Forschungsmeinung einnimmt: Während die zahlreichen orientalischen Kulte in das römische Religionssystem integrierbar waren, führte die Bestreitung anderer Gottheiten und der ihnen zu leistenden kultischen Verehrung zu einer Selbstausgrenzung der frühen Christen aus der religiösen Infrastruktur des Römischen Reiches. Die Verfolgung der frühen Christen unter Nero im Jahr 64 zeigt, dass die rechtliche Situation dieser neuen Bewegung völlig ungesichert war. Einerseits gab es kein ausdrückliches Verbot des Christentums, andererseits konnte ihnen in Rom der Vorwurf der Brandstiftung und des »gemeingefährlichen Aberglaubens« gemacht werden. K. erklärt eine Christenverfolgung unter Domitian zur historischen Fiktion und sieht erst unter Trajan (98–117 n. Chr.) eine Kriminalisierung des Christentums einsetzen, worauf der 1. Petrusbrief reagiert. Die Offenbarung des Johannes hingegen ist in die Regierungszeit Hadrians (117–138 n. Chr.) zu datieren, wo eine starke Intensivierung des Kaiserkultes stattfand, auf die der Seher Johannes reagiert. Den Abschluss der Darstellung bildet ein Rück- und Ausblick, an den sich eine Zeittafel, sechs Textbeilagen und nicht weniger als 18 Exkurse anschließen.
Insgesamt hat K. eine imponierende historische Darstellung des Urchristentums vorgelegt. Er argumentiert umfassend, jeweils auf dem aktuellen Stand der Forschung, und seine Schlussfolgerungen sind gut und nachvollziehbar begründet. Konzeptionell beschränkt sich K. auf die Ereignisgeschichte des Urchristentums, worin zweifellos die Stärke seiner Arbeit liegt. Denkbar wäre aber auch eine inhaltliche Erweiterung, denn nicht nur Personen, sondern auch theologische Konzepte, Literaturformen (wie die neue Gattung Evangelium) und historisch/theologische Vernetzungen zwischen den einzelnen Strömungen im Urchristentum haben von Anfang an Geschichte gemacht und gehören insofern in die Darstellung dieser Geschichte hinein. Aber dies ist eine konzeptionelle Entscheidung, die den Wert des vorliegenden Werkes in keiner Weise schmälert.