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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

799–803

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wyller, Trygve

Titel/Untertitel:

Glaube und autonome Welt. Diskussion eines Grundproblems der neueren systematischen Theologie mit Blick auf Dietrich Bonhoeffer, Oswald Bayer und K. E. Løgstrup.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. IX, 225 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 91. Lw. DM 148,-. ISBN 3-11-015815-9.

Rezensent:

Bernd Wannenwetsch

Die Dissertation des norwegischen Theologen W. möchte zu einer positiven theologischen Würdigung des Autonomiegedankens als Implikation des christlichen Glaubens anregen. Zu diesem Zweck analysiert W. das Verhältnis von Gott und Welt in den Konzeptionen von Bonhoeffer, Bayer und Løgstrup und versucht zu zeigen, daß sie je auf ihre Art - Bonhoeffer in seiner Formel "ohne Gott - vor Gott", Bayer in seiner Rede von der "Schöpfung als Anrede" und Løgstrup im Konzept der "souveränen Daseinsäußerungen" - den Gedanken einer Implikation der profanen Welt im Gottesverständnis zum Zentrum ihres Denkens machen. Diese gemeinsame Linie stellt W. in den Zusammenhang des "Verifikationsproblems" der theologischen Rede von Gott, wonach seit der Moderne nicht mehr selbstverständlich von der Wahrheit der theologischen Weltsicht ausgegangen werden kann; vielmehr gilt: Die Theologie "muß nun begründen, daß der Gegenstand des Glaubens wirklich wahr ist, d. h. allgemein in irgend einem Sinne" (3 f.). Hier kommt es für W. im Anschluß an Peter Widmanns Forderung der glaubensinhärenten Autonomie der Welt nun auf den Nachweis an, daß das, was der Glaube an Ontologie impliziert, auch "außerhalb des Glaubens als Akt" diskutiert werden kann, und der Glaube selbst also etwas Glaubensunabhängiges anerkennt (8).

Die drei Hauptteile der Arbeit folgen demselben Muster, nach dem die zu diskutierenden Theologen zunächst forschungsgeschichtlich präsentiert, und die Vorarbeiten und offenen Flanken der bisherigen Forschung im Hinblick auf W.s Fragestellung konstatiert werden. Dem folgt eine gezielte Analyse von Schlüsseltexten, die im Zusammenhang des gesamten Werkes der Autoren positioniert werden und eine komplexe Verhältnisbestimmung von Glaube und Welt erlauben sollen.

Der erste Teil der Arbeit ist Dietrich Bonhoeffer gewidmet. Ausgehend von den Andeutungen und Ausführungen in den Gefängnisbriefen und im Abgleich mit der Christologie-Vorlesung charakterisiert W. die Kontinuität in Bonhoeffers Denken folgendermaßen: "Die Welt ist mündig, aber der Glaube weiß, daß die Mündigkeit zugleich die Gestalt der verborgenen Anwesenheit Gottes ist" (88). Die Kontinuität in Bonhoeffers Denken besteht W. zufolge in der Vorstellung einer christologisch bestimmten, verborgenen Anwesenheit Gottes in allem Menschlichen.

Neben diese Interpretation stellt W. dann die Analyse zweier Texte, in denen Bonhoeffer die universale Geltung der Gebote für alle Menschen, und zwar der zweiten wie der ersten Tafel, thematisiert - eine Geltung, die er in aller Schärfe von einer "natürlichen" weisheitlichen Erkenntnis abhebt und als "Offenbarung" beschreibt. Dies läßt sich für W. mit den anderen Interpretationen schwer vermitteln, weswegen er hier eine "Einschränkung" des ansonsten bejahten Autonomiegedankens erblickt, in dem Gott doch als durchgängiges Subjekt eines Lebens in den verpflichtenden Lebensformen verstanden werden muß. So gelangt W. zu folgender Schlußfolgerung: "Bonhoeffer ist der dialektische Theologe der ersten Generation, der in der Synthese von christlichem Glauben und Moderne am weitesten ging, die Vorstellung des verborgenen Subjektseins Gottes hindert ihn jedoch, einen realen Freiraum außerhalb des Glaubens als Akt zu entdecken" (89).

Oswald Bayers Entwicklung zeichnet W. nach von dem frühen Rückgriff auf Luther bis zu einem zunehmenden Interesse an der Untersuchung der auch allgemein zugänglichen ontologischen Implikationen des Glaubens, die er bei Bayer zu erkennen meint. Dabei interessiert W. besonders das, was Bayer das "Vor-Ethische" nennt; er zeigt, wie sich diese Implikation des "promissio"-Begriffs durch Bayers Denken zieht: von der soteriologischen Entdeckung des zuteilenden Gabewortes im Vergebungszuspruch, über den promissorischen Grundzug des geschöpflichen Lebens insgesamt, bis hin zu Bayers Entfaltung der Schöpfungstheologie, welche die Vorstellung vom Christus als "concretum universale" weiterführt. Dabei ist mit der Rede vom "leiblichen Wort" als zweitem Charakteristikum von Bayers Konzept darauf hingewiesen, daß es bei der Anrede um kein bloßes Wort, sondern eben um die leiblich-sinnhafte, eben weltliche Vermittlung geht, wie es im Herrenmahl unüberholbar deutlich wird. Dies hat ontologische Implikationen- W. redet sogar unmittelbar von einer "Ontologie", durch die das menschliche Leben und die Natur konstituiert wird (109) - in dem Sinn, daß von der Zentralerfahrung im Herrenmahl aus die konstitutive Bedeutung der Gabe, des Dienstes und der Lebensfreude für alles Leben aufscheint. Dies findet W. in der von Hamann entlehnten Formel Bayers aufgenommen, wonach die Schöpfung selbst Anredecharakter hat als "Rede an die Kreatur durch die Kreatur", wobei aufgrund der Sünde das Zusammenstimmen dieser Anrede mit der promissio nur an einem einigen Ort - in der Mitteilung des Christus - angenommen werden kann.

Diese Spannung ist, wie W. zeigt, in Bayers Interpretation von Luthers Lehre von den Ständen aufgenommen, in denen der Ort der Bewährung des Glaubens zugleich der Ort ist, an dem die Güte Gottes erfahren werden kann. Dies ist freilich nur dem Glauben zugänglich, der Unglaube erfährt die Schöpfung als Gericht. Insoweit also nicht die Welt selbst - unbenommen ihrer Güte - unmittelbar als Erfahrung der Güte Gottes behauptet werden muß, ist der Schmerz als Element des Lebens erst genommen, das nicht spekulativ überspielt werden darf (117). Dieser Spannung entspricht die elementare Sprachform der "Klage", die zur verborgenen Weltgegenwart Gottes gehört, ebenso wie das Staunen. Dieses wiederum führt zum Denken, so daß zum Glauben auch eine Philosophie gehört, in der allgemein über Verantwortung, Dankbarkeit, Barmherzigkeit etc. gesprochen werden kann (127).

Die auf Diskussion und Kooperation zielende Verallgemeinerbarkeit der Implikation des Glauben ist für Bayer als positiver "Gebrauch" des Gesetzes im Sinn des politicus legis und also im Rahmen des erhaltenden Wirkens Gottes anzusiedeln. Dabei erkennt W., daß "Kommunikabilität" für Bayer noch nicht mit "Allgemeingültigkeit" gleichzusetzen ist. "Der erste Gebrauch des Gesetzes läßt die promissionale Welt als eine ,allgemein’ kommunikable Lebensform erscheinen, die aber gleichzeitig ... im Konflikt mit den Lebensdeutungen steht, die kein promissional bestimmtes Selbstverständnis haben" (140). Ähnlich wie bei W.s Analyse Bonhoeffers wird diese autonomiekritische Wendung Bayers mit dem Junktim "trotzdem" interpretiert (142, 143). Hier deutet sich an, daß der innere Zusammenhang dieser Kritik mit der Betonung der Weltlichkeit des Glaubens eher undeutlich im Blick ist.

Am besten auf W.s Fragestellung passen dürfte der als dritter behandelte dänische Theologe und Religionsphilosoph Løgstrup, sofern sich dieser das Verhältnis von "spezifisch Christlichem" und dem "Universalen" innerhalb des Christentums zur Leitfrage gemacht hat. Das Universale, das also, was nicht zu dem Unvorhersehbaren gehört, wonach Gott die Worte und Taten Jesu als seine eigenen anerkannte, dieses Universale identifiziert Løgstrup einerseits mit der "ethischen Forderung" und dem Schöpfungsgedanken: Beide sind - im Sinn des Christentums - als nicht spezifisch christlich zu kennzeichnen.

Die "souveränen Daseinsäußerungen" sind unabhängig vom menschlichen Willen und gehen der "ethischen Forderung" voraus, die erst dann in Erscheinung tritt, wenn die Spontanität solcher souveräner Daseinsäußerungen wie Offenheit, Barmherzigkeit, Vertrauen in den willentliche Handlungen des Menschen keine Entsprechung findet. Das sich in den souveränen Daseinsäußerungen artikulierende Wissen um Gutsein und Wahrheit ermöglicht sowohl die Wahrnehmung des Gutseins und der Wahrheit Jesu als auch der Differenz des menschlichen Lebens zu dieser von Jesus erfüllten Existenz. Damit bilden diese Daseinsäußerungen den Anlaß des Glaubens, der darum selbst als "Rückgabe des geschaffenen Lebens" erscheinen kann. Dies wiederum erkennt, wie W. analysiert, erst der Glaube rückblickend, denn die von Løgstrup konstatierte Korrespondenz der ethischen Forderung mit der Sünde setzt ja den Glauben voraus (166).

Die Stärke des Bandes liegt in der analytischen Genauigkeit und dem Einfühlungsvermögen, mit dem W. die Zusammenhänge im Denken der behandelten Theologen aufzudecken imstande ist, wie dies in der Forschung so bisher nicht oder nicht zureichend geschehen ist. Auch die treffenden und repräsentativen forschungsgeschichtlichen Darstellungen zeugen von der analytischen Fähigkeit des Autors. Um so bedauerlicher erscheint darum die Unschärfe, mit der die leitende Fragestellung "Glaube und Autonomie" formuliert und auf die Autoren bezogen wird.

Unscharf ist schon der Begriff des Glaubens: Was heißt "Glauben als Akt"? W. scheint dies im Kontrast zum Glauben als "Wissen" zu verstehen, wenn er bei allen Autoren auf die im Glauben implizite und wissensfähige "Ontologie" abhebt.

Hier ließe sich fragen, ob nicht die Rede von der "Erkenntnis des Glaubens" gerade jenseits der Alternative von "Akt und Sein", von "Erblicken" und "Wissen" liegt. Ebenso unscharf ist der Autonomiebegriff, mit dem W. operiert. Dieser soll sich zwar von einem "Freiraum" im Sinne Widmanns unterscheiden, um positiv festgehalten werden zu können; er wird aber in seiner Eigenart kaum aufgearbeitet. Das hätte schon von der Wortbedeutung auf ein "nomos" hin geschehen müssen und sinnvollerweise gerade dort anknüpfen können, wo etwa Bonhoeffer und Bayer mit der Diskussion der Gebote (Bonhoeffer) bzw. des primus usus legis (Bayer) auf die Spur der "Weisung" führen, die als solche aus der unfruchtbaren Alternative "Autonomie-Heteronomie" herauszuführen in der Lage wäre. Bei W. lautet die Formel lediglich "autonome Welt - heteronomer Glaube". Hier wäre zu fragen: Ist die "Heteronomie" eine angemessene Charakerisierung des Glaubens, wenn es vom Volk des neuen Bund heißt, daß ihm das "Gesetz ins Herz geschrieben" sein wird? Ginge es hier nicht gerade um die Überwindung solcher problematischer Sprachwelten und ihrer konzeptionellen Engführung, anstatt die theologischen Analysen auf ihre Paßförmigkeit zu solchen doch eher problematischen Konzepten zu trimmen?

Durch den Versuch, die drei Theologen "so darzustellen, daß sie je auf ihre Weise die aktuellen Forderungen der Verifikationsproblematik (i. e. der Forderung Widmanns nach der Integration von Welt-Autonomie und Glaubens-Heteronomie, B. W.) erfüllen" (214), gerät die Möglichkeit aus dem Blick, zu erfassen, inwiefern die besprochenen Theologen gerade dazu beitragen, die Problematik einer solchen Fragestellung als solcher zu erkennen.

Die von W. zu Recht konstatierte modernitätskritische Wendung bei Bayer etwa hätte auch in ihrem kritischen Potential auf die Verifikationsforderung selbst hin untersucht werden müssen. Diese setzt nämlich voraus, daß alle Sätze der Theologie in Behauptungssätze übersetzt werden können. Bayer selbst weist freilich ausdrücklich darauf hin, daß die elementaren Sprachbewegungen, auf welche die Theologie reflektiert, nicht ineinander und also auch nicht in einen einzigen Sprachmodus übersetzbar sind.

Bei der Interpretation Bonhoeffers übersieht W., daß gerade in den Gefängnisbriefen die Kritik einer liberalen "Sinnvermittlungstheologie" gilt, die Gott als Krücke für eine Welt andienen will, welche angeblich nicht ohne ihn zurechtkommt. Die "Mündigkeit der Welt" ist darum keine ontische Aussage, sondern eine polemische Rede, eine emanzipatorische Emphase dafür, daß ein solcher Krücken-Gott nicht der Gott der Bibel ist. Indem W. "religionslos" und "ohne Glaube" einfach identifiziert (27), verkennt er, daß Bonhoeffer mit einem doppelten Religionsbegriff operiert, so daß es unverkürzt heißen müßte: "Vor und mit Gott (ergänze: dem biblischen Gott) leben wir ohne Gott (ergänze: dem Gott der Sinnvermittlung)". Daß Bonhoeffer hier gerade modernitätskritisch auf der "postmodernen" Linie von Nietzsche argumentiert, ist der Schlüssel, an dem W. nicht dreht. Mündigkeit ist tatsächlich im Glauben impliziert, nur ist nicht dies die aufregende Tatsache, sondern daß diese Mündigkeit, nämlich auf die doch letztlich immer die eigenen Normvorstellungen spiegelnde "Arbeitshypothese Gott" zu verzichten (und also diese erste, religiöse Autonomie abzulegen) dazu treibt, statt dessen auf die Weisungen des biblischen Gottes zu hören (und also auch die zweite, nicht-religiöse Autonomie abzulegen). In der nicht prinzipiell begrenzbaren Geltung der Weisung Gottes dürfte die wirkliche Universalität liegen, die der Glaube zu thematisieren hat und nicht in einem glaubensimpliziten "Wissen" um die Verfaßtheit der Welt. M. E.. ist es auch viel eher diese Vorstellung der "Weisung", die zumindest bei Bonhoeffer und Bayer implizit leitend ist. Wenn dies mit der Vorstellung der Autonomie kritisch abzugelten sein soll, dann müßte dies so geschehen, daß das Sprachspiel von Heteronomie und Autonomie selbst durchbrochen wird.

Insgesamt können die ausführlichen und wertvollen Analysen W.s als Schritt in diese Richtung gewürdigt werden, auch wenn sein (ohnehin kaum ausgeführter) Versuch ihrer Einordnung in das "Verifikationsproblem" die Klarheit eher behindert als befördert.