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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

706-708

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Knop, Julia, u. Ursula Nothelle-Wildfeuer [Hrsg.] [M. Beiträgen v. J. Knop, G. Muschiol, U. Nothelle-Wildfeuer, D. Sattler, E. Schockenhoff, M. Schulz, Th. Söding, J. Splett]

Titel/Untertitel:

Kreuz-Zeichen. Zwischen Hoffnung, Unverständnis und Empörung.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2013. 352 S. m. Abb. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-7867-2978-5.

Rezensent:

Margit Eckholt

Der von den beiden Theologinnen Julia Knop und Ursula Nothelle-Wildfeuer herausgegebene Band zum Kreuz erfüllt ein Desiderat, das die Religionspädagogin Mirjam Schambeck in ihrem Beitrag benannt hat: »so komplexe Themen« wie die Soteriologie seien in der gegenwärtigen Theologie »unterbelichtet« (315); es liegen viele in Fachzeitschriften veröffentlichte Einzelstudien zu unterschiedlichen Aspekten der Soteriologie und Kreuzestheologie vor, aber mit Ausnahme des Lehrbuches der Münsteraner Dogmatikerin Dorothea Sattler zur »Erlösung« (Freiburg i. Br. 2011) keine Publikationen, die sich in einem umfassenden Sinn mit der Kreuzesthematik auseinandersetzen. So trägt der Band, in dem fundierte Beiträge aus historischer, ethischer und (rechts-)philosophischer Perspektive, aus religionswissenschaftlicher, dogmatisch-theologischer und re-ligionspädagogischer Sicht gesammelt sind, genau zu dem bei, was die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort benannt haben: »Hilfestellung zu geben: das Kreuz ins Zentrum zu stellen und aus der Mitte des Glaubens heraus verständlich zu machen, was es angesichts ge­schichtlicher und aktueller Herausforderungen bedeuten kann, sich in die Nachfolge des Gekreuzigten zu stellen« (Vorwort, 9).
Der Band besticht gerade durch den breiten interdisziplinären Fokus auf das »Kreuz-Zeichen« und durch das Bemühen der Herausgeberinnen, keinen bloß binnentheologischen Fachdiskurs zu führen, sondern die Praxisrelevanz der Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten: sei es über die aktuellen politischen Debatten um das Kreuz, die Frage nach dem »Kreuz«, das Menschen auch im europäischen Kontext tragen, wie unter Arbeitslosigkeit und damit Ausgrenzung leidende Menschen. Es werden wichtige Fundamente für eine in der Geschichte katholischer Theologie vor allem durch den Bruch von Reformation und Gegenreformation leider nicht gebaute Brücke zwischen Theologie und Kreuzesspiritualität gelegt, und damit werden Wegzeichen gesetzt, die Lebensrelevanz des Kreuzes und seine erschließende Kraft für ein Hineinwachsen in den christlichen Glauben neu in den Blick zu nehmen. Der Band versucht im Besonderen, die Bedeutung des Kreuzes für Religionsunterricht und Lehrerfortbildung herauszuarbeiten.
Das Buch (insgesamt 331 Textseiten) ist in sieben Teile gegliedert; von einer politischen und historischen »Kontextualisierung« des Kreuzes ausgehend werden über den Weg in das biblische und systematisch-theologische Herzstück der Soteriologie und ein existentielles und ästhetisch-spirituelles Erschließen des Kreuzes religionsdidaktische Problemfelder in den Blick genommen.
Der erste Teil (Das Kreuz – ein Zeichen in Kirche und Gesellschaft, 11–65) kontextualisiert in den Beiträgen von Ursula Nothelle-Wildfeuer, Christoph Körner (Forschungsstelle der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn) und Obiora Ike (Professor für Ethik und interkulturelle Studien an der Universität Enugu in Nigeria) die »Anstößigkeit« des Kreuzes: über den Blick auf die jüngsten Debatten und gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Kreuzzeichen in der Öffentlichkeit, auf die schwierige Geschichte mit dem Kreuz in der jüngeren deutschen Geschichte (ein gerade auch für junge Menschen wichtiger, geschichtliche Zusammenhänge klärender Beitrag) und auf die »Kreuze« der nigerianischen Gesellschaft.
Der zweite Teil (Das Kreuz – zwischen kirchlichem Anspruch und kirchlicher Praxis, 67–119) mit Beiträgen von Peter Kohlgraf (Professor für Pastoraltheologie an der Kirchlichen Hochschule in Mainz), Klaus Baumann (Caritaswissenschaft in Freiburg) und Franz Meurer (Pastor in Köln) geht einen weiteren Schritt der Kontextualisierung des Kreuz-Zeichens. Es wird deutlich, wie unterbelichtet das Kreuz in der Ausprägung des Kirchenbildes gewesen ist und wie es – so der Blick in die Geschichte der Caritas – zur Erneuerung der Kirchenbilder heute beitragen kann. Wie weit der Weg dahin noch ist (»was die Berührung der Kirche mit den Kleinen und Niedrigen angeht, so fällt doch auf, dass gerade sie oft nur noch wenig von der Kirche erwarten«, Kohlgraf, 77), wo es aber relevante Anknüpfungspunkte gerade auch im deutschen Kontext gibt – wenn z. B. über Arbeitslosigkeit ausgegrenzte Menschen ein neues Ansehen finden –, wird in der Zusammenstellung der drei Beiträge sehr gut deutlich.
Der dritte Teil (Das Kreuz – ein bleibendes Ärgernis. Biblische Impulse) und der vierte Teil (Das Kreuz – »theologia crucis«) führen über die höchst differenzierten Beiträge der Exegeten Ulrich Berges (Alttestamentler an der Universität Bonn), Peter Krawczack (Schulabteilung Erzbistum Köln) und Thomas Söding (Neutestamentler an der Universität Bochum) sowie die Beiträge der Systematischen Theologen Wilfried Härle, Julia Knop und Dorothea Sattler in das Herzstück der christlichen Soteriologie. Die beiden Alttestamentler weisen auf die Verbindung des Kreuzesereignisses mit den Traditionen Israels hin, in der Deutung des Leidens Jesu als des lei-denden Gottesknechtes (Jes 53) und als des Psalmenbeters (Ps 22). Thomas Söding weist auf den »Widerspruch gegen die Kreuzestheologie« (161) »mitten im Evangelium« hin und auf die Bedeutung der Nachfolge: »Denn Jesus selbst erklärt das, was er ›muss‹, nicht theoretisch, sondern praktisch: durch sein Handeln und sein Leiden. Deshalb erschließt sich nur auf dem Weg der Nachfolge, weshalb das Kreuz notwendig ist, heilsnotwendig.« (161) Hier wird die in der Geschichte der theologischen Reflexion wenig bedachte Brücke zur Kreuzesnachfolge und -spiritualität benannt. Das schließt eine fundierte systematisch-theologische Reflexion nicht aus, was in den Beiträgen der Systematischen Theologinnen und des Systematischen Theologen Wilfried Härle, Julia Knop und Dorothea Sattler deutlich wird. Befreiend ist die ökumenische Perspektive, die deutlich macht, dass das Herz christlichen Glaubens nur gemeinsam und in Einheit erschlossen werden kann. Der emeritierte Heidelberger Systematiker Wilfried Härle hat ein »Lehrstück« zum Opfergedanken aus protestantischer Perspektive vorgelegt; Julia Knop weist auf die »Inversion« der Opferlogik aus katholischer Perspektive hin und Dorothea Sattler bettet die Frage nach dem erlösten Leben in den liturgischen und existentiellen Kontext eines Lebens aus der Taufberufung ein.
Der fünfte Teil (Das Kreuz – »philosophia crucia«) beleuchtet die »Torheit« des Kreuzes aus Perspektive der Philosophie in den Beiträgen von Armin Wildfeuer (Katholische Hochschule NRW, Köln), Jörg Splett (emeritierter Philosoph an der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt) und Michael Schulz (Philosophie und Theorie der Religionen an der Universität Bonn), als »neu zu entdeckende Weisheit« (Wildfeuer, 233) gerade angesichts der »existentiellen Situation des Menschen« in der Moderne, und als neuen Weg, auch im interreligiösen Dialog »im Zeichen des Kreuzes« voneinander zu lernen, in der starken und weiter zu bedenkenden These von Michael Schulz: »Der Hingabeakt Jesu an den Vater ist in diesem Sinn der trinitarisch aufgeschlossene Ort eines religiösen Pluralismus, der pluralen Katholizität der Religionsgeschichte. Balthasar zufolge darf und kann die religiöse Vielfalt sein, weil sie hineinintegriert ist in eben diese urreligiöse Suchbewegung und Hingabebewegung des Sohnes an den Vater. Jesus wird am Kreuz das Alpha der Religionen.« (259 f.)
Im Teil VI (Das Kreuz – und die Kreuz-Wege der Menschen) werden existentielle Zugänge zum Kreuz und Wesenszüge einer lebbaren Kreuzesspiritualität erschlossen. Es enthält Beiträge von Eberhard Schockenhoff (Moraltheologe in Freiburg) über das »erlittene Kreuz im Leben« und »Niederlagen und Scheitern als Schlüsselerfahrungen des Glaubens«, von Georg von Lengerke (Geistliches Zentrum der Malteser Ehreshoven) zum »Kreuz mit den Armen« sowie von Meik P. Schirpenbach (Stadtjugendseelsorger in Bonn) zu den »Kreuzlandschaften in der Stadt, im Land und in der Seele«.
Im abschließenden siebenten Teil (Das Kreuz – ins Gespräch gebracht) werden von Mirjam Schambeck wichtige religionsdidak-tische Problematisierungen benannt (»Das Kreuz zwischen theo-logischer Lehre und existentieller Irrelevanz«) und Thesen for-muliert, wie der Religionsunterricht dem nachkommen kann, »theologische Konzepte in ihrer inhaltlichen Komplexität verstehbar und in ihrer existentiellen Relevanz erahnbar zumachen« (314). Thomas Ervens und Christoph Westemeyer legen einen Rückblick auf die von der Hauptabteilung »Schule/Hochschule« im Erzbischöflichen Generalvikariat des Erzbistums Köln organisierte Pädagogische Woche zum Kreuz in Religionsunterricht und Lehrerfortbildung (»Im Zeichen des Kreuzes«, 2011) vor.
Den Herausgeberinnen ist es gelungen, einen wissenschaftlich fundierten, existentiell relevanten und für schulische und kirchliche Bildungsarbeit hilfreichen Band zum »Kreuz-Zeichen« vorzulegen. Die Publikation ist sehr gut aufgebaut und bearbeitet; die liebevolle Zusammenstellung wird auch im abschließenden Bildteil (Fotos mit Kreuzesdarstellungen wie aus der »Wand der Kreuze« der Jugendkirche in Bonn) deutlich. Das Kreuzzeichen führt in das Herzstück christlichen Glaubens, das gilt für protestantische und katholische Christinnen und Christen. Die neue »Kontextualisierung« der Kreuzestheologie in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, wie sie vor allem von Jon Sobrino erarbeitet worden ist, kann auch – das macht der Band deutlich – zu einer »Kontextualisierung« der Kreuzestheologie im deutschen Kontext führen. Dabei ist der Publikation zu wünschen, dass sie nicht nur im kirchlichen Raum wahrgenommen wird, denn, so Ursula Nothelle-Wildfeuer in ihrem Beitrag zum umstrittenen Kreuz-Zeichen in der Öffentlichkeit: »Aus dieser Botschaft vom Kreuz resultiert ein zutiefst christlich gegründetes Mehr an Humanität, an Schutz des Menschen, seines Lebens, seiner Würde und seiner Freiheit als Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und Zivilisation.« (29)