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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

677-678

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

[Machetta, Jorge M., u. Claudia D’Amico] [Hrsg. v. C. Rusconi in Verbindung m. K. Reinhardt]

Titel/Untertitel:

Manuductiones. Festschrift zu Ehren von Jorge M. Machetta u. Claudia D’Amico.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. 241 S. = Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte. Reihe B, 8. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-402-15994-1.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Die Cusanus-Forschung geschieht längst international. Sie hat inzwischen auch in Argentinien Fuß gefasst. Aus Anlass runder Geburtstage von Jorge M. Machetta und Claudia D’Amico ist diese Festschrift erschienen, um beide Gelehrte zu ehren, die in diesem südamerikanischen Land Nikolaus von Kues bekannt gemacht haben.
Zwölf Beiträge enthält dieser Band, zwei in französischer, vier in spanischer, einen in italienischer, drei in deutscher, einen in portugiesischer und einen in englischer Sprache. Allein diese Sprachenvielfalt bezeugt die Breite der Forschung und die Anerkennung, die die Geehrten erfahren, die in Buenos Aires einen Circulo de Estudios Cusanos 1998 ins Leben gerufen haben. Damit übernahmen sie im wahrsten Sinne eine Handleitung, so dass der Titel der Festschrift zu Recht gewählt worden ist. In diesem Band werden vor allem Termini untersucht, die bei Nikolaus eine entscheidende Rolle einnehmen.
Jean-Michel Counet schreibt über »Ars: L’art divin dans la Docte Ignorance et les Coniectures« (11–27). »L’homme crée à partir de donnés divers, mais le divers fondamental, dont tous les autres sont le signe et le trace incontournables, est tout simplement sa propre nature, c’est-à-dire, ce qui in lui est l’œuvre de l’art divin« – so fasst der Autor seine Untersuchung beider cusanischer Schriften zusammen (26 f.). Alexia Schmidt geht dem Terminus Assimilatio in einigen Abhandlungen des Nikolaus nach (De Genesi, Sermo LXXI, Idiota de mente, De principio und De venatione sapientiae; 29–50). Gianluca Cuozzo fragt danach, was der Begriff »Coincidentia« be­deutet, der für Nikolaus ja von grundlegender Bedeutung ist, besonders im Hinblick auf sein mystisch-theologisches Verständnis (51–79). Klaus Reinhardt, der kürzlich verstorbene Direktor des Cusanus-Institutes in Trier, geht dem Begriffspaar »Complicatio – Explicatio« nach (81–91). Für Nikolaus ist Gott »die Einfaltung von allem insofern, als alles in ihm ist; er ist die Ausfaltung von allem, insofern er in allem ist« (De docta ign. II, c. 3; 83). Reinhardt nimmt an, dass Nikolaus diese Terminologie von Thierry von Chartres übernommen haben könnte (88).
Der portugiesische Philosoph Joao Maria André untersucht die anthropologische Dimension von Docta ignorantia (93–121), wozu er verschiedene cusanische Schriften heranzieht. Der Japaner Kazuhiko Yamaki schließt mit seinem Beitrag daran an, wenn er die anthropozentrischen Bezeichnungen in der cusanischen Imago-Dei-Lehre hervorhebt (123–133). Für Nikolaus ist der Mensch ein deus creatus bzw. ein humanus deus oder ein microcosmos. Der menschliche Geist soll als ein wunderbares Werk Gottes hervorgehoben und damit seine Gottähnlichkeit herausgestellt werden. Die Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes soll »sich dem Ur­grund der eigenen Bildlichkeit so viel als möglich anzugleichen« bemühen, er kann »die Ordnung in der Welt erfassen« (127 f.). Dabei bleibt aber festzuhalten, dass der Mensch »in der Welt nicht die Stelle des allmächtigen Gottes übernimmt oder Gott ›ersetzt‹«, sondern ihm ist aufgegeben, Gott immer ähnlicher zu werden (132).
Victoria Arroche behandelt das Thema »Imperium. Naturalidad y divinidad del Imperium en el Libro III del De concordantia catholica de Nicolás de Cusa« (135–152). In der Cusanus-Forschung hat dieses erste große Werk des Nikolaus in letzter Zeit nur ein Schattendasein geführt, so dass es gut ist, dass auch diese Schrift erneut in den Fokus tritt. Sie untersucht kurz den historischen und biographischen Kontext, stellt dann zuerst die naturgegebene und darauf die göttliche Legitimation des Imperiums dar und schließt damit, dass das christliche Imperium im deutschen Imperium Gestalt genommen hat (150). Jean-Marie Nicolle befasst sich mit dem Begriff mensura, der ja auch in den Gedanken des Nikolaus eine wesentliche Bedeutung hat (153–167), und fragt: »Qu’est-ce que la pensée humaine mensure?« Nicolle kommt zu dem Schluss, dass Cusanus bei all seinem Bemühen doch noch weit entfernt von der Infinitesimalrechnung gewesen sei (166). José González Ríos nimmt sich der cusanischen Begriffe »possest, non aliud, posse ipsum« an (169–190), die für den Kardinal bei seiner Suche nach der richtigen Benennung Gottes und seiner Immanenz wie Transzendenz wesentlich gewesen sind. Silvia Manzo stellt das Begriffspaar »possibilitas – materia« gegenüber (191–220), Begriffe, die Nikolaus in seinen Schriften De docta ignorantia, De coniecturis, De mente, De venatione sapientiae und De ludo globi gebraucht, also faktisch während seines ganzen literarischen Schaffens. Donald F. Duclow behandelt »Tempus – Aeternitas – Perpetuum. ›Eternal Time‹: Nicholas of Cusa on World, Time and Eternity« (211–221). Er reflektiert »on its relations to eternity and the perpetual« (220). Abschließend führt Isabelle Mandella ihre 2012 gedruckt erschienene Habilitationsschrift »Viva imago. Die praktische Philosophie des Nicolaus Cusanus« fort und untersucht den (vermuteten) Einfluss des Raimundus Sabundus auf die cusanische Metapher der viva imago (223–241). Sie nimmt aber an, dass die Metapher eine originär cusanische Entdeckung sei (230). Cusanus bezeichnet in De visione Dei »die Kraft des freien Willens als lebendiges Abbild der Kraft göttlicher Allmacht«; der freie Wille sei »das höchste Geschenk, das der Schöpfergott dem Menschen gemacht hat« (232 f.). Er wird sich »der eigenen Abbildhaftigkeit vom göttlichen Urbild« bewusst. Diesen Gedanken entfalte Nikolaus pointierter als Sabundus (238 f.).
Insgesamt liegt mit dieser Festschrift eine in sich geschlossene Veröffentlichung vor, da Begriffe untersucht werden, die Nikolaus verwendet hat. Die genannten Beiträge sollten künftig in der Forschung die nötige Berücksichtigung finden. Es wäre aber ratsam gewesen, den Beiträgen jeweils eine deutsche (notfalls auch englische) Zusammenfassung beizugeben, da nicht alle Cusanus-Forscher die verwendeten Sprachen beherrschen.