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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

675-677

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Long, D. Stephen

Titel/Untertitel:

Saving Karl Barth. Hans Urs von Balthasar’s Preoccupation.

Verlag:

Minneapolis: Fortress Press 2014. 272 S. Kart. US$ 49,00. ISBN 978-1-45147014-7.

Rezensent:

Harald Seubert

Stephen Long, Systematischer Theologe in Milwaukee, hat ein be­merkenswertes Buch über die lebenslange freundschaftliche Auseinandersetzung zwischen Karl Barth und dem Baseler katholischen Theologen der Theodramatik Hans Urs von Balthasar vorgelegt, das detaillierte und kenntnisgesättigte Rekonstruktion mit einem klaren Blick für die sachlichen Konturen jenes Gesprächs verbindet.
Im ersten Kapitel widmet sich L. den Kontexten des Dialogs. Es wird deutlich, dass Balthasar mit seinem Versuch der Rettung Karl Barths für den Katholizismus in den späten 30er und 40er Jahren Argwohn seines Jesuitenordens und seiner Kirche auf sich zog. Auch umgekehrt war, angesichts der Stellung der Jesuiten in der Schweiz, die Berührung nicht frei von Risiken. Ein zweites Kapitel zeichnet umsichtig die Genese von Balthasars Barth-Interpretation nach. L. zeigt dabei, wie Barths Römerbrief-Buch von 1919 bereits für Balthasars »Apokalypse der deutschen Seele« ein wichtiger Referenzpunkt war. In den 40er Jahren und in Vorbereitung auf sein Barth-Buch von 1951 gewinnt die Deutung Kontur, indem Balthasar die doppelte Herausforderung Barths an den Neuprotestantismus und die katholische Kirche herausarbeitet. L. würdigt die Göttinger Interimsphase einer »christlichen Dogmatik« in ihrer starken Aufnahme des existentialistischen Sprungs in den Glauben, zeigt aber, dass die KD sich von Anfang an von diesem Ansatz verabschiedet hat und dem übergreifenden Heilsplan Gottes folgt. Balthasar rehabilitiert vor diesem Hintergrund die Analogie ge­genüber Barths Diktum, dass sie eine Erfindung des Antichrist sei; freilich präferiert er dabei eine Deutung im Licht des Konzils von Chalkedon gegenüber der scholastischen Lesart. Barths Theologie vollzieht nach Balthasar von der ersten Fassung des Römerbrief-Kommentars an einen Dreischritt: Theologie göttlicher Identität – Theologie des Widerspruchs – Theologie der Analogie, dem Sta-dium der KD, das damit auch die Kirche im übergreifenden Sinn der Una sancta ecclesia im Blick hat.
Da Balthasars Deutung im römischen Katholizismus und in Amerika insgesamt noch immer sehr einflussreich ist, ist es gewiss berechtigt und verdienstvoll, sie mit der neueren Forschung zu kontrastieren. Eine Rekatholisierung des eigentlich modernen, von Kant beeinflussten Barth würden neuprotestantische Lesarten, ausgehend von Trutz Rendtorff, kritisieren; eine neu-orthodoxe Kritik, für die die Radical Orthodoxy und L. stellvertretend genannt werden, würde hingegen bemängeln, dass Balthasar Barths Durchtrennung des Kontexts von Gnade und Offenbarung zu große Konzessionen gemacht habe. Zwischen dieser Skylla und jener Charybdis positioniert L. die Deutung Balthasars sehr geschickt.
Mitunter verstrickt er sich freilich allzu subtil in Debatten der neueren amerikanischen Barth-Forschung und ihrer Würdigung oder Abwertung Hans Urs von Balthasars. Den Versuchen, Barth als »modernen« Theologen im Gefolge des Kulturprotestantismus (Trutz Rendtorff) zu verstehen, begegnet er in Fairness, aber auch in gebotener Skepsis. Dreh- und Angelpunkt ist hier die Kantdeutung. L. kommt zu dem berechtigten Ergebnis, Kant sei für Barth eher als kritische, nicht aber als konstruktive Instanz von Bedeutung gewesen. Dass hier die alten Frontlinien eines »metaphysischen« oder eines »nachmetaphysischen« Denkens wieder evoziert werden, scheint mir nur bedingt ergiebig. Balthasars Denken, mit dem er sich Barth nähert, enthielt in jedem Fall eine Metaphysik, die aus der Interpretation der Offenbarung in der frühen Christenheit schöpfte und mit der katholischen Erneuerung hinter die Scholastik auf die Patristik zurückging.
Der mikrologische Blick wird dann wieder erweitert, indem L. den Bereich Gottes und der Ethik in zwei profunden Kapiteln freilegt: Barths Trinitätslehre wird zu einer theologischen Ontologie der Erwählung, und von der Perichorese der Trinität als Primum Analogatum her kann Balthasar eine durchgehende Seinsanalogie aus Barth herauslesen. Der eine Gott, so L.s Fazit, diene der Offenbarung, er konditioniere sie nicht. Barth sei, wie Balthasars Deutung zeigen könne, kein revisionistischer Theologe unter den Be­dingungen der Moderne. Er habe aber eine christozentrische Perspektive auf Gottes Handlung in Jesus Christus freigelegt, die die Welt verändere. Dies setzt sich in der Ethik fort, die Barth als Teil seiner Kirchlichen Dogmatik entwickelt hat, ausgehend von dem Spitzensatz: »Dogmatik ist Ethik«. Nur vor einem christozentrischen Blick kann diese These standhalten. Sie zeigt sich in verschiedenen Variierungen der Grundstruktur, wonach Ethik unter der reformatorischen Lehre von Prädestination und Rechtfertigung alleine durch Glauben steht. Die Freiheit Gottes versteht der spätere Barth nicht mehr als die uneingeschränkte Souveränität des »ganz Anderen«, sondern als die Freiheit der Liebe, die trinitarisch gefasst ist. Glaube, Hoffnung und Liebe werden in ihrem trinitarischen Bedeutungssinn sichtbar. Dies habe Balthasar exemplarisch erkannt. Bemerkenswert ist es, dass L. von hierher Balthasar als Moraltheologen deutet, der Barth soweit folgt, dass Christus Ethik, Metaphysik und andere säkulare Disziplinen durchdringe, der aber zugleich betont, dass sie aber nicht auf ihn reduziert werden können. Balthasar kam von diesen Prämissen her zu einer katholischen Selbstrevision, wonach weder eine natürliche Ethik noch eine »duplex veritas« von Natur einerseits und Gnade andererseits festgeschrieben werden könne. Die theodramatische Ethik ist auch Balthasars Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit Barth.
Es ging in der Zwiesprache Balthasar – Barth von Anfang an auch um Deformation und Erneuerung der Kirche. L.s Rekonstruktion in dem einschlägigen Kapitel zeigt in bewegender Weise, wie sie zu früh und zu spät zugleich kamen. In einem Seminar im Sommersemester 1941 über das Tridentinum war Balthasar zugegen: Es kam zu einer differenzierten Würdigung des Konzils, wobei Barth die Teilnehmer nötigte, ihre Übereinstimmung, Ablehnung und die eigene Position zu formulieren. Die genaue Auswertung der unpublizierten Protokolle dieses Seminars gehört zu den Glanzstücken des Werkes. Barth und Balthasar sahen sich, übrigens noch in einem gemeinsamen Auftritt in Barths Todesjahr 1968, verbunden in der Suche nach einer Erneuerung der Kirche in der Ein heit in Jesus Christus. Sie dachten dem Vaticanum II in ihrem Freundschaftsgespräch weit voraus. Doch das Konzil konnte ihre Erwartungen nicht erfüllen. Es zeigte aus ihrer Sicht auch, wie liberaler Protestantismus in den Katholizismus eingegangen sei. Dies brachte Balthasar dazu, die Kirchengeschichte als wachsende Desintegration kirchlicher Einheit zu sehen, der keine Bewegung der Rückkehr zu einer sichtbaren Einheit entspreche. L. votiert am Ende dafür, das intensive Gespräch Balthasar – Barth im Gespräch zwischen den Konfessionen dort wieder aufzunehmen, wo Barth und Balthasar abbrechen mussten.
Dieses Buch ist eine mikrologisch genaue und zugleich systematisch souveräne Würdigung eines der großen Theologengespräche des 20. Jh.s, in dem es buchstäblich nochmals um das Ganze ging: Glaube und Vernunft, das Zentrum in Christus und die Bedeutung der Kirche. Er verschweigt die Spannungen nicht, er­mutigt aber zu einer intensiven theologischen Auseinandersetzung, die auch künftig an diesen beiden Monolithen nicht vorbeigehen kann. Absolutheit und symphonischer Charakter der Wahrheit schließen sich bei ihnen nie aus. Ihr spezifisches Profil wird meisterlich in der Abhebung von zeitgenössischen oder späteren Positionen eingekreist und erweist sich zumeist als überlegen. L. hat damit einen bleibenden Beitrag zur Theologiegeschichte und systematischen Diskussion geleistet.