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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

633-635

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grant, Deena E.

Titel/Untertitel:

Divine Anger in the Hebrew Bible.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2014. VIII, 200 S. = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 52. Kart. US$ 15,00. ISBN 978-0-91517051-7.

Rezensent:

Walter Groß

In der überarbeiteten Fassung ihrer an der New York University erstellten relativ kurzen, aber anregenden Dissertation, in der sie allerdings, von fünf Ausnahmen abgesehen, einzig englischsprachige bzw. in das Englische übersetzte Sekundärliteratur verwendet, wählt Deena E. Grant einen unter bibeltheologischer Hinsicht begrenzten, in seinen Ergebnissen aber fruchtbaren originellen Zugang zu dem viel verhandelten Thema des Zornes Gottes: Inwiefern dient in der Darstellung des Alten Testaments der Zorn von Menschen als Modell für den Zorn Gottes, und inwiefern unterscheidet sich dieser von jenem?
Nach einem kurzen Forschungsüberblick untersucht sie neun hebräische Lexeme für Zorn darauf hin, wie sie sich auf die biblischen Bücher verteilen und wie sie in unterschiedlicher Häufigkeit und eventuell unterschiedlicher Akzentuierung (wodurch provoziert, welche Folgen für den Zürnenden und das Objekt seines Zornes, Maß an Destruktivität, Möglichkeiten der Beendigung?) von Menschen und von Gott ausgesagt werden. Dann zeigt sie an ausgewählten Belegen die Darstellung menschlichen Zorns, einerseits gegen Fremde, Außenstehende, die familiäre oder politische Autorität missachten, andererseits gegen Familienmitglieder, unterteilt in Zorn des Vaters, des Ehemanns und der Brüder, und als Sonderfall den Zorn des Mose. Auf diesem Hintergrund analysiert sie die Darstellungen des Zornes Gottes unter folgenden Gesichtspunkten: Zorn des Königsgottes, Zorn Gottes als Kriegswaffe in »alter Poesie«, Zorn Gottes als Modus seiner Kriegsführung für oder gegen Israel bei den klassischen Propheten, Folgen des göttlichen Zorns sowie die Beziehung zwischen dem Gottesbund und der Mäßigung göttlichen Zorns. Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse beendet die Darstellung.
Menschlicher Zorn wird im Alten Testament überwiegend durch Missachtung von Autorität ausgelöst und ist daher nahezu ausschließlich für Personen mit politischer oder familiärer Autorität reserviert. Zorn gegen Fremde, Außenstehende ist typischerweise tödlich, Zorn gegen Verwandte dagegen nahezu nie tödlich, sondern mild (»benign«, 44; schockierende Ausnahme: Kain) bzw. gezügelt (»tempered«, 127), und zwar aus Zuneigung oder fami-liärem Eigennutz, aber die Mäßigung solchen Zorns signalisiert Autoritätsverlust des Zürnenden. Moses Zorn ist der Zorn des politischen Führers über Missachtung des Nationalgottes und in seinen sehr unterschiedlichen Folgen nicht voraussehbar.
Biblische Autoren übertragen nur solche Aspekte des menschlichen Zorns auf Gott, die ihn als siegreiche und mitleidige göttliche Autorität erweisen. Auch der Zorn Gottes wird durch Missachtung seiner einzigartigen Autorität erregt, und seine Vergeltung zeigt seine Übermacht. Der Motivkomplex des im Zorn geführten ur­zeitlichen Kampfes altorientalischer Sturmgötter gegen Wassermonster wird im Fall JHWHs auf innergeschichtliche Ereignisse angewendet. Nur in Israel erscheint der Zorn als Waffe Gottes. Die Metapher des Gotteszorns ist häufig mit der Metapher der Königsherrschaft verbunden. Gottes Herrschaftsrecht resultiert aus seinem Schöpfertum, seine Herrschaftsfähigkeit wird durch seinen unwiderstehlichen Zorn gesichert. Eigens behandelt werden die Me­taphern vom Zornesbecher und vom Ausgießen des Zorns.
Im Gegensatz zum menschlichen Zorn befestigt die Mäßigung des Zornes Gottes Autorität beim Volk – zumindest auf befristete Zeit. Während sich der Zorn des Familienoberhauptes gegen den männlichen Übeltäter richtet, trifft er im Fall Gottes Israel, seine untreue Frau, nicht die Fremdvölker, mit denen sie Unzucht treibt. Zwar setzt die Mäßigung des Gotteszornes die Umkehr Israels voraus, aber nicht diese, sondern seine Beziehung zum Volk als höchs­te väterliche Autorität und Ehemann treibt Gott zur Mäßigung. Gottes Treue zu seinem Bund zügelt seinen Zorn auch im Fall von Bundesbruch. Gottes Zorn wird häufig auch rhetorisch als Drohmittel eingesetzt. Gottes Zorn gegen die Völker ist dagegen vernichtend und unwiderruflich und besitzt keine familiären Konnotationen. Auch Gottes Zorn gegen Individuen ist vernichtend, hier gibt es keine Zügelung.
Die herausgearbeiteten Grundlinien überzeugen, ihre Geltung erscheint dennoch aus folgenden Gründen eingeschränkt. Die Vfn. setzt begründungslos voraus, dass es eine für alle biblischen Belege gültige Definition des göttlichen Zorns gibt, unbeschadet der Tatsache, dass verschiedene Textkorpora ihm je unterschiedliche zu­sätzliche Aspekte zuweisen, und sucht nach den »general features of divine anger across the Hebrew Bible« (13). Daher verzichtet sie auf ein Kapitel zum Gotteszorn im Pentateuch, weil die dortigen Belege »do not reflect a coherent and distinct theology« (12, Anm. 42), und scheidet die Wurzel RGZ von der Untersuchung aus, »be­cause it does not fit our criteria of anger« (21, Anm. 2). So betont sie große Linien, lässt ihnen widerstrebende Texte aber eher unterbelichtet und versucht, auch diesbezüglich in sich spannungsvolle Texte auf eine einheitliche Aussage hin auszulegen.
Das an Zornestermini reiche Klgl 2 mit seinen radikalen Formulierungen wird nicht mit der ihm widersprechenden These konfrontiert, Gottes Zorn gegen sein Volk sei gemäßigt. Die singuläre Wendung Jes 64,4, die Israels Sünde nicht als Auslöser, sondern als Folge des göttlichen Zorns darstellt, wird nicht diskutiert. Die Vfn. neigt zu verharmlosenden Deutungen widerständiger Belege: Sauls Speerwurf gegen seinen Sohn 1Sam 20,33 sei kein Tötungsversuch, sondern »a benign sign of frustration«, der Ausdruck lhktw bezeichne nicht notwendig einen tödlichen Streich; die parallelen Wendungen 1Sam 18,11; 19,10, die Tötungsabsicht bezeugen, werden nicht erwähnt (60). Jes 54,7–8 beschreibe lediglich Israels Empfindung, von JHWH verlassen zu sein, in Wirklichkeit habe Gott sich nur (!) verborgen und dies zeige bereits, dass die Folgen seines Zornes vorübergehend seien, »since the very act of hiding implies presence, non absence« (145). In Jer 2,35 stelle Israel sich keineswegs als unschuldig dar, sondern es blicke voraus auf seine zukünftige Sündenlosigkeit, wenn der Zorn des göttlichen Ehemanns vergangen sein werde (135). Wieso die (vermeintliche) Abkehr Gottes von seinem Zorn durch Suffixkonjugation ausgedrückt ist und JHWH wegen dieses Ausspruchs des Volkes ankündigt, mit ihm ins Ge­richt zu gehen, bleibt schleierhaft. In Ex 32,10 zeige JHWH nicht seine Absicht, das Volk zu vernichten, und wolle JHWH Mose nicht am Eintreten für das Volk hindern, sondern es sei eine indirekte Aufforderung zur Fürbitte: »invitation by prohibition« (164). Andererseits legt sie Jes 63,2–3 dahingehend aus, die Verse sprächen von der Strafe Gottes gegen sein Volk (119)!