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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

618-620

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wessels, Anton

Titel/Untertitel:

The Torah, the Gospel, and the Qur’an. Three Books, Two Cities, One Tale. Übers. aus d. Niederländ. Foreword by N. Wolterstorff.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. 333 S. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-6908-1.

Rezensent:

Ulrike Bechmann

Die Stadt als Thema von Tora, Neuem Testament und Koran untersucht Anton Wessels in dieser Studie. Die »Stadt« bewegt Menschen bis heute, buchstäblich im Sinne des Wachstums, bis zu den Me-gacities, die die Bewegung vom Land in die Stadt auffangen; aber auch ideell, wo entweder die Chancen oder die Gefahren der Stadt zur Leseleitlinie in der Beurteilung werden können. Ähnlich wie Charles Dickens, der in »A Tale of Two Cities« den Unterschied zwischen England und Frankreich zur Zeit der Französischen Revolution anhand der typologischen Gegensätzlichkeit von Paris und London schildert, greift W. auf die typologischen Stadtkonzepte in Tora, Neuem Testament und Koran zurück, um deren in dieser Hinsicht korrelative Botschaft zu untersuchen.
Im ersten Kapitel (I, 1–30) findet W. in der Geschichte immer wieder eine dualistische Gegenüberstellung von Städten als Orte des Friedens oder der Ungerechtigkeit (deshalb »two cities«). Im Kern lautet seine These, dass die drei Großerzählungen Tora, Neues Testament und Koran in ihrer Grundbotschaft (one tale) zusammengehören, was sie selbst durch ihren Diskurs über »zwei Städte« entfalten. Man kann also nicht von der einen ohne die anderen sprechen. Zwei Gesichter zeige »die Stadt«: als Versuchung, Korruption und Unordnung aller Art einerseits, der man am besten entflieht; als Ideal und Chance andererseits, als das endzeitliche Jerusalem der offenen Tore, als Sitz Gottes (Jerusalem), als Schutz und Zuflucht. Die Stadt erfordere Entscheidungen: für ein Königtum, das Gerechtigkeit ausübt, oder für eine Herrschaft, die ungerecht ist und die Menschen unterdrückt. Die gemeinsame Botschaft laute: Man soll die Stadt der Gewalt (Assur, Babel, Sodom) verlassen und zu der Stadt der Gerechtigkeit und des Friedens (Jerusalem, Medina) aufbrechen. Dies sei die Berufung aller Propheten gewesen, zu denen auch Muhammad zähle (II, 31–54).
W. zieht dann diese Konfrontation bis zu den ersten Kalifen, den Umayyaden und den Abbasiden aus. Grundlage der ungerechten Herrschaft sei der Stolz, der die Anhäufung von Reichtum in den Vordergrund stelle, so dass Bibel wie Koran zur Ablehnung des Stolzes aufriefen (III, 55–81). Im vierten Kapitel (IV, 82–107) geht W. auf das gemeinsame Thema Exodus ein, dem sich Überlegungen (mit positiver Antwort) anschließen, ob Christen mit Juden den Exodus feiern und ob Muslime mit Christen und Juden den Exo­dus, Ostern und den Karfreitag begehen könnten. Ein ausführ-liches Glossar mit Fachbegriffen und Personennamen (259–283) und ein ebenso ausführlicher Stichwortindex (295–312) unterstützen die Lektüre.
W. ist »Professor emeritus of Religion« der Freien Universität von Amsterdam und ordinierter Presbyterianer. Die aufgeschlossene Islam-Rezeption des Buches rührt wohl aus seinem Islamstudium in Ägypten und der Lehrtätigkeit in den 1970er Jahren im Libanon. Er erlebte den Bürgerkrieg und die teilweise absurden Konstellationen. Eine Rakete traf seine Wohnung: »it was a Jewish (Israeli) rocket, fired by Maronite Christians at the Muslim district in Beirut«. Die Suche und Sehnsucht nach friedlicher Verständigung zeigt: Er hat Menschen und kein abstraktes Religionssystem vor Augen. Eine Suche, die heute wieder dringend nötig ist.
W.s zentrales Anliegen ist es, Bibel und Koran zusammen zu lesen, um das Argument zu zerbrechen, dass die Konflikte zwischen den drei Religionen in den Offenbarungstexten unausrottbar grundgelegt seien. Der richtige Ansatz, nämlich einen nicht nur religionsgeschichtlichen, sondern auch theologischen Diskurszusammenhang zu analysieren und zu diskutieren, ist zu begrüßen. Auch ist zu würdigen, dass die islamische Geschichte als Teil des jüdischen und christlichen Erbes aufgenommen und nicht ignoriert wird.
Doch so sehr die Intention und Haltung des Buches großen Respekt verdienen, irritierend ist, dass W. rein auf der Textebene bleibt. Es gibt keine kritische Hermeneutik, die z. B. die Gottesrede als eine bestimmte Theologie identifizieren würde; bei ihm spricht Gott und der Prophet hört. Gewaltvolle Aktionen bei Propheten auf Gottes Wort hin können mangels einer kritischen Hermeneutik dann auch nicht wirklich bearbeitet werden. Das Abschlachten der Baalspropheten durch Elia wird nicht etwa direkt kritisiert, sondern ihm wird »nur« die leise Stimme vom Horeb mit der eher rhetorischen Frage entgegengestellt, ob das wohl Gottes Wille gewesen sei? Eine Kritik dieses Willens aber fließt W. nicht aus der Feder (40f.).
Die Problematik der Methode sei exemplarisch am Beispiel des Diskurses über Muhammad als Prophet gezeigt (Kapitel II, 31–54). W. zitiert eine Auswahl biblischer Texte, um einen »echten« Propheten zu identifizieren: »The true prophet can be recognized by his faithfulness and by when what he predicts actually happens (Deut 13:1–5; Ezek 33:33) […] The false prophet is not sent by God (Jer 23:32); he imagines that he has seen something, claims to speak in God’s name but does not actually do that, and his words do not come to pass (Ezek 13:1–8); he is following himself, does not stand up for the people, and obscures their true needs. The true prophet is sensitive to God’s voice and raises a critical voice in his name« (33). Letztlich erzählt das Kapitel verschiedene prophetische Berufungen nach und betont summarisch Merkmale, wie etwa, den Ruf Gottes gehört zu haben. Aufgrund dieser textinternen Merkmale wird nun Muhammads Berufung als Prophet den biblischen Propheten zur Seite gestellt. Und so, wie das Evangelium die Tora bekräftigt ( confirms), bekräftigt der Koran die Tora und das Evangelium (48–51).
In der Tat, es gibt Koranstellen, die Muhammads Prophet-Sein im biblischen Sinn belegen. Gleichzeitig haben sie ein darüber hinausgehendes koranisches Eigengut. Diesen Perspektivenwechsel tätigt W. nicht, das gesamte koranische Verständnis der Prophetie zu benennen. Damit leitet die biblische Auswahl die Koranauswahl. Dies zu tun, ist zwar möglich, nur müsste man methodisch die Nachteile dieser Konsensarbeit reflektieren. Denn es wäre die Asymmetrie zu bedenken, wie sich die Schriften aufeinander beziehen und welche Differenzen sich durch die Rezeptionen ergeben. Dieses Ungleichgewicht bearbeitet W. letztlich nicht, sondern weicht schließlich auf Abraham aus, dem er mehr Ge­wicht beimessen möchte. Abraham sei weder Jude noch Christ noch Muslim, aber er stehe am Anfang und alle sähen sich als Nachkommen Abrahams. Dessen Glaube aber habe sich in seinen Taten erwiesen, nicht im »Glauben an sich«, und so könnten sich heute alle in der Gemeinschaft und Nachfolge Abrahams wähnen, die derart glauben (54). Hier zeigt sich das gleiche Problem: W. ignoriert die heterogenen Abrahamkonzeptionen und er ist darin auch weniger bahnbrechend, als die werbenden Rezensionsaus-züge behaupten.
Hier liegt der Pferdefuß des Ganzen: Eine rein konsensuell geleitete Auswahl bestimmter Offenbarungstexte, die auch noch wörtlich gelesen werden, wird nicht weit genug führen. Es fehlt ein methodisches Konzept inhaltlich orientierter und zugleich differenzfähiger Intertextualität, das die Rezeption und die je eigenständigen kontextuellen Neukonzeptionen von Texten und Themen entfalten kann. Erst mit dieser Unterschiedlichkeit lassen sich vergleichbare grundlegende Operationen und charakteristische Prozesse analysieren, wie hinsichtlich des interessanten Stadtdiskurses, den W. aufgegriffen hat.
So sympathisch und notwendig in den gegenwärtigen Antagonismen eine kanonische Lektüre einschließlich des Korans ist, so sehr der interessante Stadtdiskurs einen Vergleich verdient, gemessen an dem wichtigen Ziel des Buches bleiben Probleme. Wer an-dere Religionen ablehnt, kann mit dem analogen Vorgehen eine Gegenauswahl an Texten treffen. Ohne eine kritische Hermeneutik der Heiligen Schriften, ohne eine Kontextualisierung der Texte und ohne eine intertextuelle Konfrontation bleibt der Zugang zu Bibel und Koran von der Haltung der Rezipienten abhängig. Wer für einen fruchtbaren Dialog ist, wird das Buch W.s positiv aufgreifen, wer dagegen eine negative Haltung hat, der findet genügend Ge­gentexte (auch der Gewalt bei Propheten) in der Bibel wie im Koran, um diese Haltung zu bestärken. Dem kann W.s Buch methodisch dann nicht mehr viel entgegensetzen. Leider! Aber vielleicht kann man dies ohnehin nicht.