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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

581–583

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Tück, Jan-Heiner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Theologenpapst. Eine kritische Würdigung Benedikts XVI.

Verlag:

Freiburg. i. Br.: Verlag Herder 2013. 574 S. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-32694-3.

Rezensent:

Werner Thiede

Die Absicht dieses Sammelbandes ist der Versuch einer ersten Bilanz jenes Pontifikats, das mit dem sensationellen Rücktritt des Papstes aus Deutschland geendet hatte. Dass das deutsche Bilanzziehen hier insgesamt eher einem würdigenden als einem kritischen Resümee entspricht, dürfte kaum verwundern (zumal der zu Würdigende noch lebt). Das gilt nicht zuletzt für die wenigen Beiträge aus protestantischer Feder. Übrigens sind einige Aufsätze lediglich Wiederabdrucke.
Der Band gliedert sich grob in drei Teile: Unter »I. Theologische Initiativen« werden seine Enzykliken, seine Reden, die Jesus-Trilogie und seine Kirchenväter-Exegesen behandelt. Der II. Teil bietet Aufsätze zu den »Dimensionen des Pontifikats« und widmet sich den Themen Kirchenreform, Ökumene, Dialog mit Judentum und den Religionen, Glaubenserneuerung/Neuevangelisierung, Liturgie(reform) sowie Schöne Künste/Kirchenmusik. Unter »III. Stimmen – ein Panorama« werden vor allem Reaktionen auf den doch kaum erwarteten Rücktritt geboten. Eine Einleitung des Herausgebers »zu Größe und Grenze seines Pontifikats« und eine (nicht ganz vollständige) Bibliographie umrahmen die drei Teile. Personen- und Sachregister fehlen.
Nur auf ausgewählte der insgesamt 36 Beiträge kann hier näher eingegangen werden. Der I. Teil beginnt mit einem bereits zweimal publizierten Aufsatz Eberhard Jüngels unter dem Titel »Caritas fide formata«. Dieser Text widmet sich als amica exegesis dem ersten Abschnitt der Enzyklika »Deus Caritas est«, deren ökumenischer Anspruch bestätigt wird. Benedikt XVI. wolle hier die positive Option des christlichen Glaubens zur Geltung bringen: dass Gott Liebe sei. Ausführlich befasst sich Jüngel mit der Bedeutungsvielfalt, ja Ambivalenz des Wortes »Liebe« und bleibt dabei nicht bei einer differenzierenden Beleuchtung der altgriechischen Begriffe agape und eros stehen, die er beide strukturell auf eine jeden Selbstbezug überschreitende Selbstlosigkeit ausgerichtet sieht. Vielmehr arbeitet er heraus, dass es dem Papst darauf ankommt, die Agape als Ausdruck für die im Glauben gründende und von ihm geformte Liebe zu verstehen: »caritas fide formata! Welch eine ökumenische Annäherung! Im Blick auf das Jahrhunderte lang kontroverstheologisch umstrittene Verhältnis von Glaube und Liebe hat die Enzyklika Benedikt XVI. ein tiefgreifendes Einverständnis freigelegt.« Allerdings bleibe ökumenischer Klärungsbedarf insofern bestehen, als die Enzyklika es für überflüssig halte, in aller Deutlichkeit auszusprechen, dass die Glaubenden in keiner Weise an ihrer Rechtfertigung beteiligt seien. Was der Papst hier aber insgesamt über Ge­rechtigkeit, Liebe und das spezifische Profil der kirchlichen Liebestätigkeit differenziert ausführe, sei so etwas wie die Kurzfassung einer päpstlichen »Zwei-Reiche-Lehre«, die »auch der Lutheraner nicht nur mit lebhafter Zustimmung, sondern auch mit theologischem Gewinn liest«.
Über die Enzyklika Spe Salvi schreiben anschließend Matthias Remenyi und Jan-Heiner Tück. Zunächst halten sie fest, es scheine, »als hätten die Gesellschaften des Westens weithin gelernt, ohne große Hoffnungen auszukommen und gleichzeitig mit vielfältigen Phänomenen einer säkularen Apokalyptik zu leben.« Das Utopische kehre »gerade mit ungeahnter Dynamik zurück.« Insbesondere lasse sich »eine Wiederkehr des Utopischen in den elektronischen Kommunikationsforen konstatieren, die nur schwer auf einen Nenner zu bringen ist.« Dagegen gelte im Sinne von Spe Salvi:
»Insofern sich die christliche Hoffnung auf Gott als den letzten Grund allen Seins richtet, entwickelt sie eine Distanzierungskraft gegenüber der Absolutsetzung von allem nur Vorläufigen, Zweitwichtigsten, Relativen. So entfaltet sie ein ideologiekritisches Potential gegenüber jenen innergeschichtlichen Utopien, die den Menschen ihrerseits unter dem Versprechen einer besseren Zukunft verzwecken oder vereinnahmen.«
Benedikt schreite das Tableau säkularer Eschatologien gelehrsam ab und übe Kritik an einem einseitigen Fortschrittsoptimismus. Aber auch eine Forcierung negativer Theologie lehne er ab, weil sie den Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes untergrabe. Auf die Offenbarung seiner Gerechtigkeit sei zu hoffen; sie bilde eines der stärksten Argumente für den christlichen Glauben an das ewige Leben. Ob am Ende alle Menschen gerettet würden, lasse die Enzyklika zwar offen, erinnere aber daran, dass der Mensch »nicht gegen die anderen und nicht ohne sie glücklich werden kann«.
Im Blick auf die berühmte und umstrittene Regensburger Rede zeichnet Rémi Brague die Argumentation nach, derzufolge der griechische Logos im Sinne eines gereinigten griechischen Erbes für die Erfordernisse eines christlichen Vernunftbegriffs bedeutsam sei und bleibe. Auf dieser Basis hatte der Papst kritisch drei Wellen der »Enthellenisierung« benannt (doch zu kritisch, wie der Rezensent in dem von ihm herausgegebenen Buch »Der Papst aus Bayern« gezeigt hat). Gott erweise sich als vernunftfreudig: »Ordnung der Schöpfung, Klarheit der sprachlichen Mitteilungen sowie Richtigkeit und Gerechtigkeit des Mitgeteilten bestätigen einander.« Weder dieser Beitrag noch der folgende von Johannes Hoff (»Gewalt oder Metaphysik«) bringen Kritisches zur Regensburger Rede.
Zu den Reden Benedikts in Berlin und London erklärt Martin Rhonheimer, warum für den Papst aus ethischer Sicht der Rechtscharakter positiven Rechts von der Übereinstimmung mit dem Naturrecht abhängt. Menschlicher Wille »ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.« Zur moralischen Norm werde Natur nur durch die (moralische) Vernunft, die als natürliches Gesetz am ewigen Gesetz Gottes teilhabe. Von daher begründe sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Gesetztes Recht könne – auch in Demokratien! – durchaus materielles Unrecht und insofern revisionsbedürftig sein. »Dass im Extremfall des ›Un­rechtsstaates‹ unter Umständen gerade gefordert ist, im Namen des Naturrechts Widerstand gegen geltendes Recht zu erheben«, liege darin begründet, dass Naturrecht durchaus »Recht« sei. Die Wahrheitsfrage sei ethisch zu stellen. Die Vernunft dürfe sich nicht in sich selbst abschließen, sonst werde sie zur Unvernunft – so wie »der Staat, der vollkommen sein will, tyrannisch wird« (Joseph Ratzinger schon 1987). Welch aktuell anmutende Aussage angesichts eines Staates bzw. einer Staatengemeinschaft, die mit der »Digitalisierung aller Dinge« eine bedenkliche Agenda vorantreibt!
Christoph Schönberger vermerkt zur Papst-Rede im Bundestag zunächst: »Anders als frühere Päpste ist dieser Papst mit seinem Amt nie ganz verschmolzen.« Seiner Berliner »Naturrechtsapologie« attestiert der Rechtsgelehrte eine »fundamentale Zweideutigkeit«. Jedenfalls gehe es um die drängend bleibende Frage, was demokratischen Entscheidungsprozessen vorausliege und als un­verfügbar behandelt werden sollte.
Unter der Überschrift »Was heißt Weltoffenheit für die Kirche?« nimmt Karl Kardinal Lehmann zur päpstlichen These von der fälligen Entweltlichung der Kirche Stellung. Im Hintergrund stehe die Befürchtung, dass die Kirche selbstgenügsam werde und sich den Maßstäben der Welt angleiche. In diesem Sinn bietet dieser Sammelband mancherlei Stoff und Anregungen, die auch protestantische Theologie und Kirche beschäftigen könnten.