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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

571–573

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Paarhammer, Hans, u. Gerlinde Katzinger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirche und Staat im Horizont einer globalisierten Welt.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2009. 341 S. = Wissenschaft und Religion, 21. Kart. EUR 70,95. ISBN 978-3-631-58314-2.

Rezensent:

Thomas Schlag

Der Band geht auf ein Symposion zurück, das bereits im März 2007 vom Fachbereich Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg durchgeführt wurde. Auch wenn seitdem geraume Zeit vergangen ist, sind die damaligen Einblicke der damals beteiligten – vornehmlich kirchenrechtlich ausgewiesenen – Expertinnen und Experten in die unterschiedlichen nationalen Verhältnisbestimmungen von Kirche und Staat in einer globalisierten Welt immer noch ausgesprochen lesenswert. Denn selbst wenn inzwischen die politischen Entwicklungen und auch die rechtlichen Debatten zu dieser Thematik im Rahmen der Europäischen Union weitergegangen sind, so werden die unterschiedlichen nationalen Kooperationsverhältnisse und die dabei jeweils im Hintergrund stehenden Traditionen und rechtlichen Grundlagen auch für alle zukünftigen Veränderungsprozesse maßgeblich zu berücksichtigen sein.
Insofern sind die grundlegenden Beiträge zu den rechts- und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen des Kirche-Staat-Verhältnisses von Heribert Franz Köck und zur Frage von Globalisierung und Recht von Karl Edtstadler ebenso aufschlussreich wie die vergleichenden Ausführungen zu den unterschiedlichen Modellen der Kirchenfinanzierung in Europa durch Wilhelm Rees und zu den jeweils kontextuell bestimmten Ausformungen päpstlicher Diplomatie aus der Feder von Hans Paarhammer. Schon in diesen Beiträgen bilden sich dabei die in Europa prinzipiell drei gegebenen unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen ab, nämlich das staatskirchliche Verschmelzungs-, das laizistische Trennungs- und schließlich das auf der rechtlichen Trennung basierende Kooperationsmodell. Gleiches zeigt sich dann für die kenntnisreichen und detaillierten Einzelstudien zu den nationalen Verhältnissen: Im Einzelnen sind dies Beiträge zum deutschen Konkordatsrecht von Stephan Haering, zu den in sich pluralen Verhältnisbestimmungen in der Schweiz von Adrian Loretan-Saladin, zu den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel, über die David M. Jaeger referiert, sowie zu verschiedenen konkreten Ko­opera-tionsfeldern in Österreich, konkret: im Blick auf Kirche und Schu-le durch Hugo Schwendenwein, die Pädagogischen Akademien und damit die kirchliche LehrerInnenbildung durch Walter Hagel/ Christine Mann, die Polizeiseelsorge, über die Karl W. Schwarz Auskunft gibt, sowie die katholische Gefängnisseelsorge, über die Chris­tian Kuhn orientiert. Die beiden letztgenannten Beiträge bleiben allerdings doch zu sehr auf der deskriptiven Ebene und benennen gerade die Herausforderungen interreligiöser und interkultureller Arbeit deutlich zu wenig. Über den europäischen Kontext hinaus beleuchten zwei Beiträge die südamerikanische Situation, konkret wird das Verhältnis von Kirche und Staat in Argentinien durch Ariel D. Busso, wenn auch leider nur sehr knapp, erläutert und wiederum vergleichend die kirchliche und staatliche Ehegerichtsbarkeit in den mittel- und südamerikanischen Staaten von Nikolaus Schöch referiert.
Bei aller Vielfalt der beschriebenen Kontexte und rechtlich überaus heterogenen Ausgestaltungen ist doch zugleich unverkennbar, dass die einstmals selbstverständliche Einheit oder doch engste Kooperation zwischen Kirche und Staat so zu Beginn des 21. Jh.s nicht mehr gegeben ist bzw. sehr erheblichen Wandlungsprozessen unterliegt und damit auch zukünftig vor sicherlich noch weiterreichenden grundlegenden Legitimationsaufgaben stehen wird. Zugleich laufen die Beiträge aber nicht Gefahr, sich die einstmaligen Verhältnisse zurückzuwünschen – sieht man einmal von der etwas sonderbar anmutenden Forderung ab, wonach in den Vorlesungsräumen der Pädagogischen Akademien, wenn die Mehrzahl der Studierenden einem christlichen Bekenntnis angehören, Kreuze angebracht werden sollten (so H. Schwendenwein, 283).
Gewünscht hätte man sich gerade deshalb – über das Kirchenrecht hinaus – ein dezidiert praktisch-theologisches Resümee, da doch sowohl für die wissenschaftliche Disziplin – im Sinn ihrer Integration in die Hochschullandschaft (vgl. insbesondere dazu den Beitrag von S. Haering) – wie auch für die kirchliche und pastorale Praxis solche sich verändernden Kooperationsverhältnisse zwischen kirchlichen und staatlichen Instanzen erhebliche Folgewirkungen mit sich bringen werden. Zugleich machen die durchgängig aus katholischer Feder stammenden Beiträge auch deutlich, dass die im Vorwort der Herausgeber angesprochene Referenzgröße, die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« des Zweiten Vatikanischen Konzils mit ihrem Aufruf zum verstärkten Dialog in Kirche und Welt, der theologischen Weiterführungen und pluralitätsoffenen Konkretisierungen bedarf. Es ist folglich gerade auf den einzelnen Praxisfeldern immer wieder deutlich zu machen, inwiefern und in welchem Sinn heute noch »das Bewusstsein von der Gottebenbildlichkeit des Menschen als Grundlage europäischen Wirkens« (so im Beitrag v. G. Katzinger, 65) verstehbar angemahnt werden soll und kann. Ob es stimmt, dass der Apostolische Stuhl »wie keine andere Institution in der weltweiten Staatengemeinschaft […] über einen Erfahrungsschatz des rechten Zusammenwirkens von Kirche und Staat zum allgemeinen Wohl der Menschen« verfügt (H. Paarhammer, 140), wäre allerdings noch auf den Prüfstand zu stellen – möglicherweise sind hier die Dinge gegenüber dem im Band vielfach zitierten Benedikt XVI. doch gerade zu dieser Thematik nochmals anders darzustellen.
Insgesamt aber ist dem im Band gut erkennbaren Gesamttenor zuzustimmen, wonach es vermutlich gerade nicht die alten Privilegien, sondern der friedensstiftende Beitrag der Kirchen zum bo­num commune (Loretan-Saladin, 210), d. h. den säkularen Menschenrechtsdebatten und -verletzungen, sowie ihr eigenes Eintreten für allgemeine Religionsfreiheit sein werden, was ihre eigene öffentliche Rolle und Bedeutung zukünftig am stärksten plausibel machen wird. In diesem Zusammenhang ist von den versammelten Beiträgen auch zu lernen, dass zum einen das Völkerrecht und das Religionsverfassungsrecht stärkere Verknüpfungspotentiale haben, als dies bisher allgemein im Blick ist, und zum anderen gerade aufgrund der sehr unterschiedlichen nationalen Traditionen Harmonisierungsversuche auf der Ebene eines europäischen Rechts und entsprechender Verträge nur dann angestrebt werden sollten, wenn sie tatsächlich zur Verbesserung der bisherigen Ko­operationsformen führen.