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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

553–555

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Mühling, Markus

Titel/Untertitel:

Liebesgeschichte Gott. Systematische Theologie im Konzept.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 553 S. m. Abb. u. Tab. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 141. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-56406-6.

Rezensent:

Wolfgang Drechsel

Mit seiner Monographie »Liebesgeschichte Gott« legt Markus Mühling, der seit 2011 Professor für Systematische Theologie und Wissenschaftskulturdialog an der Leuphana Universität Lüneburg ist, einen multiperspektivischen Entwurf Systematischer Theologie vor, der nicht allein die wesentlichen Elemente der klassischen Dogmatik abdeckt, sondern in seiner durchgehend »ethischen« Bezogenheit auf das Leben und Handeln von Christen auch eine hohe Anschlussfähigkeit an die Fragestellungen Praktischer Theologie repräsentiert. Dabei verweist, gegenüber der eher geläufigen und naheliegenden Metapher einer »Liebesgeschichte Gottes«, bereits der sprachlich etwas sperrige Titel »Liebesgeschichte Gott« auf ein die Gesamtkonzeption prägendes Thema, dass Liebe nicht als bloßes Attribut Gottes zu verstehen ist, sondern als Gottes Sein in seiner dreifach-narrativen trinitarischen Selbsterschließung die Basis von Theologie »als methodisch reflektierte[r] Selbstreflexion und -explikation christlichen Glaubens und christlicher Praxis« (465) darstellt. Ähnlich erschließt sich der Untertitel »Systema­-tische Theologie im Konzept« in seiner Tiefendimension erst beim gründlichen Lesen: Ohne Anspruch auf die Geschlossenheit einer umfassenden Systematischen Theologie werden unter einem einheitlichen Paradigma die »klassischen Themen« christlicher Dogmatik besprochen, analysiert und finden ihre Fassung in Form von weiterführenden Lösungsvorschlägen. Dabei liegt diesem Paradigma eine klare, durchaus lutherisch zu nennende Positionalität zugrunde, deren theologische und sprachlogische Grundlagen offengelegt werden und insofern einen eigenständigen und wichtigen Beitrag zum systematisch-theologischen Diskurs bieten. Formale Grundlage dieses »Entwurfs einer Systematischen Theologie« sind verschiedene Aufsätze zu Themen, zu denen M. bereits an anderer Stelle Monographien vorgelegt hat, die angereichert mit neuen Texten hier zu einem wirklichen »Konzept« verbunden werden. Die ursprüngliche Disparatheit verschiedener Aspekte wird beim Lesen immer wieder einmal spürbar, macht aber zugleich den Reiz des Gesamten aus, denn gerade in der Unterschiedlichkeit verschiedener Einzelthemen wird die Stringenz der zugrundeliegenden Gesamtperspektive wahrnehmbar.
Dabei gilt ein besonderes Interesse von M. dem Einbeziehen des Dialogs mit den Naturwissenschaften, der sich exemplarisch in Fragen der Diskussion von Raum und Zeit bzw. Kontingenz bereits in der Frage der Individuationsthematik der Gottesfrage bzw. der Schöpfungsthematik spiegelt oder auch in der Diskussion neurobiologischer Fragen im Kapitel der Willensfreiheit des Menschen.
Das Buch ist in sieben Hauptabschnitte gegliedert. Während die Themen von 1. »Zugänge« (interessant hier z. B. die Abschnitte zur »vertrauenden Vernunft« 1.2., zur Frage nach biblischen und außerbiblischen Geschichten und Geschichte im Sinne einer se­miotischen Ontologie 1.2. oder die Frage nach einer ethischen Theorie der Wahrheit 1.3.) die dogmatischen Inhalte der späteren Kapitel faktisch voraussetzt, entfaltet 2. »Gott« dann ausführlich die Frage nach Gottes Sein als Liebe in der narrativen Verschränkung der trinitarischen Personen. Dabei wird der Personbegriff relational als »besonderes Voneinander-und-Füreinander-Sein« bestimmt.
Nach einer breiten Diskussion der an dieser Stelle notwendigen Frage nach der Einheit Gottes (Perichorese) bietet M. dann zwei ausgesprochen reizvolle und eigenständige Abschnitte zum »Glauben Gottes« bzw. zum »Zufall Gottes«: Wenn Gottes Wesen narra-tive Liebe ist, wenn zur Liebe Vertrauen gehört und wenn Vertrauen Glaube ist, dann muss es auch in den das Wesen Gottes konstituierenden narrativ-kommunikativen Relationen zwischen Vater, Sohn und Geist Glaube und Vertrauen geben, das eine Entzo-genheit und Unverfügbarkeit dessen voraussetzt, worauf vertraut wird. Ist damit Gott keine Ausnahme der Ontologie, sondern menschliches Vertrauen im Wesen Gottes immer schon zu­grundegelegt, so gilt das Interesse von M. dann auch einer Be­stimmung der Möglichkeit des Überraschenden im Wesen Gottes (»Gottes Kontingenz«) in Abgrenzung zu einem Verständnis von Gottes »absolut notwendigem Sein«, wodurch das Thema der Kontingenzbewältigung primär als göttliche Aufgabe verstanden wird, die dann eine Basis für menschlichen Umgang mit Kontingenz beinhaltet.
Die so zugrundegelegte Bestimmung der Gottesfrage hat dann ihre Auswirkungen auf die Themen 3. »Schöpfung« und 4. »Mensch«: Ohne hier auf die breiten naturwissenschaftlichen Ausführungen zur Welt, Zeit und Ewigkeit einzugehen, lässt sich festhalten: Hat der dreieinige Gott in Entsprechung zu seinem eigenen narrativen Leben eine Welt geschaffen, die mit der zeitlichen Struktur einer geschaffenen Narrativität begabt ist, die seinem eigenen narra-tiven Sein entspricht, ist es möglich, dass Gott sich dieser Welt erschließt, und zugleich, dass auch die zeitliche Welt in der Selbsterzählung Gottes aufgehoben wird und ist, ohne zerstört werden zu müssen (vgl. 256).
Dies beinhaltet für den Menschen, dass dieser als imago dei nicht einfach nur von Gott erzählt, sondern selbst Nacherzähler und Koerzähler seines Seins ist als imago trinitatis, imago personalitatis, aber auch imago narrationis und imago caritatis (vgl. 281). Dies expliziert M. auf eindrucksvolle Weise an den Themen »Mensch als Geschöpf endlicher Freiheit« (im Zusammenhang der neurobiologischen Diskussion), »Liebesregel und Liebesbeziehung«, »diakonisches Handeln« und »Macht und Gewalt«. Immer unter den Bedingungen, dass der Mensch in diesem Beziehungsgefüge de facto »ver-rückt« ist, diese Selbsterschlossenheit durch Gott also in eine sündhafte Selbstverschlossenheit verkehrt ist und der Zurechtrückung durch »eine sich selbst erschließende Anwesenheit dieses nicht allein weltlichen Grundes des geschaffenen Personseins« bedarf (282).
In Konsequenz entfaltet M. dann unter dem Titel 5. »Der Sohn und der Geist« die Themen Christologie und Soteriologie, wobei als besonderer Schwerpunkt der Gedanke der »Konkarnation« des Geistes hervorzuheben ist, und 7. die Frage nach der Eschatologie, die nicht im Sinne eines spezifisch dogmatischen Locus, sondern als Perspektive auf das Ganze des christlichen Lebens als Hoffnung verstanden werden kann (496). Hier kommt menschliche Identität (im Durchgang durch das Gericht) zu sich selbst, indem »personale Transzendenz, Alterität, Kommunikativität etc. in der Aufhebung der Narrativität der Welt in die Gottes als aufgehoben und bewahrt« gedacht werden muss (469).
Dazwischengeschaltet ist dabei ein instruktiver Abschnitt zu 6. »Gemeinschaft und Gemeinschaften«, in dem vor allem das Thema der Einheit der Kirchen und des Religionsdialogs im Vordergrund steht, wo vor allem der Konsens-Begriff mit seinen nivellierenden Tendenzen in Frage gestellt wird (nicht ohne zugleich seine Attraktivität zu erörtern) und mit dem Gedanken der Toleranz als einem »Erleiden« des Anderen in seiner Andersheit unter den Bedingungen einer klaren und selbstreflexiven eigenen Positionalität kontrastiert wird.
Nun können hier nicht alle Konsequenzen dieser in sich ge­schlossenen Konzeption in ihren Auswirkungen auf Leben und Praxis von Christen aufgeführt werden, die immer wieder eigene, wiederum weiter zu diskutierende Perspektiven bieten. Denn durch den immer wieder neuen Ausgang von M. beim Handlungsbegriff bzw. Praxisbegriff (z. B. 471.495) und sein Einbeziehen der Ethik bietet dieser systematisch-theologische Entwurf eine Offenheit für die Reflexion christlichen Handelns in der Welt. So ist ein interessanter und weiterführender Entwurf einer Systematischen Theologie vorgelegt, der bei allen auftretenden Einzelfragen zum Weiterdenken auch im Kontext der Fragen der Praktischen Theologie anregt.