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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

541–542

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Percze, Sándor

Titel/Untertitel:

Kunst, Kino und Kanzel. Die Ästhetik des Films und die Gestalt der Predigt.

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik Verlag 2013. 364 S. = Studien zur Christlichen Publizistik, 22. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-933992-23-9.

Rezensent:

Hans-Ulrich Gehring

Sándor Perczes Studie ist aus einem in Erlangen im Bereich der Praktischen Theologie betreuten Dissertationsprojekt und aus dem theoretischen Umfeld der von Martin Nicol und Alexander Deeg konzipierten »Dramaturgischen Homiletik« hervorgegangen. P., als Gemeindepfarrer im ungarischen Györ tätig, möchte aus den »Visionen« des inzwischen etablierten »ästhetischen Paradigmas« in der Homiletik predigtpraktische Folgerungen ziehen. Neben und nach einer primär rezeptionsästhetischen Betrachtung der Predigt, die in erster Linie deren Wirkung und Aufnahme durch die Hörenden fokussiert, will er die produktionsästhetische Seite der Predigt-Kunst, also Fragen ihrer formalen Gestaltung und ihres methodischen Instrumentariums, in den Blick nehmen.
Dem Interesse, Predigt als »Kunst unter Künsten« zu verorten, dient, nach einem einleitenden ersten, das zweite Kapitel. In einem breit angelegten, notwendig summarischen Überblick unternimmt P. eine Verhältnisbestimmung der Homiletik zu verschiedenen Künsten (Literatur, Musik, Malerei, Theater) anhand der Darstellung profilierter Diskussionsbeiträge. Dieser Durchgang durch etwa fünf Jahrzehnte erweist für ihn die Notwendigkeit einer verstärkten Aufmerksamkeit für die sprachliche, inszenatorische und performative Gestaltung der Predigt und entsprechende handwerkliche Methoden und Techniken. Hier eröffnet nach P. das vergleichsweise junge Medium des (Spiel)films bedeutsame Perspektiven.
Den »Film als Paradigma für die Predigt« auszuweisen, dient das dritte Kapitel. Dieser Abschnitt bietet zunächst wiederum eine Aufarbeitung des Verhältnisses von Kino und Kirche, Filmmedium und Theologie sowie eine kritische Bestandsaufnahme dialogischer Modelle wie Filmpredigten und Filmgottesdiensten. Filmische Aussagegehalte und Ausdrucksmittel dürfen durch Theologie und Predigt »nicht abgewertet oder instrumentalisiert« (130) werden. Dies ist für P. sowohl Anliegen als auch Erkenntnisgewinn einer Diskussion, in der das cineastische Medium lange Zeit theologisch abgewertet oder kurzerhand »in Dienst genommen«, jedenfalls erst allmählich in seiner Eigensinnigkeit wahr- und ernstgenommen wurde. Trotz eines wachsenden Interesses am Kino- und Filmmedium wird, so P., erst seit den 1990er Jahren auch der spezifischen Ästhetik des Films die nötige Aufmerksamkeit gewidmet: »Die Frage, wie und mit welchen Ausdrucksmitteln ein Film seine Geschichten erzählt, blieb lange Zeit völlig im Hintergrund« (131). Gerade hier aber kann die Predigt in Theorie und Praxis Wesentliches lernen. In zwei grundlegenden Hinsichten, und damit zwei weiteren Kapiteln zur Dramaturgie und zum Montageverfahren des Films, möchte P. diese These erhärten.
Das vierte Kapitel widmet sich der Freilegung dramaturgischer Erzählformen und Gestaltungsprinzipien des Films. Mit der »Reise des Helden« wird jenes »mythische Erzählmuster« vorgestellt, das in vielfältiger Variation den meisten Hollywoodproduktionen zugrunde liegt, Kinogeschichten mit den ältesten Erzähltraditionen der Menschheit verbindet und auch für die Predigt ein mögliches (wiederum variabel adaptierbares) Gestaltungsmittel darstellt. Durch dramatische Bearbeitung existentieller Konfliktsituationen und Angebote zur Identifikation mit den Protagonisten erreichen Filmgeschichten emotionale Tiefenschichten ihrer Zu­schauer. Sie zielen – aristotelisch gesprochen – auf eine Katharsis, auf Lösung und Läuterung der Affekte. In ähnlichem Sinne will nach P. auch die Predigt unterhalten. Sie »will in die Gegenwart des Herrn führen, der seine dramatische Geschichte mit den Menschen noch nicht beendet hat. Auch der Gottesdienst in seinem dramatischen Aufbau will zu einer Art Katharsis führen« (192).
Für die konkrete Ausarbeitung einer spannungsvollen Predigt ist nun bedeutsam, dass sie, dem Filmdrehbuch entsprechend, eine »der Ausführung vorausgehende Gestalt« besitzt. Drehbuchautoren konstruieren ihre Geschichte »Bild für Bild«, sie folgen dem Grundsatz »Zeigen statt Sagen«. Eine Veranschaulichung inhaltlicher und emotionaler Gehalte, eine Charakterisierung der »Helden« und ihrer Motive erfolgt hier primär durch die Ausgestaltung von Handlung. Predigt, die sich hieran orientiert, legt Wert und Gewicht auf die Gestaltung und wirkungsvolle Anordnung von Handlungssequenzen. Vieles muss dabei nicht ausdrücklich formuliert werden, die »ganze Geschichte vervollständigt sich in der Wahrnehmung des Zuschauers« (201). Dies gilt insbesondere für Formen »nicht-linearen« und »epischen Erzählens«, die dem Zuschauer die Möglichkeit reflexiver Distanz zu den eigenen Emotionen ermöglichen und oftmals Geschichten mit »offenem Ende« erzählen.
Praktische Konsequenz solcher Einsichten ist für P. eine Verfahrensweise »montierenden Schreibens« (vgl. 200). Ihr ist das abschließende fünfte Kapitel gewidmet. Eine einleitende Begriffsbestimmung macht deutlich: Das Montageverfahren entspringt der technisch-industriellen Gesellschaft und hat früh auch in anderen Künsten wie der Malerei Anwendung gefunden. In keiner anderen Kunstform jedoch erfährt die Montage eine so durchgängige und differenzierte Anwendung, aber auch eine so intensive theoretische Reflexion wie im Filmmedium. Den Schwerpunkt seiner Darstellung legt P. hier auf die Theorien sowjetrussischer Regisseure und Filmtheoretiker (Kuleschow, Pudowkin, Eisenstein) aus den 1920er Jahren. Hier wird die Montage zu einem filmischen Ausdrucksmittel, das auf die »kreative, mitschöpferische Imagination«, aber auch auf das Reflexionsvermögen der Zuschauenden abzielt. Vor diesem Hintergrund stellt die Montage für das »Handwerk der Predigt« zum einen ein Instrument zur Textanalyse dar. P. illustriert dies an einer biblischen Passage aus Mk 15. Zum anderen gibt das filmische Montageverfahren eine Fülle an Möglichkeiten zur dramaturgischen Predigtgestaltung an die Hand. Auch hierfür bietet P. anschauliche und anregende Beispiele. Sein Fazit: »Predigt als Kunst gestaltet Wirklichkeit in einer den Zuhörer anziehenden Form. Dies erreicht sie, indem sie charakteristische Details der Gottes- und Weltwirklichkeit miteinander montiert« (292).
Mit seiner »Homiletik vor der Leinwand und hinter der Kamera« (9.344 u. ö.) leistet P. einen beachtenswerten Beitrag zur Fundierung und Konkretisierung der »Dramaturgischen Homiletik«. Anspruch und Durchführung einer solchen methodologischen Begründung von Predigt-Kunst (vgl. 276 und 322) sind meines Erachtens diskutabel. Der »Paradigma«-Begriff wirkt hierfür unscharf und überhöht. Bedauerlich ist, dass diese Studie erst jetzt in Buchform vorliegt. Kino- und Filmmedium haben in den letzten Jahren hohe praktisch-theologische, auch speziell homiletische Aufmerksamkeit erfahren. Erträge eines knappen Jahrzehnts aktueller Diskussionen und Publikationen sind bei P. jedoch nicht mehr berücksichtigt. Zu beachten ist auch, dass sich seine Untersuchung auf den Bereich des Spielfilms beschränkt (vgl. 13). Solche Eingrenzung ist gewiss legitim. Hier öffnet sich aber ein Feld weitergehender Fragen im Blick auf die Bedeutung auch von Dokumentar- und Kurzfilmen für homiletische Theorie und Predigtpraxis, etwa im Blick auf die eher vernachlässigte Frage nach Möglichkeiten lehrhaften Predigens in ansprechender Form. Auch hier können P.s Ausführungen zur Montage wichtige Anstöße geben. In ihnen sehe ich das besondere Verdienst dieser Studie.