Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

526–528

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Söderblom, Nathan [Aus d. Schwedischen übers. u. hrsg. v. D. Lange]

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Werke. Bd. 3: Jesus in Geschichte und Gegenwart.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 416 S. Geb. EUR 140,00. ISBN 978-3-525-57033-3.

Rezensent:

Heinrich Holze

Der anzuzeigende Band setzt die auf vier Bände angelegte Auswahl der Werke Nathan Söderbloms, die von Dietz Lange, Göttinger Emeritus für Systematische Theologie, verantwortet wird, mit einem dritten Band fort. Während der erste Band das Verhältnis des Christentums zur Welt der Religionen beleuchtete (ThLZ 138 [2013], 339–340) und der zweite Band Texte zu Kirche und Ökumene bot (ThLZ 138 [2013], 753–755), enthält der jetzt vorliegende dritte Band zwei Schriften S.s zur Christologie. Diese lenken, wie Lange in der Einleitung betont, den Blick auf »das Zentrum seines theologischen Denkens« (9) und sind neben ihrer theologiegeschichtlichen Bedeutung auch geeignet, gegenwärtige christologische Diskurse zu bereichern.
Die erste Schrift trägt den Titel »Jesus oder Christus? Die Naherwartung im Evangelium«. Dabei handelt es sich um einen Aufsatz, den S. 1910 als Erwiderung auf einen gleichnamigen Text von Alfred Loisy verfasste und dann in erweiterter Form in Schweden 1921 erneut veröffentlichte. Während Loisy von der Gleichberechtigung aller Religionen überzeugt war und das eigene Gewissen als Basis der Religion beschrieb, hält S. an der besonderen Bedeutung der Person Jesu Christi für die Glaubensgewissheit fest. Zwar sei Jesu apokalyptische Erwartung des Weltendes überholt, gültig aber bleibe, dass seine Naherwartung dazu geführt habe, »den Forderungen des Evangeliums eine Konzentration auf das Wesentliche zu verleihen, die sie über die Begrenzung der Zeit hinaushebt.« (46) Mit dieser Auffassung bezog S. eine vermittelnde Position in der Diskussion um das von Johannes Weiß formulierte Programm einer ›konsequenten Eschatologie‹. Dass er damit nicht nur theologiegeschichtliche Bedeutung erlangt hat, sondern auch gegenwärtig Gehör verdient, betont Dietz Lange, der in seiner Einleitung zwei Aspekte der Theologie S.s hervorhebt: »Erstens stuft er das zeitliche Element der Naherwartung herab und betont stattdessen den Ernst der Umkehr fordernden Nähe Gottes. Zweitens stellt er diesem Ernst, seinem Leitbegriff des Heiligen folgend, die Vertrauen weckende liebende Nähe Gottes an die Seite.« (15)
Bei der zweiten Schrift »Geschichte des Leidens Christi« handelt es sich – wie der Untertitel formuliert – um »ein Passionsbuch für die stille Woche und für andere Wochen«. Es ist ein Spätwerk S.s, das 1928 erschienen ist. Der besondere Charakter dieser etwa 350 Seiten umfassenden Schrift besteht darin, dass S. die Passionsgeschichte in der literarischen Gattung eines geistlichen Dramas entfaltet, das die handelnden Personen in ihrem Mit- und Gegeneinander lebendig werden lässt. So verzichtet er zwar auf eine am griechischen Original orientierte Kommentierung, nicht aber auf eine fachkundige Erläuterung des Bibeltextes, die in allgemeinverständlicher Form in die Lebens- und Glaubenswelt der Urchristenheit einführt. Das »Passionsbuch« beginnt im Prolog mit dem Einzug Jesu nach Jerusalem, es folgen sechs Akte, in denen den Evangelien folgend das letzte Mahl mit den Jüngern, die Verhaftung in Gethsemane, das Verhör vor dem Hohen Rat, das Geschehen vor Pilatus und Herodes, die Kreuzigung auf Golgatha sowie die Grablegung zur Darstellung gebracht werden. Den Ausklang bildet eine Meditation des Glaubens an die Auferstehung Jesu. Dietz Lange macht in seiner Einleitung darauf aufmerksam, dass S. bei der Abfassung mittelalterliche Mysterienspiele vor Augen standen, möglicherweise hatte ihn auch das Erlebnis eines Passionsspieles, das er in Athen gesehen hatte, zur Abfassung angeregt. Deutlich ist auf jeden Fall, dass S. seine Schrift nicht für den fachtheologischen Diskurs, sondern – wie auf dem Titelblatt vermerkt wird – »für die Gemeinden und meine Amtsbrüder im Erzbistum« geschrieben hat. Daraus erklärt sich die – aus exegetischer Sicht ungewöhnliche – Entscheidung, dem »Passionsbuch« die vier Evangelien als einen Gesamttext zugrunde zu legen, der in einem der Chronologie folgenden Handlungsstrang dramaturgisch entfaltet wird. S. lässt in seiner Darstellung durchaus die religionsgeschichtlichen, exegetischen, kirchengeschichtlichen und theologischen Zusammenhänge anklingen. Wichtiger ist ihm jedoch, die alle Zeiten übergreifende Gegenwärtigkeit des Geschehens für den christlichen Glauben aufzuzeigen. Dies geschieht in einer meditativen, erbaulichen und eindringlichen Sprache, die in der Frömmigkeit der schwedischen Erweckungsbewegung verwurzelt ist. Von ihr geprägt unternimmt S. mit seiner Schrift den Versuch, einen zentralen biblischen Text als existentiellen Lebenszusammenhang zu erschließen und dadurch für die Gegenwart des Glaubens zu öffnen. Wieweit ihm das gelungen ist, wird entscheiden müssen, wer sich auf die Lektüre einlässt. Zweifellos aber hat er eine bemerkenswerte Schrift vorgelegt, die in der heutigen theologischen Literatur ihresgleichen sucht.
Dietz Lange ist zu danken, dass er mit ihr den Blick auf ein geistliches Erbe des frühen 20. Jh.s gelenkt hat, das hierzulande weitgehend unbekannt ist.