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Ausgabe:

Mai/2015

Spalte:

504–505

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Colombi, Emmanuela [Éd.]

Titel/Untertitel:

La trasmissione dei testi patristici latini: problemi e prospettive. Atti del colloquio internazionale Roma, 26–28 ottobre 2009.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers 2012. 344 S. = Instrumenta Patristica et Mediaevalia, 60. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-2-503-54235-5.

Rezensent:

Katharina Greschat

Der Band stellt die Ergebnisse einer Tagung vor, an der die im Mai 2012 viel zu früh verstorbene Michaela Zelzer noch teilgenommen und die sie mit einem Vortrag (Der Beitrag von Mailand zur Bewahrung der Werke des hl. Ambrosius im Spiegel der ersten Gesamtausgabe des Mailänder Kanonikers Martinus Corbo aus dem 12. Jh., 297–313) bereichert hat. Darin würdigt Michaela Zelzer, deren Gedenken dieser Band gewidmet ist, die genannte Ambrosiusausgabe und weist darauf hin, dass sie auch für moderne Editionen noch immer von Bedeutung sei. Die Widmung ist nicht nur eine schöne Geste für eine beeindruckende Frau, sondern führt genau ins Zentrum dessen, womit sie sich in ihrem wissenschaftlichen Leben leidenschaftlich beschäftigt hat: mit der Arbeit an Handschriften und kritischen Editionen patristischer Texte.
Dass es sich um ein mehrheitlich italienischsprachiges Werk handelt, ist kein Zufall. Schließlich ist Giorgio Pasqualis Storia della tradizione e critica del testo aus dem Jahre 1934, die sich kritisch mit der Stemmatologie des Paul Maas (1880–1964) auseinandergesetzt hat, für die Methodik der kritischen Editionsarbeit in der italienischen Philologie noch immer maßgeblich dafür verantwortlich, dass man sich hier besonders auf die Frage nach der Textüberlieferung konzentriert, wie der Beitrag von Luciano Canfora (Il problema delle varianti d’autore come architrave della Storia della tradizione di Giorgio Pasquali, 11–32) verdeutlicht. Sehr anschaulich beleuchtet Manlio Simonetti (L’edizione critica di un testo patristico. Caratteri e problemi, 33–49) anschließend vier Problemfelder, mit denen jeder, der mit Editionsarbeit befasst ist, sich auseinandersetzen muss: Bei einigen Werken herrscht über die Art der Abfassung und der Verbreitung Unklarheit, manchmal ist nicht erkennbar, ob es so etwas wie den einen Archetyp überhaupt gegeben hat, häufig ist die Sprachform der Überlieferung nicht einfach und zudem ist der Grad der Verwendung biblischer Zitate und Anspielungen nur schwer zu ermessen.
Gleichsam um das von Simonetti Gesagte zu bestätigen und konkret werden zu lassen, beleuchtet Guglielmo Cavallo (I fondamenti materiale della trasmissione dei testi patristici nella tarda antichità: libri, scritture, contesti, 51–73) die konkreten Entstehungsumstände spätantiker Texte, vor allem am Beispiel Augus­tins. Carla Burini de Lorenzis intensive Beschäftigung mit De duobus montibus und De aleatoribus (Scritti pseudociprianei: la restituzione di una lexis popolare e degradata, 75–96) zeigt sehr deutlich, wie schwierig allein schon die sprachliche Beurteilung solcher Texte sein kann. Emanuela Colombi (La trasmissione dei testi poetici: alcune reflessioni, 97–139) ist durch ihre Vorbereitungen für eine neue Edition der evangeliorum libri des Juvencus zu der Überzeugung gelangt, dass gerade bei poetischen Texten jede Variante geprüft werden müsse, da die große Fülle kontaminierter Texte es vielfach unmöglich mache, ein Stemma zu entwerfen. In Anlehnung an Joseph Bédier und den 2002 verstorbenen D’Arco Silvio Avalle, der im Jahre 1972 die Principi di critica testuale verfasste, entwickelt sie stattdessen ein Verfahren zur qualitativen Analyse von Varianten.
Dass antike Autoren wie Hieronymus, Augustin oder auch Beda bereits Überlegungen zu Textkritik und -überlieferung anstellen mussten, ordnet den modernen Editor mit dem schönen Aufsatz von Leopoldo Gamberale (Gerolamo e la trasmissione dei testi. Osservazioni sparse – ma non troppo, 141–178) in eine lange Tradition ein. Wie konstruktiv mit einem ungeheuer kompliziert überlieferten Textbestand umgegangen werden kann, macht Franco Gori (L’edizione critica delle Enarrationes in Psalmos die Agostino e il metodo stemmatico, 179–200) deutlich. In seiner für das CSEL erarbeiteten Edition von psalm. enarr. 101–109 (CSEL 95/1, erschienen 2011) sieht er die kontaminierte Überlieferung nicht als Argument gegen ein Stemma, sondern bemüht sich, die horizontale Überlieferung mit der vertikalen (Kontamination) zu verbinden. Weil es nicht zwangsläufig einen Archetyp geben muss, spricht er sich für eine zweispitzige Überlieferung aus und versteht die Kontamination als Bestandteil der recensio, so dass neben dem stemma codicum auch ein stemma lectionum (198) steht. Eine zweispitzige Überlieferung zieht auch Gert Partoens (The Sources and Manuscript Transmission of the Venerable Bede’s Commentary on the Corpus Paulinum. Starting points for further research, 201–251) in der Vorbereitung einer kritischen Edition der Collectio ex opusculis sancti Augustini in epistulas Pauli apostoli, die vor allem in karolingischer Zeit, insbesondere von Florus von Lyon intensiv genutzt wurde, in Betracht. Möglicherweise lässt sich mit der indirekten Überlieferung bei Hrabanus Maurus sogar noch ein dritter Überlieferungsstrang plausibel machen.
Vollkommen andere Schwierigkeiten ergeben sich nach Francesco Scorza Barcellona (La trasmissione del testo agiografico: problemi ed esperienze di ricerca, 253–277), wenn es um hagiographische Literatur geht, die – wie die Beispiele zweier Sammlungen erweisen – in ganz verschiedenen Rezensionen überliefert sind. Doch selbst, wenn die Überlieferung überschaubar ist und ein Archetyp ausgemacht werden kann, »für den täglichen Gebrauch im Kloster in (semi)kursiver Minuskel und möglichst platzsparend auf hölzerne Wachstafeln (tabulae) konzipiert […] unter Verwendung sowohl allgemein üblicher als auch besonderer monastischer Abkürzungen liturgischer oder organisatorischer Begriffe« (288), bleibt eine Vielzahl von Problemen auf dem Weg zu einer kritischen Edition zu lösen, wie Klaus Zelzer (Die Edition der Regula Magistri im CSEL und ihre Probleme, 279–296) zu berichten weiß. Beschlossen wird der Band von Paolo Chiesa (Filologia patristica e filologia mediolatina, una collaborazione inevitabile. Il caso della Regula pastoralis di Gregorio Magno, 315–330), der an diesem ganz singulären Beispiel deutlich macht, dass auch eine sehr frühe, fast schon gleichzeitig einsetzende Handschriftenüberlieferung einen Editor vor nicht weniger Herausforderungen stellt.
Dieser wichtige Band sei jedem zur intensiven Lektüre empfohlen, der eine Textedition erarbeitet oder sich für dieses überaus spannende Gebiet interessiert.