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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

420–421

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Baab, Florian

Titel/Untertitel:

Was ist Humanismus? Geschichte des Begriffes, Gegenkonzepte, säkulare Humanismen heute.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2013. 304 S. = ratio fidei, 51. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-7917-2553-6.

Rezensent:

Volker Reinhardt

Ein Buch dieses Titels und dieses Anspruchs, das ohne jeden näheren Verweis auf Petrarca, Valla, Erasmus auskommt: Wie ist das möglich? Wie kann man die »Geschichte des Begriffes« erklären wollen, ohne auf dessen Ursprung einzugehen? Gewiss, der Begriff »Humanismus« ist ein Neologismus des 18. Jh.s, doch in Analogie zu den studia humanitatis, die als solche in der ersten Hälfte des 15. Jh.s normiert sind, und zu »umanista« gebildet, einem Wort, das ebenfalls schon in der Renaissance gebräuchlich ist. Aus dem Fehlen des Terminus technicus in der Zeit selbst zu schließen, dass die damit ex post bezeichnete historische Erscheinung, nämlich der Humanismus vom 14. bis 16. Jh., für dessen Prägung und semantische Ausrichtung ab etwa 1800 bedeutungslos sei, ist ein Irrtum. Alle Autoren, die vom 19. Jh. bis in die Gegenwart über Humanismus geschrieben haben, positionieren sich selbstverständlich in dieser Tradition. Und diese bedeutet mehr als eine »für die Neuzeit charakteristische anthropozentrische Weltsicht« (28) – was immer das auch bedeuten soll (und für einen Petrarca oder Erasmus bedeutet es nicht sehr viel). Ein verbindendes Merkmal besteht dagegen darin, dass die europäischen Humanisten bei allem Selbstverständnis als gute Christen als Verkünder einer in der Welt praktizierbaren Moralphilosophie, also als Lebenslehrer für alle Stände und Umstände, auftraten und durch diesen Anspruch in heftige Konkurrenz zu den Theologen aller Couleur gerieten – eine Frontstellung, die sich mit mancherlei Verschiebungen und Variablen zwischen selbst ernannten »Humanisten« einerseits und kirchlichen Autoritäten bzw. Glaubenslehren andererseits bis in die Gegenwart fortsetzt. Ein weiteres Bindeglied zwischen den »Hu­manismen« ist ein an den philosophischen Errungenschaften und Erziehungsprogrammen der Antike ausgerichtetes Bildungskonzept, das nicht auf memoriertes Buchstaben- und Grammatikwissen, sondern auf das Streben nach Selbstvervollkommnung und Ganzheitlichkeit abzielt. In diesem Sinne verwendete Friedrich Immanuel Niethammer um 1800 denn auch den Begriff Humanismus: als Anknüpfung an eine Pädagogik der »Humanität«, wie sie von den wichtigsten italienischen Pädagogen des 15. Jh.s und Erasmus vorgedacht wurde.
Von dieser Zeit und ihrer Erforschung aber – dieses harte Fazit bleibt dem Rezensenten nicht erspart – weiß und versteht der Vf. wenig. So ist die Aussage, dass »dank« Georg Voigt, einem heute (mit Ausnahme seiner Biographie Pius’ II.) weitgehend vergessenen Historiker des 19. Jh.s, »der Humanismusbegriff heute (meist un­hinterfragt) auf das gesamte ›Denksystem‹ der italienischen Re­naissance übertragen wird« (36), schlichtweg falsch, da sie anderthalb Jahrhunderte internationaler Renaissanceforschung und die von ihr erarbeiteten Differenzierungen kultureller Strömungen nicht nur nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch noch leugnet.
Fairerweise sollte sich eine Rezension auf die Themenstellung fokussieren, die der Vf. gewählt hat, und nicht auf die, die er nach Ansicht des Rezensenten übersehen oder versäumt hat. Allerdings geht diese Formel hier nicht auf – allzu sehr verengt die fehlende historische Tiefendimension von »Humanismus« auch das Verständnis späterer Autoren wie Hegel, Marx, Sartre, Foucault. Deren Texte und Ideen werden jeweils auf wenigen Seiten mit Standard-Zitaten und Verweisen auf Standard-Literatur vorgestellt, im Allgemeinen korrekt, doch letztlich auflistend und oberflächlich, bei vier Seiten zu Marx, Heidegger, Nietzsche und deren viereinhalb zu Schopenhauer auch kaum anders möglich. Die Aufzählung von Humanismus-Konzepten und Gegenentwürfen folgt zudem nicht einem wertfreien Erkenntnisinteresse, sondern klar konturierten weltanschaulichen Vorgaben. Sie schlagen sich in der Abgrenzung eines »harten Humanismus«, der angeblich auf das Kollektiv ausgerichtet ist, von einer eher auf das Individuum zentrierten »weichen« Spielart. Das sind Unterscheidungen, die auf der Basis der summarischen Einzelinterpretationen kaum nachvollziehbar sind – »Hellenismus, Kommunismus, Idealismus, Sozialismus« (123) werden hier über einen seltsamen Kamm geschoren. Zudem – dieser Eindruck drängt sich auf – steht das quod est demonstrandum des Ganzen ohnehin schon fest: in Anlehnung an Lyotard das »Ende der großen Erzählungen« (122), das heißt der der Kollektiv-Humanis­ten. Dieselbe Kritik gilt für den Ansatz des Vf.s insgesamt, der den Sinn seiner Untersuchung nicht zuletzt darin sieht, Stärken und Schwächen der verschiedenen philosophischen Konzepte herauszuarbeiten. Dabei tritt die Kritik vor allem an der atheistischen Spielart von »Humanismus« ebenso deutlich hervor wie die Sympathie für den christlichen Humanismus eines Maritain. Mit einem Wissenschafts-Begriff sine ira et studio, wie er für historische Studien sensu stricto verbindlich sein sollte, ist diese Methode nicht vereinbar.