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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

400–401

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kamp, Hermann, u. Martin Kroker[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schwertmission. Ge­walt und Christianisierung im Mittelalter.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. 212 S. m. 8 Ktn. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-77297-8.

Rezensent:

Lutz E. von Padberg

Vom 26. Juli bis zum 3. November 2013 fand in Paderborn die vielbeachtete Ausstellung CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter statt, wie üblich vorbereitet durch eine Reihe von Vorträgen und Tagungen. Dazu gehörte das wissenschaftliche Symposion zur Frage nach dem Einsatz von Gewalt in der mittelalterlichen Mission und Christianisierung vom Februar 2013 in Paderborn. Erfreulich rasch danach konnten die von Historikern und Archäologen gehaltenen acht Vorträge, erweitert um teilweise recht voluminöse An­merkungen, im Druck erscheinen. Entstanden ist ein übersicht-licher Band, der quellennah und auf der Höhe der Forschung einen präzisen Überblick präsentiert. Den mittelalterlichen Verhältnissen entsprechend befassen sich die Autoren neben dem unvermeidlichen Thema der karolingischen Sachsenmission hauptsächlich mit der Situation in Nordosteuropa vom 11. bis 14. Jh. In seiner Einleitung (die zugleich eine Art Zusammenfassung der Beiträge liefert) ordnet der Mitherausgeber Hermann Kamp die Aufsätze den Themenkomplexen »Mission als Form der Herrschaftsstabilisierung«, »Rechtfertigung der Gewalt zu Missionszwecken und Blutvergießen im Namen Gottes?« zu. Damit wird der Band zu einer wichtigen Ergänzung der Ausstellung und ihres Essay-Bandes.
Chronologisch aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Matthias Becher: »Der Prediger mit eiserner Zunge. Die Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen durch Karl den Großen« (23–52). Kundig skizziert er den Verlauf der Auseinandersetzung auch im Blick auf die vieldiskutierte, aber wohl nicht abschließend beantwortbare Frage, ob Karl von Anfang an Missionsabsichten hegte. Zu Recht stellt Becher heraus, dass der Krieg gegen die Sachsen »zur ersten gewaltsamen Missionierung eines ganzen Volkes in der Geschichte der Christenheit« eskalierte (52). Dass Karl vor den ersten blutigen Reaktionen der Sachsen ihnen »vielleicht sogar die Beibehaltung der eigenen Religion erlaubt hätte« (ebd.), ist eher unwahrscheinlich. Matthias Hardt arbeitet in »Kirchenorganisation oder Aufstand? Die Christianisierung von Sorben, Elb- und Ostseeslawen in Ottonen- und Salierzeit« heraus, dass diese zunächst nur auf Entpaganisierung ausgerichtet war und man sich erst nach dem Aufstand von 983 berechtigt sah, die Apostaten mit Gewalt in die Kirche zurücktreiben zu dürfen (53–66). Der sonst nur schwer erreichbare, polnische Literatur reich verarbeitende Beitrag »Überzeugung und Zwang bei der Christianisierung Polens unter den ersten Piasten« von Felix Biermann kommt zu dem Ergebnis: »Grundsätzlich war der neue Glaube, der als Folge und im Rahmen einer gewaltsamen Herrschaftsbildung und -sicherung in Polen mehr verordnet als durch Überzeugungsarbeit übertragen worden war, stabiler als die Herrschaft selbst und bildete im ganzen Mittelalter die Grundlage der polnischen Staatlichkeit« (67–91, hier 90f.). David Crispins Artikel »Herrschaft Christi von Meer zu Meer. Eroberung, Gewalt und Mission im Rahmen der frühen Kreuzzüge« ist hinsichtlich der kirchlichen Einschätzung von Gewalt zwar erhellend, fällt aber eigentlich aus dem Rahmen, weil Mission bei den Kreuzzügen praktisch keine Rolle spielte (93–113). Hermann Kamp beschäftigt sich mit dem Wendenkreuzzug von 1147, der in dem Verständnis von Gewalt in der Mission einen Wendepunkt markiert, weil nun Kreuzzugsgedanke und Missionsgedanke verknüpft werden konnten »und so künftigen Eroberern und den mit ihnen ins Land kommenden Missionaren eine bessere Legitimation für ihr Handeln lieferte«, was dann eben auch den Einsatz von Gewalt rechtfertigte (115–138, hier 138). Diese Entwicklung belegt auch Kurt Villads Jensen in »Bring dem Herrn ein blutiges Opfer. Gewalt und Mission in der dänischen Ostsee-Expansion des 12. und 13. Jahrhunderts« (139–157). Vor allem anhand der Werke von Saxo Grammaticus und Heinrich von Lettland macht er deutlich, dass die Gewaltexzesse gegen Heiden theologisch begründet wurden »als ein dem Herrn wohlgefälliges und blutiges Opfer«, was Jensen überpointiert auch als »mittelalterliche Vernichtungstheologie« bezeichnet (157). Dem Deutschen Orden wenden sich die letzten beiden Aufsätze zu von Jürgen Sarnowsky (»Der Deutsche Orden, die Kumanen und die Prussen«, 159–179) und Katrin Bourée (»Gewalt gegen Bekehrte? Der Konflikt des Deutschen Ordens mit Polen-Litauen nach 1386«, 181–204). Ein Verzeichnis ausgewählter Literatur schließt den ertragreichen Band ab (207–212).
Da es bei der Christianisierung im Kern um eine vollkommene religiöse Neuorientierung und damit auch um den Bruch mit der bisherigen Tradition und die Einübung neuer Kultregeln geht, konnten Konflikte nicht ausbleiben. Die Frage nach dem Einsatz und der Bewertung von Gewalt gehört deshalb zur Geschichte der Christianisierung unbedingt dazu. Wichtig ist es dabei, die Ge­wichtungen nicht aus dem Auge zu verlieren und genau zu differenzieren nach unterschiedlichen regionalen und chronologischen Phasen der Mission. In diesem Zusammenhang spielen auch die Friedensvorstellungen eine zentrale Rolle, wie das soeben erschienene Buch Friedensethik im frühen Mittelalter. Theologie zwischen Kritik und Legitimation von Gewalt, hrsg. v. Gerhard Bees­termöller (Studien zur Friedensethik 46), Münster 2014 illustriert. Jedenfalls trägt der vorliegende Sammelband zur Erhellung der mittelalterlichen Christianisierungsgeschichte bei.