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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

390–392

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kollmann, Bernd

Titel/Untertitel:

Neues Testament kompakt.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2014. 356 S. m. 5 Ktn. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-17-021235-0.

Rezensent:

Joel R. White

»Angenommen, man besitzt nur ein einziges Buch zum Neuen Testament – was sollte darin nach Möglichkeit enthalten sein?« Mit dieser einleitenden Frage stellt Bernd Kollmann, Professor für Neues Testament an der Universität Siegen, ein Lehrbuch vor, das bemüht ist, »in alle studienrelevanten Bereiche« des Neuen Testaments einzuführen (9). Das Resultat dieses Bemühens ist eine ungewöhnliche Mischung aus Bibelkunde, Zeitgeschichte, Einleitung, Hermeneutik und einigem mehr, die in Bezug auf ihre Breite – dem vielversprechenden Titel entsprechend – beeindruckt und neugierig macht.
Das Werk ist in 17 Kapitel eingeteilt. In Kapitel I führt K. den Leser in die Text- bzw. Kanongeschichte ein und stellt die gängigen Quellen und Werkzeuge des angehenden Neutestamentlers vor. Kapitel II gibt einen Einblick in die Methoden der Textanalyse. Hier werden leider wichtige neuere Ergänzungen zur klassischen Me­thode – ich denke insbesondere an Gattungsanalyse, Textpragmatik und Social Science Criticism – mit keinem Wort erwähnt. Diesbezüglich besser ist es um K.s Überblick über ausgewählte hermeneutische Zugänge (Kapitel III) bestellt. Erfreulich dabei ist K.s Bemühen um eine faire und akkurate Einschätzung verschiedener Ansätze. Nur in Bezug auf die Evangelikalen gelingt ihm dies nicht. Er hält die drei »Chicago-Erklärungen« zur Irrtumslosigkeit (1978), Hermeneutik (1982) und Anwendung (1986) für normativ in evangelikalen Kreisen. Aber nur die erste Erklärung hat die Bewegung nachhaltig beeinflusst; die letzteren beiden wurden von ihr kaum wahrgenommen und finden bis heute wenig Zustimmung. Auch dass evangelikale Theologen den kritischen Methodenkanon ab­lehnen, kann angesichts ihrer starken Präsenz beispielsweise bei der SNTS (ich zähle mindestens 45 Mitglieder) weder international noch angesichts ihrer Methodenbücher wie Das Studium des Neuen Testaments (Brockhaus, Brunnen, 22006) für den deutschen Sprachraum ernsthaft behauptet werden. An dieser Stelle hat K. sich nicht gut genug informiert.
K.s Ausführungen zur neutestamentlichen Zeitgeschichte (IV) bzw. zum antiken Judentum (V) stellen hingegen noch einmal (nach seiner 2006 erschienenen Neutestamentlichen Zeitgeschichte) unter Beweis, dass er es versteht, diese Sachverhalte kurz, klar und ertragreich zu präsentieren. Anerkennung verdienen auch seine verhältnismäßig langen Ausführungen über Jesus von Nazaret (VI). Durch K.s bewusste Distanzierung vom Differenzkriterium der klassischen Jesus-Forschung gewinnt das Jüdische an Jesus an Profil. Außerdem ist K. bereit, die Wunder Jesu sowie seine Auferstehung nicht nur anhand naturalistischer Präsuppositionen früherer Forschergenerationen zu erschließen, sondern sich auch für postmoderne und nichtwestliche Lesestrategien zu öffnen, ohne sich diesen ganz zu verschreiben. Das Proprium der Lehre Jesu hebt K. anziehend hervor. Er bleibt aber einem mehr oder weniger liberalen Jesusbild verpflichtet, an dem kein aufgeklärter, gebildeter (und mit sich selbst zufriedener) Westeuropäer Anstoß nehmen würde. Jesu exklusive Heilslehre und seine damit verbundenen Gerichtsdrohungen bleiben z. B. unerwähnt. In Kapitel VII bietet K. interessante Skizzen von Schlüsselfiguren im Umfeld Jesu, oft mit hilfreichen Notizen zu relevanten archäologischen (Jakobus-Ossuar) oder kulturgeschichtlichen (Dan Browns »Sakrileg«) Querverbindungen von allgemeinem Interesse.
Es folgen einige Kapitel (VIII–XIII), die das beinhalten, was man mehr oder weniger von einer brauchbaren Bibelkunde des Neuen Testaments erwarten würde, darunter auch eine erste Einführung in Einleitungsfragen. Dabei spiegelt K. in den allermeisten Fällen die Mehrheitsmeinung der kritischen Forschung wider, ohne jedoch abweichende Meinungen auszublenden. Dennoch werden seine optimistische Haltung, was die Möglichkeit des Existenzbeweises, der Abgrenzung und der Redaktionsgeschichte der Logienquelle Q anbelangt, sowie seine Entscheidung, die Anfänge der christlichen Gnosis in die »Geschichte des Urchristentums« aufzunehmen, nicht überall auf Zustimmung stoßen. In Kapitel XIV wirft K. einen differenzierten Blick auf die außerkanonische frühchristliche Literatur, wobei er sowohl ihre (in vielen Fällen) erkennbare Nähe zu den kanonischen Schriften als auch ihre (in anderen Fällen) nicht zu leugnende konzeptuelle und philosophische Eigentümlichkeit würdigt.
Zwei Kapitel runden das Werk ab. Das erste enthält den Versuch, synchron einige »thematische Querschnitte« durch das Neue Tes­tament (XV) zu beschreiben, wobei mir deren innere Logik nicht immer klar war. Wieso werden z. B. an dieser Stelle die Bergpredigt oder – zum zweiten Mal – die Gleichnisse behandelt? Schließlich versucht K., das ethische Profil des Neuen Testaments hervorzuheben, indem er bestimmte ethische Themen von gesellschaftlicher Relevanz (XVI), etwa Ehe bzw. Ehescheidung und Homosexualität, bespricht. Bei allem Verständnis dafür, dass K. zum Schluss die anhaltende Relevanz des Neuen Testaments unterstreichen will, ist ein Buch mit diesem Profil vielleicht doch nicht der geeignete Ort, um solche Diskussionen zu führen. Die vorgebrachten Argumente können, wenn sie so »kompakt« dargestellt werden, tendenziös und einseitig wirken. Im Anhang (XVII) werden dem Leser eine Auswahl an weiterführender Literatur, ein Glossar, eine Zeittafel und fünf Landkarten geboten.
Zum Schluss ist danach zu fragen, ob K.s Projekt als gelungen betrachtet werden kann bzw. ob es auf einen echten Bedarf stößt. Dass K. erstaunlich viel in diesem Buch unterbringt und dennoch ein hohes Diskussionsniveau erzielt, verdient Bewunderung. Es ist aber vielleicht zu sehr das eine Buch über das Neue Testament, das K. sich wünscht. Es setzt einfach zu viel Vor- und Fachwissen voraus, als dass es sich leicht von Laien oder theologischen Neophyten verwenden ließe. Der beinahe völlige Verzicht auf Tabellen, Graphiken und anziehendes Bildmaterial (die Karten im Anhang bilden die Ausnahme) tut noch das Seine dazu und fördert den ersten Eindruck – ganz zu Unrecht, wie sich bei näherer Betrachtung herausgestellt hat –, es handele sich wieder um ein trockenes Lehrbuch, das nur für ausgebildete Theologen von Interesse ist. Das ist schade, denn eigentlich hätte das Buch, wenn diese Formfehler überwunden werden könnten, das Potential, eine weitere Leserschaft zu erreichen.