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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

368–371

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cook, Johan, and Arie van der Kooij

Titel/Untertitel:

Law, Prophets, and Wisdom. On the Provenance of Translators and their Books in the Septuagint Version.

Verlag:

Leuven u. a.: Peeters 2012. XIV, 249 S. = Contributions to Biblical Exegesis & Theology, 68. Kart. EUR 46,00. ISBN 978-90-429-2703-2.

Rezensent:

Eberhard Bons

Dieses Buch ist ein Gemeinschaftswerk zweier Experten auf dem Gebiet der Septuaginta: Arie van der Kooij (Leiden) und Johan Cook (Stellenbosch). Beide widmen sich einer Frage, die die LXX-Exegese seit einigen Jahrzehnten beschäftigt, der eine anhand von Texten des Pentateuchs und des Buches Jesaja (van der Kooij), der andere anhand von Texten aus den Proverbien und dem Buch Ijob (Cook): Welche Aussagen kann man über den Entstehungsort und die Entstehungssituation der LXX-Version dieser Texte treffen? Sind die griechischen Übersetzungen möglicherweise an einem anderen Ort als in Alexandrien entstanden? Stammten die Übersetzer aus dem jüdischen Milieu Palästinas oder aus demjenigen Ägyptens? Oder gibt es Hinweise für die Annahme, dass sie mit beiden Milieus aufgrund von längeren Aufenthalten vertraut waren?
Vorweg sei gesagt, dass die Beiträge des Buches einige neue Perspektiven eröffnen, die nicht nur für die Forschung an der LXX im engeren Sinne bedeutsam sind, sondern auch für die Geschichte der jüdischen Gemeinden in hellenistischer Zeit. Dabei sind die Autoren sich dessen bewusst, dass manche ihrer Vorschläge und Schlussfolgerungen hypothetisch bleiben (226). In dieser Rezension können nur die wichtigsten Ergebnisse besprochen werden. Für die exegetischen Details muss auf die Artikel selbst verwiesen werden.
Cook und van der Kooij beziehen sich vor allem auf die LXX-Texte, die nicht mit der sogenannten Kaige-Rezension in Verbindung gebracht werden, also mit Revisionen des LXX-Textes, die in das palästinische Milieu um die Zeitenwende führen. Dass auch andere Texte der LXX außerhalb von Alexandrien entstanden sein können, und zwar in Palästina, ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder erwogen worden. Dabei stellt sich für jedes Buch die Frage nach den Kriterien, die es erlauben, es in einen bestimmten geographischen Kontext zu lokalisieren. Grundsätzlich kommen textinterne Merkmale in Betracht, also besonders die sprachlichen und inhaltlichen Eigenschaften des betreffenden Werkes, aber auch textexterne Quellen, die Aufschluss über die Entstehungssituation geben können. Im besten Fall lassen sich aus beiden Kriterien konvergierende Schlussfolgerungen ziehen. Diese Problematik wird zusammen mit einem kurzen Überblick über die Forschungssituation in der »Introduction« behandelt, die aus der Feder beider Autoren stammt (1–13).
Die beiden folgenden Abschnitte sind von van der Kooij verfasst.
1. Der erste gilt dem Aristeasbrief (»Septuagint of the Pentateuch«, 15–62). Bekanntlich besteht kein Konsens über die historische Zuverlässigkeit seiner Aussagen sowie über seine genauen Intentionen. Van der Kooij setzt sich ausführlich mit der Studie Sylvie Honigmanns zum Aristeasbrief auseinander (The Septuagint and Homeric Scholarship in Alexandria. A study in the narrative of the Letter of Aristeas, London 2003). Kurz gesagt, stellt die Autorin folgende Hypothese auf: Der Aristeasbrief verstehe die griechische Übersetzung des Pentateuchs als ein gewisses Prestigeobjekt der jüdischen Gemeinde Alexandriens. Um sich vor ihrer Umwelt als kultiviert darstellen zu können, habe sie über einen griechischen Text verfügen müssen, der denselben Stellenwert genoss wie die homerischen Epen für die hellenistische Welt. Dazu habe es einer textkritischen Bearbeitung der aus Jerusalem stammenden hebräischen Pentateuch-Rollen bedurft. Van der Kooij zufolge ist diese Deutung schon aus philologischen Gründen nicht haltbar (24–28). Der Text des Aristeasbriefs besage vielmehr, dass möglicherweise unzuverlässige und unvollständige griechische Übersetzungen des Pentateuchs im Umlauf waren, die Bibliothek Alexandriens jedoch über eine korrekte Übersetzung verfügen müsse; und diese sei von Jerusalemer Fachleuten herzustellen. Gegen die Hypothese vom » homerischen Paradigma« versucht van der Kooij eine andere zu begründen, die er als »philosophisches Paradigma« bezeichnet: Gerade aufgrund der philosophischen Qualität, die Demetrius dem jüdischen Gesetz beigemessen habe, sei es ins Griechische übersetzt worden, und die Übersetzer selbst seien gerade aufgrund ihrer philosophischen Kenntnisse ausgewählt worden. Letztlich habe das Unternehmen unter der Autorität des Jerusalemer Hohenpriesters gestanden (30–41). Dass aber die Jerusalemer Priesterschaft eine solche Autorität besaß, wird van der Kooij zufolge von einigen Details in der Pentateuch-LXX bestätigt, z. B. von der Übersetzung von Ex 19,6, wo Israel nicht als »Königreich von Priestern« bezeichnet werde, sondern als βασίλειον ἱεράτευμα »königliche Priesterschaft«, d. h. mit einer Leitungsfunktion ausgestattete Priesterschaft. Wenn auch der Grieche Demetrius den Anstoß zur Übersetzung gegeben habe, so sei doch einzig und allein die Jerusalemer Priesterschaft als Auslegerin des Gesetzes befugt gewesen, dem Projekt die notwendige Autorität zu verleihen (57). Und zuletzt müsse man annehmen, dass die Übersetzer selbst aus Kreisen der Jerusalemer intellektuellen Elite stammten (59) – was nicht ausschließt, dass sie durch einen längeren Aufenthalt mit der Welt Alexandriens vertraut waren (62).
2. Auf eigenen Vorstudien zur Jesaja-LXX aufbauend, versucht van der Kooij in seinem Beitrag »The Septuagint of Isaiah« (63–85) die Hypothese zu begründen, dass die griechische Übersetzung des Jesaja-Buches mit der Errichtung des Tempels in Leontopolis durch Onias in Verbindung zu bringen sei. Dazu analysiert er drei kurze Passagen, die von der Präsenz jüdischer Gruppen in Ägypten handeln: Jes 10,24; 11,16; 19,18–19.24–25. Jes 10,24LXX deutet er in dem Sinne, dass sie nur einen kürzeren Aufenthalt der Priesterschaft Jerusalems (»mein Volk, das auf dem Zion wohnt«) in Ägypten voraussetze. Von derselben Gruppe sei auch in Jes 11,16LXX die Rede. In Jes 19,18LXX wird eine Stadt »Asedek« (= haṣṣædæq, [Stadt] »der Gerechtigkeit«) erwähnt, in der ein Altar für YHWH errichtet werde. Dabei werde durch die Bezeichnung »Asedek« eine Beziehung zu Jerusalem hergestellt, das in Jes 1,26 ebenfalls als »Stadt der Gerechtigkeit« bezeichnet wird. In Jes 19,25LXX schließlich wird – abweichend von der Hebräischen Bibel – von »meinem Volk in Ägypten« gesprochen, was sich wohl wiederum auf eine bestimmte Gruppe Israels in Ägypten beziehe. Interessanterweise begründet der Hohepriester Onias seinen Wunsch auf Errichtung des Tempels mit dem Hinweis auf Jes 19,25LXX (vgl. Josephus, Ant. 13,68). Eine solche Maßnahme widerspricht zwar der Kultzentralisation in Jerusalem, auf die noch Jes 36,7 anspielt. Aber dieser Hinweis fehlt in der Jesaja-LXX völlig. Somit ergibt sich die Folgerung, dass die Jesaja-LXX die In­teressen der Gruppe widerspiegelt, die an der Errichtung des Tempels in Leontopolis interessiert war, ja sie ist vielleicht in genau diesen Kreisen entstanden (vgl. 85).
Die beiden folgenden langen Abschnitte aus der Feder Johan Cooks widmen sich der LXX der Proverbien (87–174) sowie der LXX des Ijob-Buches (175–221). Da in beiden Fällen die LXX sehr vom Masoretentext abweicht, ist es kaum möglich, die der LXX zu-grunde liegenden hebräischen Vorlagen zu rekonstruieren. In den meis­ten Fällen werden die Abweichungen auf das Konto der Übersetzer zurückgehen, die über eine sehr große schriftstellerische Kompetenz verfügten (108.178).
1. Zu den wichtigsten Grundzügen der LXX-Proverbien zählt, dass sie vor der nicht-jüdischen hellenistischen Weisheit warnen (vgl. Spr 2,16–18LXX, wo von der fremden Frau nicht mehr die Rede ist), gleichzeitig aber die Wichtigkeit des Gesetzes betonen (Spr 9,10; 13,15LXX). Cook zufolge haben diese Tendenzen ihren Hintergrund in einem hellenistischen Umfeld, das das jüdische Gesetz abwertete (124.132). Grundsätzlich kommen sowohl Alexandrien als auch Jerusalem als Entstehungsort der LXX-Proverbien in Frage. Cook spricht sich dabei für Jerusalem aus, ohne jedoch diese Option ausführlich zu begründen (133). Um die LXX-Proverbien in einen größeren Kontext zu stellen, behandelt er in zwei kürzen Abschnitten das Sirachbuch sowie die Fragmente des jüdischen Philosophen Aristobul. Das Sirachbuch nehme – anders als etwa von Martin Hengel behauptet – eine viel weniger antihellenistische Position ein als die LXX-Proverbien; weiterhin sei es weniger an den Details des jüdischen Gesetzes interessiert, vielmehr an seinen Wirkungen, insofern es zur Weisheit erziehe (141–144). Und anders als die LXX-Proverbien lassen die Texte Aristobuls eine viel größere Nähe zur griechischen Philosophie erkennen. Aristobul komme folglich auch nicht als Übersetzer des Proverbienbuches in Frage, wie in der Vergangenheit gelegentlich vermutet wurde (161). Der Übersetzer ist eher in einem gut gebildeten und mit hellenistischem Denken vertrauten jüdischen Milieu zu suchen, das aber antihellenistisch eingestellt war (168). Cook datiert die Übersetzung in die Zeit nach der makkabäischen Krise und vermutet, dass sie in Jerusalem entstanden sei (172).
2. Die Analysen zum griechischen Ijob-Buch fallen wesentlich knapper aus als die zu den LXX-Proverbien. Anhand von stellenweise sehr kurzen Analysen der Kapitel 2, 14, 19 und 42 sucht Cook die inhaltlichen Tendenzen zu identifizieren, die zu einer genaueren Einordnung der Übersetzung in ihr historisch-theologisches Um-feld beitragen können. Da die Ijob-LXX die Vorstellung einer Auferstehung sowie eines Lebens nach dem Tode ablehne, komme als Übersetzer nur ein Sadduzäer in Frage (221). Für diese überraschende Schlussfolgerung würde man sich jedoch eine wesentlich breitere argumentative Basis wünschen.
Zusammenfassend gesagt bereichert der Band von Cook und van der Kooij die gegenwärtige LXX-Forschung, denn er greift Fragen auf, die in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund geraten sind: Was wissen wir vom »Sitz im Leben« der einzelnen übersetzten Bücher? In welches gesellschaftliche Umfeld können wir die Übersetzer einordnen? Dass manche Antworten mit Hypothesen behaftet sind, ist kein grundsätzlicher Nachteil des Buches. Gelegentlich würde man sich eine größere Detailschärfe wünschen, vor allem bei Kategorien wie »antihellenistisch«. Die Verbindung von textinternen und textexternen Kriterien verdient aber in jedem Fall Beachtung, ebenso die Berücksichtigung der wenigen zeitgenössischen Texte, die Aufschluss über die hellenistischen jüdischen Gemeinden geben, etwa Aristobul.