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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

307–309

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Peter, Becker, Klaus M., u. Jürgen Eberle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Taufberufung und Weltverantwortung. 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. 264 S. m. 3 Abb. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-77724-9.

Rezensent:

Theodor Dieter

Der Band enthält elf Vorträge, die bei Internationalen Priestertreffen in Köln und Augsburg 2012 gehalten und durch fünf weitere Beiträge ergänzt wurden. Sie kreisen aus verschiedenen Perspektiven und theologischen Disziplinen um das Thema der Taufberufung der Christen und der daraus folgenden Weltverantwortung. Ein im Zentrum stehendes Thema, das in den meisten Beiträgen aufgenommen wird, erscheint allerdings im Buchtitel nicht: die Heiligkeit. Bekanntlich spricht die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils von einer »allgemeine[n] Berufung zur Heiligkeit in der Kirche«. Darum betont Kardinal Koch in einem ansprechenden Vortrag (»Die Mission des Taufpriestertums«, 19–35), »dass die christliche Berufung zur Heiligkeit in keiner Weise elitär, sondern ganz und gar egalitär ist« (23). »Christliche Heiligkeit besteht, zumindest im Normalfall, nicht in irgendwelchen unnachahmbaren Heroismen, sondern im gewöhnlichen Leben von Gott her, mit Gott und auf Gott hin, um dieses Leben im Geist des Glaubens zu durchformen.« (Ebd.) Dass Heiligkeit in der Taufe gründet und darum die Berufung zu ihr allgemein ist, durchzieht als Motiv alle Beiträge ebenso wie die Auffassung, dass diese Hei ligkeit nicht im Rückzug von der Welt, sondern gerade in den jeweiligen Lebensumständen der Christen zu suchen und zu leben ist. Darum die Zuordnung von Taufberufung und Weltverantwortung. Die Taufe wird als »lebenslange Berufungsgeschichte« (Einleitung, 10) verstanden; sie lässt vom Taufpriestertum oder dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften sprechen, »das vom Zweiten Vatikanischen Konzil wieder entdeckt und revitalisiert worden ist« (Koch, 29). Der »traditionelle[n] Grundunterscheidung zwischen dem Heilsdienst des Klerus und dem Weltdienst der Laien« wird widersprochen: »Der weltliche Dienst der Laien ist vielmehr gerade als Welt-Dienst zugleich Heils-Dienst und Heiligungs-Dienst.« (30) Unter diesem Gesamtaspekt beziehen sich die Beiträge auf das Konzil. Sie bieten freilich – mit wenigen Ausnahmen – eher Skizzen bestimmter Konzilsdokumente, denken diese aber eigenständig weiter, teilweise mit etwas bissigen Repliken auf Entwicklungen nach dem Konzil. Es lassen sich im Folgenden nicht alle Aufsätze erwähnen, auch nicht die wertvollen exegetischen und kirchenhistorischen Texte.
Der geistlichen Theologie lassen sich vier Beiträge zuordnen: José L. Illanes (»Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit«, 61–75) will die Trennung von spiritueller Suche und Leben überwinden und eine »laikale Spiritualität« vorstellen. Geistliche Theologie soll den Einzelnen anleiten, den »spezifische[n] Ruf, den Gott an jeden Menschen in seiner konkreten Situation richtet« (75), zu hören und im Glauben zu reflektieren. José R. Villar (»›Säkularität‹ und Weltcharakter. Zur Identität des christgläubigen Laien«, 245–261) bestimmt in interessanter Weise den Ordensstand relational zum Laienstand derart, dass die evangelischen Räte – anders, als man das gewohnt ist – an alle Christen gerichtet sind, die Ordensleute sich jedoch »durch einen Verzicht auf die Fähigkeit zur Selbstbestimmung hinsichtlich der zeitlichen Dinge« (255) auszeichnen. »Der Ordenschrist unterwirft sich ein für alle Mal auf sichtbare und spürbare Art und Weise den im Evangelium genannten Bedingungen der Nachfolge, die für alle Christen geltend und verpflichtend sind«, während die Laiengläubigen dies »auf die Weise einer immer neuen, freien Selbstbestimmung inmitten der zeitlichen Dinge« (ebd.) versuchen. Der Vortrag von Gunda Brüske (»›Das Wasser erinnert uns.‹ Der Taufberufung im Leben entsprechen«, 205–217) enthält weiterführende Gedanken zur Praxis des Taufgedächtnisses und ist damit ein Beitrag, wie »der Taufberufung im Leben [zu] entsprechen« (216) ist. Wolfgang Vogl (»›In der Welt, aber nicht von der Welt‹. Der Weltbezug des Priesters nach dem Priesterdekret des zweiten Vatikanums ›Presbyterorum ordinis‹«, 219–243) geht sorgfältig diesem Konzilsdekret nach und erörtert eingehend das Thema der Spiritualität des Priesters und der Einheit seines Lebens in der Spannung zwischen Weltdistanz und Weltzuwendung.
Der Frage, was denn nun der Inhalt dieser Weltverantwortung ist, lassen sich drei Beiträge zuordnen. Josef Kreiml (»Die Kirche als sacramentum mundi«, 77–86) und Lothar Roos (»Glaube und Ethos. Die Weltverantwortung des Christen 50 Jahre nach dem Konzil«, 169–183) befassen sich in unterschiedlichen Perspektiven mit der Konstitution »Gaudium et spes«. Roos gibt eine prägnante Skizze dieses Dokuments und führt die Fragestellung weiter über das Thema »Glaube und Ethos bei Johannes Paul II.« zu einer knappen Darlegung »Glaube und Ethos heute«. Darin führt er aus, wie er heute die Weltverantwortung des Christen sieht. Seine Ausführungen haben den Vorteil, dass sie inhaltlich angeben, wie diese Verantwortung verstanden werden kann, auch wenn man über manche Einzelheiten streiten möchte. Andere Beiträge sprechen dagegen eher unbestimmt vom Weltcharakter des Laien. Martin Rhonheimer (»Christliche Säkularität: Die Verantwortung des Christen in der pluralistischen Gesellschaft«, 87–98) erörtert die Stellung des Chris­ten zum religiös neutralen demokratischen Verfassungsstaat. Zur »christlichen Säkularität« gehöre, die Säkularität der öffentlichen Institutionen »als politischen Wert anzuerkennen und diese Anerkennung gerade auch als Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses als Christ zu begreifen« (91; Hv. getilgt). Der Christ lebe in einer »doppelten Identität« als »gläubiger Christ und als Bürger des säkularen Staates« (ebd.). Jedoch solle die Kirche »durch ihre Lehre und pastorale Sorge um die Gewissensbildung ihrer Gläubigen auf die Wertkonfigurationen der Gesellschaft einwirk[en]« (98).
Ein Beitrag von Peter Bruns (»Erneuerung in der Kontinuität«, 151–165) warnt mit Hinweis auf die Dogmengeschichte des 4. und 5. Jh.s vor einer »optimistische[n] Konzilssicht« (165): »In ihrer nicht immer segensreichen Wirkung gleichen Konzilien Naturkatastrophen wie Flächenbränden, Überschwemmungen oder Deichbrüchen, um die Bilder Gregors von Nazianz zu gebrauchen; sie hinterlassen den nachfolgenden Generationen oft größere Übel als die vorigen, die abzustellen man ursprünglich angetreten ist. Der tiefere Sinn einer synodalen Entscheidung bleibt den Zeitgenossen zumeist verborgen und enthüllt sich erst im weiteren Fortgang der Wirkungsgeschichte.« (163) Dabei bleibt unklar, ob dieser recht allgemein formulierte Satz alle Konzilien der letzten zwei Jahrtausende einschließt, ob etwa das Konzil von Trient auch damit gemeint ist oder ob er eher auf das II. Vatikanum zielt. Über dieses liest man: »Ebenso wenig […] war auf dem II. Vatikanum mit einer dogmatisch niederschwelligen, d. h. unscholastischen und pastoral betulichen Theologie, die sich von den Anathematismen der vergangenen Jahrhunderte bewusst losgesagt hat, den Irrtümern der Moderne mit ihrer Diktatur des Relativismus wirksam beizukommen.« (163) Ob man mit solchem Ressentiment zu einer Hermeneutik der Reform beitragen kann, erscheint fraglich.
Die Beiträge bringen zahlreiche anregende Neuansätze. Der evangelische Theologe würde gern einige Fragen stellen: Es fällt auf, dass in den Beiträgen, die die Heiligkeit zum Thema haben, von Sünde kaum die Rede ist. Kann man aber Heiligung erörtern, ohne ausdrücklich die Sünde mit zu reflektieren? Das »simul sanctus – simul peccator« ist ja in Wahrheit kein lutherisches Sonderfündlein, sondern elementarer Bestandteil geistlicher Erfahrung. Und: Kann man Heiligkeit direkt intendieren? Steht es mit ihr nicht so wie mit der Demut: Wer sich selbst als demütig weiß, ist schon hochmütig? Und: Der Apostolat der Laien gründet, wie Lu­men gentium 31 sagt, in der Teilhabe am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi. Warum wird dann Taufberufung nur mit Weltverantwortung verbunden und nicht auch mit Kirchenverantwortung? Es wäre zu wünschen, dass ein ökumenisches Gespräch über die Taufberufung der Christen zustande kommt, denn alle Kirche haben gegenwärtig mit dieser Berufung ihre Schwierigkeiten und sie könnten vieles voneinander lernen.