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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

197–200

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Joosten, Jan

Titel/Untertitel:

Collected Studies on the Septuagint. From Language to Interpretation and Beyond

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. X, 246 S. = Forschungen zum Alten Testament, 83. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-151733-4.

Rezensent:

Siegfried Kreuzer

Jan Joosten, Alttestamentler in Oxford und derzeitiger Präsident der »International Organization for Septuagint and Cognate Studies«, legt hier 17 Studien vor, die ursprünglich zwischen 1996 und 2008 publiziert wurden und die sich überwiegend mit Fragen der Übersetzungstechnik und vor allem der Sprachkenntnisse der Übersetzer der Septuaginta beschäftigen. Dabei geht es weniger um die Kenntnis des Hebräischen der biblischen Texte, die übersetzt wurden, sondern um die Frage, wieweit die Übersetzer mit Aramäisch und auch mit spätem Hebräisch vertraut waren und wieweit solche Kenntnisse das Verständnis und die Wiedergabe des Textes beeinflussten. Die Beiträge sind in vier Gruppen gegliedert.
Gruppe 1: Translation Technique
1) »Elaborate Similes – Hebrew and Greek« (3–14) klassifiziert die verschiedenen Typen von Vergleichen (von ausgeführten Vergleichen mit den Partikeln ke und ka’aschär [= wie] bis hin zur bloßen Nebeneinanderstellung der beiden Seiten) und deren Wiedergabe im Griechischen.
2) »A Septuagintal Translation Technique in the Minor Prophets: The Elimination of Verbal Repetitions« (15–22) beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass im Dodekapropheton oft Wiederholungen von Wörtern auf Einfachaussagen reduziert werden (wozu es allerdings auch Ausnahmen und gegenteilige Fälle gibt). J. erklärt das Phänomen, das wegen seiner Häufigkeit (12 von 16 in Frage kommenden Fällen) nicht auf Textverderbnisse im Sinn von Haplographie zurückgeht, aus der Absicht des Übersetzers, und zwar weil ihm offensichtlich eine Einfachwiedergabe ausreichend erschien und weil er eine Wiederholung als im Griechischen unschön betrachtete und vermeiden wollte. »The translator cared not only for the correct transfer of meaning, but was attentive also to stylistic considerations.« (21) Dem wird man zustimmen können, zumal das Phänomen angesichts der sonst sehr isomorphen Wiedergabe tatsächlich auffällig ist. Allerdings wäre es auch interessant, ob es Varianten in hebräischen Textzeugen neben dem MT gibt und ob sich neben dem offensichtlich aus der Edition von Ziegler übernommenen griechischen Text in den Handschriften Varianten des Phänomens finden. Dem Beitrag ist noch eine vorläufige Liste von Omissions und Non-Omissions in anderen Büchern des Alten Testaments beigegeben. Interessanterweise sind die Fälle – bei Divergenzen in den einzelnen Büchern – im Pentateuch und den Geschichtsbüchern etwa gleich zahlreich, während in Propheten und Psalmen die Omissions überwiegen (22).
Gruppe 2: The Translators’ Knowledge of Hebrew
3) »On the LXX Translators’ Knowledge of Hebrew« (25–36). Wie schon oben angedeutet, versteht J. »knowledge of Hebrew« nicht nur und nicht vorrangig als die Kenntnis des Bibelhebräischen, sondern es geht um die Frage, welche Art des Hebräischen. J. bringt eine Reihe von Beispielen, die dafür sprechen, dass die Übersetzer das Hebräische der alttestamentlichen Schriften aus ihrer Kenntnis des zeitgenössischen Hebräisch auffassten und entsprechende Nuancen in die Übersetzung einbrachten. So wird in Hos 4,8 ns’ (aufheben) in der Bedeutung von (Hinweg-)Nehmen aufgefasst und übersetzt (25 f.), was dadurch unterstützt wird, dass auch in der Tempelrolle (11QT LIX, 19) das Verb in ähnlicher Bedeutung (hinwegnehmen des Lebens) verwendet wird. J. weist natürlich darauf hin, dass solche Phänomene auch schon von Autoren des 19. und 20. Jh.s (Z. Frankel, A. Kaminka, I. L. Seligmann, E. Tov) beobachtet wurden und dass es andererseits auch Beispiele gibt, wo trotz Bedeutungsunterschieden keine solchen Interferenzen stattfanden, sondern die Bedeutungen auseinandergehalten wurden (32–34). Angesichts der nicht allzu vielen (bisher entdeckten) Fälle und der Schwierigkeit, sie abzugrenzen, widmet sich ein erheblicher Teil des Beitrags den methodischen Fragen der Erkennbarkeit und der Interpretation der Phänomene. Ein Appendix mit 20 Beispielen für eine solche Bedeutungsverschiebung beschließt den Beitrag.
4) »The Knowledge and Practice of Hebrew in the Hellenistic Period: Qumran and the Septuagint« (36–52) beschäftigt sich mit derselben Fragestellung im Blick auf das in Qumran verwendete Hebräisch. Ein Beispiel für eine Übereinstimmung zwischen Septuaginta und Qumran ist in Ez 20,37 zu finden: msrt ist dort wie eine Form von ’sr vokalisiert, ist aber wohl eher von msr, zählen, mus­tern, abzuleiten. In diesem Sinn übersetzt die Septuaginta mit arithmos, Zahl, wofür die Qumran-Bedeutung von msrt als »military unit« eine Unterstützung sein könnte. J. diskutiert einige weitere Fälle, etwa auch von Bedeutungsentwicklungen wie bei dem bereits oben erwähnten ns’ in Hos 4,8. Die Beispiele sind nicht sehr zahlreich und unterschiedlich signifikant. Trotzdem wird man sagen können: »What is important is that we can observe how Qumran Hebrew and the Septuagint reflect one body of linguistic knowledge as it existed in the Hellenistic period.« (52) Dieser an sich plausiblen Überlegung ist gewiss zuzustimmen. Dabei wendet sich J. zu Recht gegen die von M. Philononko vorgetragene These eines direkten Kontaktes zwischen Qumran und Septuaginta (51 f.).
5) »On Aramaizing Renderings in the Septuagint« (53–66). Entsprechend dem Titel stellt J. hier eine Reihe von Beispielen zusammen, wo die Übersetzer ein hebräisches Wort gemäß der Bedeutung des Wortes im Aramäischen wiedergegeben haben. Ein Beispiel wäre ודחי in Jer 31(LXX 38),13. Während im hebräischen Text wohl »(Jung und Alt) miteinander« zu verstehen ist, übersetzt die Septuaginta »(young men and the old men) shall rejoice«, was offensichtlich von aramäisch ḥdh, rejoice, her verstanden ist (55). Offensichtlich kommen solche Fälle des Rückgriffs auf das Aramäische häufig dort vor, wo der Text schwierig war oder erschien. In diesem Sinn sagte schon Flashar: »In vielen Fällen lässt es sich beobachten, dass G [i. e. LXX; J. J.] dann zum Aramäischen seine Zuflucht nahm, wenn er seine Vorlage nicht verstand – oder nicht verstehen wollte.« (57) – Die absichtliche oder unabsichtliche Bezugnahme auf das Aramäische ist wohl der deutlichste und auch zahlenmäßig am besten belegte Bereich der hier erörterten Einflüsse. Die Phänomene spiegeln eine gewisse Bandbreite der Möglichkeiten, von der Übersetzung im Sinn der aramäischen Bedeutung bis hin zur Übernahme aramäischer Lehnwörter. Diese sind bekanntlich insbesondere am Alef des aramäischen status emphaticus (z. B. Manna oder Passa), aber auch an der aramäischen Pluralendung -in in Transkriptionen erkennbar (64).
6) »Biblical Hebrew as Mirrored in the Septuagint« (67–80). Wir haben zwar keine Grammatik und kein Lexikon der Septuagintaübersetzer, und es gab das wohl auch nicht in schriftlicher Form, aber wir können versuchen zu rekonstruieren, was sie in dieser Hinsicht im Kopf hatten. J. tut das wieder anhand verschiedener interessanter Beispiele, die vom (nach unserer Kenntnis) üblichen Verständnis des Hebräischen abweichen. Dabei geht es wieder vor allem um Beispiele, die sich aus dem Aramäischen, einem späten geschriebenen oder vielleicht auch einem zeitgenössisch gesprochenen Hebräisch erklären lassen. Wie schwierig, aber doch auch sinnvoll die Beobachtungen sind, zeigt das Beispiel der Auffassung der nota accusativi mit Personalpronomen (’ōtō) in Num 6,13. »Wenn die Tage seines Nasiräats erfüllt sind, soll man ihn zur Tür des Zeltes [= der Stiftshütte] bringen …« wird in der Septua-ginta mit ἂν ἡμέρᾳ πληρώσῃ ἡμέρας εὐχῆς αὐτοῦ προσοίσει αὐτὸς παρὰ τὰς θύρας τῆς σκηνῆς τοῦ μαρτυρίου wiedergegeben. J. übersetzt das: »in whatever day he shall have fulfilled the days of his vow, he himself shall bring to the doors of the tent of Witness« (77). J. sieht folgende Änderung: »The translator has rendered ’ōtō , which in the biblical text designates the direct object of the preceeding verb, as nominative pronoun, thus turning it into the subject« (ebd.). Diese Auffassung wird mit zwei Belegen aus Gen Rabba (181,5; 32,11) gestützt. In 181,5 sagt Hiob über Adam: »Er hörte [’ōtō šāma‘] auf seine Frau (ich aber hörte nicht auf meine Frau)«. Dabei wird mit Berufung auf A. Ben David, Biblical Hebrew and Mishnaic Hebrew, Vol. 2 Grammar and Style, ’ōtō als Subjekt aufgefasst. Allerdings wäre auch denkbar, ’ōtō als Reflexivum (»für sich«) aufzufassen und das Subjekt in šāma‘ enthalten zu sehen. In beiden Fällen ist damit der Gegensatz unterstrichen: »Er … ich aber«. Die griechische Wiedergabe von Num 6,13 bleibt aber auf jeden Fall schwierig. Sie macht – anders als es der hebräische Text zumindest erlaubt – keinen Subjektswechsel. Man muss daher entweder eine freie Wiedergabe annehmen oder eben ’ōtō als Subjekt auffassen. Was im einen wie im anderen Fall schwierig bleibt, ist, was denn der Nasiräer bringen soll. Das haben, wie J. vermerkt (Fn. 40), schon antike, mittelalterliche und moderne jüdische Autoren auch im Blick auf den hebräischen Text vermerkt. Die Septuaginta hat diese Leerstelle nicht gefüllt.
Die Erörterung zeigt die Komplexität des Problems und zu­gleich auch den heuristischen Wert der von J. vorgeführten Beobachtungen und Überlegungen. Im Sinn von J. könnte noch auf Amos 9,12 hingewiesen werden (»die Übriggebliebenen der Menschen werden suchen«) und darauf, dass nach Meinung verschiedener hebräischer Grammatiken, z. B. R. Meyer, Hebräische Grammatik, III. Satzlehre, 71–73, die sogenannte nota accusativi ur­sprünglich ein Demonstrativum war, das gelegentlich auch in Verbindung mit dem Nominativ auftritt, was in jüngeren Texten wieder häufiger zu finden sei.
Aus Platzgründen können die weiteren Beiträge hier nur kurz referiert werden:
7) »Source-Language Oriented Remarks on the Lexicography of the Greek Versions of the Bible« (81–96; vor allem mit einer Untersuchung der Bedeutung von hit’abbēr).
8) »דסח ›Benevolence‹ and ἔλεος ›pity‹: Reflections on Their Lexical Equivalence in the Septuagint« (97–111; die Wahl von ἔλεος für דסח bewirkte keine Bedeutungsverschiebung des griechischen Wortes, sondern erklärt sich daraus, dass דסח in den späteren Texten des Alten Testaments und im späten Hebräisch häufig in Bezug auf Gott verwendet wurde und sich im Sinn von Erbarmen und Mitleid entwickelt hatte).
9) »The Dead Sea Scrolls and the Septuagint in Mutual Illumination« (113–120; vgl. Beitrag 4).
Gruppe 3: Interpretation
10) »Exegesis in the Septuagint Versions of Hosea« (123–145; anhand zahlreicher Beispiele wird dargestellt, wie die Übersetzer schwierige Stellen interpretierten und dass sie dabei im Wesentlichen dem ihnen vorliegenden Text vertrauten).
11) »The Impact of the Septuagint Pentateuch on the Greek Psalms« (147–155; »In spite of his literal approach, the translator [of Psalms] remained attentive to the flow of the context, and took account to what it expressed when he judged this necessary« [155], wobei er auch Lösungen aus dem Pentateuch zu Hilfe nahm).
12) »To See God: Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint« (157–170; in Bezug auf das Sehen Gottes sind zwei Tendenzen zu beobachten, einerseits eine noch größere Zurückhaltung als im hebräischen Text, andererseits eine Verstärkung. J. sieht die erste Tendenz als in Übereinstimmung mit frühjüdischen Traditionen, während er die zweite auf ägyptischen Einfluss zurückführt, wo das Sehen der Gottheit sehr wichtig ist).
13) »Divine Omniscience and the Theology of the Septuagint« (171–181; die Septuaginta verstärkt den Aspekt der Allwissenheit Gottes, allerdings weniger in theologischer Hinsicht, sondern vorwiegend »stilistisch«, in der Weise, dass sie versucht, Stellen, aus denen man ein Nichtwissen Gottes ableiten könnte, so zu übersetzen, dass dies vermieden wird; z. B. wird Hos 8,14 »sie setzten Könige ein, und ich wusste es nicht« mit »und sie teilten es mir nicht mit« wiedergegeben [174]).
Gruppe 4: Historical Milieu
14) »Language as a Symptom: Linguistical Clues to the Social Background of the Seventy« (185–194).
15) »The Original Language and Historical Milieu of the Book of Judith« (195–209; mit bekannten, aber auch mit neuen Argumenten vertritt J. die These, dass das Buch von Haus aus griechisch verfasst wurde, wobei die Hebraismen auf Benutzung der Septuaginta zurückgehen. Von daher vermutet er sogar Alexandria als Entstehungsort: »If Judith is the work of a Hellenized Jew in Alexandria, how does this affect the interpretation of the book?« [209]).
16) »The Septuagint as a Source of Information on Egyptian Aramaic in the Hellenistic Period« (211–213).
17) »Reflections on the ›Interlinear Paradigm‹ in Septuagintal Studies« (225–239; kritische Auseinandersetzung mit dem von A. Pietersma vorgetragenen Modell, dass die Septuaginta nicht als selbständig zu lesende Übersetzung geschaffen wurde, sondern als Interlineartext, der zum hebräischen Text hinführen soll).
Der sowohl zu weiteren Forschungen wie auch zu kritischen Diskussionen anregende Band wird durch einen »Index of selected passages« (243–246) erschlossen.