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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

59–61

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chanikuzhy, Jacob

Titel/Untertitel:

Jesus, the Eschatological Temple. An Exegetical Study of Joh 2,13–22 in the Light of the Pre 70 C. E. Eschatological Temple Hopes and the Synoptic Temple Action

Verlag:

Leuven u. a.: Peeters Publishers 2012. XLVI, 407 S. = Contributions to Biblical Exegesis and Theology, 58. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-90-429-2392-8.

Rezensent:

Jostein Ådna

Diese Monographie stellt die Veröffentlichung der Doktorarbeit des indischen Neutestamentlers und Priesters Jacob Chanikuzhy dar, aufgrund derer er 2004 an der Katholischen Universität Leuven in Belgien promoviert wurde. Es geht C. um die Deutung Jesu als des eschatologischen Tempels in der johanneischen Tempelak-tionsperikope (Joh 2,13–22). Das Buch besteht aus vier Kapiteln, umrahmt von einer Einführung (»General Introduction«, 1–5) und einer Zusammenfassung der erreichten Ergebnisse (»General Conclusion«, 397–407): 1. Jewish Eschatological Temple Hopes in the Second Temple Period and the Responses to the Temple Destruc-tion in 70 C. E. (7–96); 2. Synoptic Parallels of the Temple Action in John (97–232); 3. Jesus, the Eschatological Temple: Exegesis of Joh 2, 13–22 (233–329); 4. Temple Claims of Jesus in the Fourth Gospel (331–395).
Dass Jesus in Joh 2,13–22 als der (eschatologische) Tempel dargestellt wird, geht deutlich aus dem erklärenden Kommentar des Evangelisten in V. 21 hervor. Bei dem niedergerissenen Tempel, den Jesus in drei Tagen wieder aufrichten werde, sei der Tempel seines Leibes gemeint. Die spezifische Fragestellung C.s ist, welche Umstände oder Anstöße diese Ausgestaltung der Tempelaktion bei Joh hervorgerufen haben. Seine These ist, dass die Vorstellung von Jesus als Ersatz des Tempels die Antwort des vierten Evangeliums auf die Katastrophe der Tempelzerstörung 70 n. Chr. darstellt. Der gewählte Aufbau des Buches lässt sich von dieser Fragestellung her gut nachvollziehen. Denn einerseits erscheint eine Untersuchung von den Erwartungen eines eschatologischen Tempels im Frühjudentum und von der Verarbeitung der Tempelzerstörung unter Juden nach 70 erforderlich (Kapitel 1), und andererseits bedarf es einer Analyse der früheren Rezeptionen der Tempelaktion Jesu in den anderen Evangelien (Kapitel 2), zumal C. mit joh Abhängigkeit vom synoptischen Bericht über die Tempelaktion rechnet (97, Anm. 1). Darauf folgen die Exegese der joh Tempelaktionsperikope (Kapitel 3) und die Untersuchung, inwiefern die Vorstellung von Jesus als eschatologischem Tempel auch sonst bei Joh begegnet (Kapitel 4).
Trotz des gut begründeten Aufbaus der Studie fällt es dem Leser manchmal schwer, einen stringenten und zusammenhängenden Argumentationsgang zu erkennen. Längst nicht alle Texte und Themen, die in den Hintergrundkapiteln 1 und 2 behandelt werden, tragen wesentlich zur Untermauerung der Zentralthese des Buches bei. Dies gilt z. B. für die 50 Seiten in Anspruch nehmende Erörterung von Jesu Einzug in Jerusalem und der Verfluchung des Feigenbaums als unmittelbarem Kontext der Tempelaktion in den synoptischen Evangelien (99–149). Isoliert betrachtet bietet dieser Teil vom Kapitel 2 allerdings eine informative Darlegung der be­handelten synoptischen Texte. Entsprechendes gilt für manche Passagen im Kapitel 1: Sehr informativ sind z. B. die Präsentationen der Tempelvorstellungen in Qumran (24–42), der Auseinanderset zungen des 4Esra und des syrischen Baruch mit der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. (48–63) sowie der (früh)rabbinischen Bewältigung des Tempelverlustes (79–95).
Bevor C. die jeweiligen synoptischen Fassungen der Tempelaktionsüberlieferung behandelt, befasst er sich mit dem ursprünglichen Sinn der Tempelaktion (150–183) und gelangt zu dem Ergebnis, dass sie keine Tempelreinigung, sondern vielmehr einen An­griff auf den Tempelkult darstellte. Unter den Synoptikern schließt sich Markus am engsten dem Ursprungssinn an, indem er durch seine Gestaltung der Perikope und deren Kontexteinbindung (s. Mk 11,12–25) die Tempelaktion als »a prophetic symbol of the destruction of the Jerusalem temple and its replacement with the disciples of Jesus as a praying community« sieht (183–213 [211]). Dagegen deuten Matthäus und Lukas das Ereignis im Tempel als (messianische) Reinigung (213–230).
Das dritte der insgesamt vier Kapitel ist der Exegese des Schlüsseltextes Joh 2,13–22 gewidmet. Durch die gesteigerte Dramatik der Aktion (s. V. 14–16) deutet sie Johannes als Abschaffung des Tempels, und aus dem nachfolgenden Gespräch zwischen den »Juden« und Jesus (s. V. 18–21) geht hervor, dass er den Tempel ersetzt: »the temple act becomes an act of abrogation of the existing temple in view of the eschatological temple, the temple of Jesus’ body, which would be brought about by the death and resurrection of Jesus« (328).
Obwohl C. Stellen wie Joh 1,14.51 und 4,20–24 als kohärent mit der christologischen Tempelvorstellung von 2,13–22 einschätzt, beschränkt er die Untersuchung von »Tempelansprüchen Jesu« bei Joh auf 7,37–38 (332–371) und 10,36 (371–395). Das Besondere dieser beiden Texte ist, dass Jesus hier seinen »temple claim« direkt im Jerusalemer Tempel im Rahmen von und unter Bezug auf jüdische Feste vorträgt, die eschatologische Erwartungen im Blick auf den Tempel evozieren. C. findet, dass Jesus hier den Anspruch erhebt, als eschatologischer Tempel die Erfüllung der mit dem Laubhüttenfest und dem Fest der Tempelweihe verbundenen Erwartungen zu sein.
Berücksichtigung von zahlreichen Kommentaren und anderer Forschungsliteratur prägt C.s Darlegung. Nähe zur Forschung ist zwar begrüßenswert, aber häufig sind die Referate und Zitierungen aus der Sekundärliteratur so ausführlich und dicht, dass der voranschreitende, stringente Argumentationsgang darunter leidet und C.s Beurteilungen und eigenständige Positionierungen nicht klar erkennbar sind. Die Fülle der Forschungsliteratur zum Tempel und zur Tempelaktion Jesu in den Evangelien stellt jeden Autor vor große Herausforderungen. Soweit ich sehen kann, hat C. in seiner Bibliographie (XIX–XLVI) Werke aufgeführt, auf die er in der Darlegung keinen Bezug nimmt oder die er nur recht willkürlich heranzieht. Die Folge ist, dass Forschungsbeiträge, die zu manchen Einzelheiten sowie zur vorgetragenen Hauptthese wohlfundierte alternative Interpretationen bieten, unberücksichtigt bleiben.
Die folgenschwerste Konsequenz des mangelhaften Zusammenhangs der in vier Kapitel aufgeteilten Darstellung ist, dass die Hauptthese, die Vorstellung von Jesus als eschatologischem Tempel sei die joh Antwort auf die Tempelzerstörung 70 n. Chr., unbewiesen bleibt. C. unternimmt nichts, um zu belegen, dass gerade die Tempelzerstörung den entscheidenden Anstoß zur Ausbildung dieser christologischen Vorstellung gegeben hat. Hätte der johanneische Kreis den Jerusalemer Tempel weiterhin als Stätte der Präsenz Gottes und den Opferbetrieb als Sühnekult anerkannt, wenn er nicht zerstört worden wäre? Die Paulusbriefe aus den 50er Jahren des 1. Jh.s n. Chr. belegen, dass Christen bereits in der Zeit, als der Tempel in Jerusalem noch bestand, kühne (christologische, soteriologische und ekklesiologische) tempelersetzende Theologumena entwickelten. Es leuchtet nicht ein, dass es der Zerstörung des Jerusalemer Tempels bedurfte, um von den tragenden Prämissen der joh Theologie her die joh Christologie, einschließlich der Vorstellung von Jesus als eschatologischem Tempel, zu entfalten.
Es wäre für die Les- und Nutzbarkeit des Buches ein großer Gewinn gewesen, wenn es Sach-, Quellen- und Verfasserregister enthalten hätte und die hohe Anzahl sprachlicher Fehler im Text reduziert gewesen wäre.