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Ausgabe: | Dezember/2014 |
Spalte: | 1525–1527 |
Kategorie: | Kirchenrecht |
Autor/Hrsg.: | Aymans, Winfried, Mörsdorf, Klaus, u. Ludger Müller unter Mitarbeit von Christoph Ohly |
Titel/Untertitel: | Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Bd. 4: Vermögensrecht, Sanktionsrecht und Prozeßrecht. |
Verlag: | Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2013. XVIII, 677 S. = Kanonisches Recht, 4. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-506-70494-8. |
Rezensent: | Hanns Engelhardt |
Mit dem Erlass des Codex Iuris Canonici von 1917 brach für die römisch-katholische Kirchenrechtswissenschaft eine neue Epoche an. Erstmalig war das universale Kirchenrecht in einer Kodifikation geregelt. Zunächst an ihr und nicht mehr unmittelbar an dem im Lauf von mehr als 1000 Jahren angesammelten Rechtsstoff hatten kirchliche Praxis und Kirchenrechtswissenschaft sich nun zu orientieren. Als deutschsprachiges Kirchenrechtslehrbuch auf dieser Grundlage erschien 1923 das Lehrbuch des Kirchenrechts auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici von Eduard Eichmann, damals Professor für Kirchenrecht an der Universität München. Zunächst einbändig, musste es in späteren Auflagen in zwei und dann drei Bände aufgeteilt werden. Die jüngste Auflage besteht nun aus vier Bänden; der vierte ist hier anzuzeigen.
Gegenstand dieses Bandes sind mit dem Vermögensrecht, dem Sanktionsrecht und dem Verfahrensrecht Gebiete, die aus einer von den kirchenrechtlichen Grundsatzproblemen ausgehenden Sicht eher zu den Randbereichen kirchlicher Ordnung zählen mögen, was aber nicht bedeutet, dass sie für das kirchliche Leben unwichtig wären. Letzteres gilt insbesondere für das Vermögensrecht, dessen Aktualität jüngste in der kirchlichen und außerkirchlichen Öffentlichkeit vielbeachtete Ereignisse belegen.
Mit der Bezeichnung »Sanktionsrecht« wird das bisherige kirchliche Strafrecht ein wenig weichgespült. Begriff und Berechtigung dieses kirchlichen Strafrechts haben ja vor allem in jüngerer Zeit zu lebhaften Diskussionen geführt. Beispielhaft sei der 2006 in der Kirchenrechtlichen Bibliothek erschienene Band mit dem bezeichnenden Titel »›Strafrecht‹ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch?« genannt, der die Beiträge zu einer kirchenrechtlichen Tagung von 2004 dokumentiert, die diesem Thema gewidmet war. Mit der Bezeichnung »Sanktionsrecht« befindet Müller sich in Übereinstimmung mit der Überschrift des 6. Buches des CIC (de sanctionibus); indes ist in den Teilüberschriften doch wieder von poenis, also Strafen, die Rede, ebenso in den Titelüberschriften des ersten Teils. Dabei ist indes zu beachten, dass ein Teil der dort vorgesehenen Maßnahmen (z. B. Ausschluss, Suspension oder Enthebung von Ämtern) auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche als Kirchenzucht oder Disziplinarmaßnahmen angewendet werden. Kritisch bleibt schließlich das Problem der poenae expiatoriae oder Sühnestrafen, unter dem früheren Codex noch härter als Vergeltungsstrafen bezeichnet. Im Hinblick darauf, dass allgemein und wohl auch unter den Kirchenmitgliedern das staatliche Strafrecht weit besser bekannt ist als das kirchliche und die wichtigen Fragen der Strafzwecke wie auch der Verhütung von Straftaten von der weltlichen Strafrechtswissenschaft seit Langem ausführlich und eingehend diskutiert werden, hätte man sich hier vielleicht eine deutlichere Auseinandersetzung mit Analogien und Unterschieden zum weltlichen Strafrecht wünschen können.
Nicht im 6. Buch des CIC geregelt und dementsprechend nicht in dem vorliegenden Band behandelt sind die Sanktionen, die die Glaubenskongregation verhängt, wenn ein theologischer Autor eine beanstandete Lehre nicht widerruft. Sie können bis zu einem generellen Lehrverbot, auch an nichtkatholischen Lehranstalten, und einem Publikationsverbot gehen. Das Verfahren in diesen Angelegenheiten ist schon im dritten Band des Lehrbuches dargestellt. Auch dort findet sich aber nichts Genaueres über die genannten Maßnahmen, die immer wieder das Interesse der Öffentlichkeit erregen.
Der dritte Teil, der das Verfahrensrecht behandelt, nimmt deutlich mehr als die Hälfte des gesamten Bandes ein. Er macht zunächst einmal deutlich, dass die römisch-katholische Kirche, obwohl sie den Grundsatz der Gewaltenteilung aus prinzipiellen Erwägungen ablehnt, ein Gerichtssystem besitzt, wie es sich sowohl nach Umfang als auch nach systematischer Gliederung und Ausarbeitung in keiner anderen kirchlichen Tradition finden lässt. Schon die Gerichtsverfassung, von Christoph Ohly mit beeindru-ckender Klarheit dargestellt, lässt die Bedeutung dieses Zweiges der Ausübung kirchlicher Gewalt erkennen. Noch deutlicher wird dies bei der Betrachtung der verschiedenen Arten von Verfahren. Ludger Müller unterscheidet hier Personenstandsverfahren »als typisch kirchliche Prozesse«, Sanktionsverfahren, besondere Verwaltungsverfahren und das Kanonisationsverfahren. Von ihnen findet sich das letztgenannte – zur Anerkennung als Heilige oder Selige, die kirchenamtlich oder liturgisch verehrt werden dürfen – in dieser oder einer vergleichbaren Form nur in der römisch-ka-tholischen Kirche. Andere Traditionen, die – wie die lutherische (CA XXI) – die Verehrung der Heiligen empfehlen, kennen ein solches Verfahren nicht. Gewöhnlich genügt die im allgemeinen Gesetzgebungsverfahren für gottesdienstliche Ordnungen beschlossene Aufnahme in die liturgischen Bücher.
Besondere Verwaltungsverfahren sind der sogenannte Hierarchische Rekurs, der einen Ersatz für die nicht eingeführte Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellen soll und bis zu einem Dikasterium der römischen Kurie führen kann, gegen dessen Entscheidung der Gerichtshof der Apostolischen Signatur angerufen werden kann, und das Verwaltungsverfahren gegen Pfarrer mit dem Ziel der Amtsenthebung oder Versetzung, das ein Verschulden des Pfarrers nicht voraussetzt und dem im evangelischen Bereich die Versetzung im Interesse des Dienstes entspricht.
Unter den Personenstandsverfahren stehen die Verfahren zur Nichtigerklärung, Trennung oder Auflösung einer Ehe im Vordergrund, die auch den größten Teil der Tätigkeit der kirchlichen Gerichte darstellen. Ein vergleichbares kirchengerichtliches Verfahren gibt es in den evangelischen Kirchen nicht. Angemerkt sei, dass es im Recht der US-amerikanischen Episkopalkirche ein Verfahren gibt, in dem ein Kirchenmitglied, dessen Ehe von einem staatlichen Gericht annulliert oder aufgelöst worden ist, eine Entscheidung des zuständigen Bischofs über seinen »marital status in the eyes of the Church« beantragen kann (Can. I.19 Sec. 2); die Entscheidung des Bischofs kann in einer Anerkennung der Nichtigkeit oder Beendigung der betreffenden Ehe bestehen und ist nicht anfechtbar, ist aber auch nicht rechtlich bindend für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer neuen Eheschließung.
Abschließend enthält der Band ein Sachverzeichnis für das gesamte Lehrbuch.
Es ist lebhaft zu begrüßen, dass mit dem vorliegenden vierten Band das Standardwerk zum römisch-katholischen Kirchenrecht wieder vollständig vorliegt. Angesichts der Bedeutung, die das Kirchenrecht für das Leben der römisch-katholischen Kirche und damit auch für ihre Beziehungen zu anderen Kirchen hat, ist es auch für Angehörige dieser anderen Kirchen eine unschätzbare, ja unverzichtbare Informationsquelle.