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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

720–722

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Kokkinos, Nikos

Titel/Untertitel:

The Herodian Dynasty. Origins, Role in Society and Eclipse.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 518 S. gr.8 = Journal for the Study of the Pseudepigrapha, Suppl.Series, 30. Lw. £ 55.-. ISBN 1-85075-690-2.

Rezensent:

Johann Maier

Die überarbeitete Dissertation (Oxford 1993) des Vf.s präsentiert eine Gesamtgeschichte der Herodianer. Teil I behandelt Idumäa und die Herkunft der Herodianer. Kap. 1 beschreibt den Übergang von Edom zu Idumäa (36 ff.), einen bislang ziemlich vernachlässigten Bereich; Kap. 2 (52 ff.) gilt dem frühhellenistischen und Kap. 3 (86 ff.) dem späthellenistischen Idumäa sowie den militärisch-politischen Anfängen der Herodianer. Der Teil II behandelt die einzelnen Mitglieder der Familie, u. zw. nach programmatischen Bemerkungen (Kap. 4, 141 ff.) zunächst in Kap. 5 (147 ff.): Onkel und Cousins des Herodes (Phallion I und Joseph I), in Kap. 6 (156 ff.) die Brüder, Neffen und Nichten, in Kap. 7 (177 ff.) die Schwester Salome I und deren Nachkommenschaft (Antipater III), in Kap. 8 (206) in sieben Abschnitten die Frauen des Herodes und deren Nachkommenschaft, in Kap. 9 (246 ff.) die Nachkommen Alexanders I (Alexander II und Tigranes I), und schließlich in Kap. 10 (264-341) die Nachkommen Aristobuls I, Herodias I und Mariamne IV, Agrippa I, Herodes von Chalkis, Aristobul II und Agrippa II. Die Ergebnisse werden in den "Conclusions" (342-362) übersichtlich zusammengefaßt.

Von besonderem Wert sind die Appendices: 1. Herodian Prosopography für 144 Personen (363-366); 2. Main Points in the Chronology of Herod (367-373); 3. Structure of the Josephus Text 14-8 BCE (374-375; betrifft Bell I,455-472.481-482 und Ant XVI,73-74.78-135.188-271); 4. The Family of Aretas IV (376 f.); 5. Date of Agrippa I’s Death (378-380: Betrifft Bell II,219/Ant XIX,343. Der Tod ereignete sich ein paar Monate vor dem Herbst 44 n. Chr.); 6. Identity of Polemo, Husband of Berenice II (381 f.); 7. Sadducee High Priests and the Ananus Family (383 f.); 8. Redating the Last Procurators and the Brother of Jesus (385 f.): Nach Münzen kam Festus spätestens im Sommer 58 an und starb noch 59/60, Albinus folgte 59-63/64 n. Chr., die Romreise des Paulus erfolgte im Winter 58/59. Die Steinigung des Jakobus ereignete sich 59/60, worauf Agrippa II. den Hohepriester Ananus noch vor der Ankunft des Albinus durch Jesus ben Damnaeus ersetzte (vgl. 323); 9. Dating the First Jewish Revolt (387-395): Die Revolte brach noch im Jahr 65 aus; die Aufstandsmünzen datieren daher vom Jahr 1 = Mai 65 - März 66 bis zum Jahr 5 = April 69 - März 70); 10. Date of Agrippa II’s Death (396-399): 100 n. Chr., wie im alten Schürer! Mit der Konsequenz, daß Jos. Ant nach 100 publiziert und die Vita danach nochmals ediert und ergänzt worden ist. Seite 400 bietet eine chronologische Tabelle zu Agrippa II.

Eine umfangreiche Bibliographie (401-464), ein Stellenregister (465-488) und ein Register moderner Autoren (489-498) sowie antiker Personen- und Ortsnamen (499-518) beschließen den Band, der sich somit auch als ein gut handhabbares Nachschlagewerk zu den Herodianern erweist, nur ein Sachregister fehlt leider.

Das Quellenmaterial deckt die einzelnen Themen bzw. Personen recht unterschiedlich ab, die Darstellung verläuft auch dementsprechend wechselhaft akzentuiert. Als roter Faden herodianischer Geschichte erweist sich durchgehend die Neigung zu hellenistischer Kultur und die unverzichtbare Bindung an Rom. Im Einzelnen enthält der Band eine Fülle von wichtigen Beobachtungen, vor allem zu Josephus-Passagen. Gemessen an den herangezogenen rabbinischen Stellen fällt auf, daß Qumrantexte kaum und nur im Sinne der Gleichsetzung mit "den Essenern" eine Verwertung gefunden haben.

Eine Reihe von Datierungsvorschlägen dürfte noch zu Diskussionen Anlaß geben; auch allerlei Hypothetisches, etwa die phönizische Herkunft der herodianischen Familie, die dem Ganzen ein besonderes Kolorit verleiht: "Phoenician by descent, Hellenized by culture, Idumean by place of birth, Jewish by official religion, Jerusalemite by place of residence, and Roman by citizenship" (351).

Ergänzungsbedürftig erscheint das Verhältnis Königswürde und Proselyt (96.102.107.347). Dt 17,15 schließt wie 11Q19 56,14 und das spätere jüdische Recht durchwegs mit "Brüder" einen Proselytennachkommen als "König Israels" aus. Das Verhältnis zu einem "König von Judäa" bzw. "König der Juden" von Roms Gnaden hätte deutlicher hinterfragt und präziser herausgestellt werden können, zumal es mit Agrippa I. innenpolitisch akut wurde und ja ständig in Spannung zur Funktion stand, die diese Herrscher gegenüber ihren nichtjüdischen Untertanen ausübten, weil sie eine Respektierung ihrer religiösen Besonderheiten mitbedingte. Gleichwohl blieben auch die späten Herodianer gegenüber dem Judentum und dem Tempel auf eine deutliche Weise verpflichtet, allerdings einem Judentum, das sich so gegenüber der pharisäisch-rabbinischen Tradition nicht zu halten vermochte, obwohl es in den Aufständen gegen Rom auf der machtpolitisch "richtigen" Seite stand. Hier wäre ein Ansatzpunkt zu weitergehenden Beobachtungen gewesen. Von einem speziellen Interesse ist in diesem Zusammenhang auch die vom Vf. beschriebene herodianische Heiratspolitik, da sie in manchen Fällen kritische Grenzmarken des Jüdischen berührt.

Das Jüdische in seiner religiös-politischen Dynamik rückt bei alledem in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit überhaupt etwas in den Hintergrund, was angesichts der vielen Unsicherheiten begreiflich ist, aber eine Herausforderung zu weiteren Untersuchungen darstellt. In jedem Fall liegt eine äußerst anregende und sehr informative Abhandlung vor, deren Tragfähigkeit im Detail aber jeweils noch zu prüfen ist und damit die Forschung weiterhin beflügeln dürfte.