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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1374–1375

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Eisele, Wilfried [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott bitten? Theologische Zugänge zum Bittgebet.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. 291 S. = Quaestiones disputatae, 256. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-451-02256-2.

Rezensent:

Simon Peng-Keller

Ist zur theologischen Streitfrage des Bittgebets nicht alles schon gesagt, was nach dem Stand heutiger theologischer Reflexion zu sagen ist? Der Münsteraner Neutestamentler W. Eisele weist in seiner Einleitung auf zwei Schwachstellen der bisherigen Reflexion hin: Sowohl die biblisch-exegetischen Stimmen als auch die praktisch-theologischen Aspekte seien in der bisherigen Debatte zu wenig wahr- und ernstgenommen worden. Es fehle insbesondere »der phänomenologische Blick auf die […] alltäglichen und kirchlichen Erfahrungen von Menschen, die sich allen Ernstes mit ihren Bitten an Gott wenden« (9). Dem möchte der hier zu besprechende Studienband begegnen. Mit je zwei exegetischen, systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Beiträgen folgt er einem vertrauten Aufbauprinzip, das in origineller Weise ergänzt wird durch einen Ausblick in die islamische Theologie.
Der alttestamentliche Beitrag von A. Kuckhoff, der sich mit der (Nicht-)Erhörung von Gebetsbitten in den Individualpsalmen beschäftigt, setzt mit der Feststellung ein, dass der Psalter in vielen christlichen Gebetstheologien einen (zu) geringen Raum einnehme. Dabei bleiben allerdings wichtige Beiträge wie etwa derjenige G. Baders unerwähnt. Kuckhoff zeigt in exegetischer Kleinarbeit, dass sich in den Psalmen sehr unterschiedliche Bittqualitäten finden: Intensivere und drängende Bitten wechseln sich mit höflich-zurückhaltenden ab. Dass das Bittgebet in der Vielfalt seiner Artikulationsmöglichkeiten einer Beziehungsklärung dient, ist ein Gedanke, der in den folgenden Beiträgen mehrfach wiederkehrt. Nach W. Eisele ist das Bittgebet die Ausdrucks- und Verwirklichungsform des am Gebet Jesu ablesbaren Gottvertrauens. In seiner Auseinandersetzung mit Saskia Wendels Vorschlag, das Vaterunser als Lobgebet zu interpretieren, und mit Harnacks Konjektur von Hebr 5,7, die dem Gebet Jesu das Erhörtwordensein abspricht, zieht Eisele die Grundlinien aus zu einer neutestamentlichen Theologie des Gebets, die sich an der Gebetspraxis Jesu orientiert. Sie wird u. a. von der These geleitet, dass das Markus- und das Jo­hannesevangelium eine narrative Inszenierung des Unser Vaters darstelle.
Die zwei systematisch-theologischen Beiträge von F. Gamba und J. Negel sind insofern aufeinander bezogen, als beide sich an einem naturwissenschaftlich geprägten deterministischen Wirklichkeitsverständnis abarbeiten, in dessen Horizont das Bittgebet bestenfalls noch als therapeutisches Selbstgespräch wahrgenommen wird. Gamba bestreitet mit Verweis auf die Quantenphysik und die jüngere wissenschaftstheoretische Diskussion die Annahme einer kausal geschlossenen Welt. In einem zweiten und dritten Schritt kritisiert er die gängige Reduktion von personalen Handlungen auf eine ›Verursachung‹ im naturwissenschaftlichen Sinne sowie die Vorstellung von Gott als fernwirkendem Weltbetrachter, dem ein immenses Sachwissen zukomme. Demgegenüber sei das Bittgebet im Ausgang an den Glauben an einen – durch Christus im Geist – am Leiden der Welt Anteil nehmenden Gott zu konzipieren. Der Frage, wie denn ein aktives Erhören Gottes zu denken sei, geht der zweite systematisch-theologische Beitrag von J. Negel nach. Schon allein aufgrund seines Umfangs von 83 Seiten stellt er eine Art Minitraktat innerhalb des Studienbandes dar. In Aufnahme älterer und jüngerer Beiträge werden darin drei Konzeptionen diskutiert, Gottes Handeln in der Welt zu denken: eine transzendentaltheologische, eine phänomenologisch-pneumatologische und eine kausalanalytische. Negel versucht schließlich im Anschluss an H. Rombachs Strukturontologie zu zeigen, dass Gebetserhörungen sich als »Aufgang des Neuen« in den kleinen Sakramenten des Alltags denken lassen.
Die beiden praktisch-theologischen Beiträge ergänzen denBand durch Überlegungen zur religiösen (Gebets-)Kompetenz(M. Gronover) sowie zum Bittgebet im Horizont der Anfechtung(J. Schneider). Der instruktive Beitrag von A. Middelbeck-Varwick, der den Band beschließt, korrigiert zunächst das Vorurteil, das Bittgebet spiele im Islam keine bedeutsame Rolle. Danach skizziert Middelbeck-Varwick die These, der performative Akt der Koranrezitation könne als Vergegenwärtigung der bereits geschehenden Erhörung Gottes betrachtet werden.
Der Band, der entgegen der eingangs zitierten Defizitanzeige einen systematisch-theologischen Schwerpunkt hat, bietet, aus vorwiegend katholischer Perspektive, einen guten Diskussionsüberblick und anregende Ansatzpunkte, die Diskussion um eine nach wie vor brisante Quaestio disputata zu vertiefen.